Kolumne: Das Altpapier am 22. September 2023Die dunkle Macht zieht sich zurück
Eine Medienkarriere, die vor 70 Jahren in Australien begann, endet vielleicht: Rupert Murdoch, der Mann hinter Fox und einem selbst für britische Verhältnisse dreckigen Boulevardjournalismus, macht den Weg frei für seinen Sohn. Weint jemand? Außerdem: Sind so viele Namenswitze über "Titanic" eigentlich erlaubt? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ein Mogul macht den Abgang
Täuscht die Erinnerung, oder gab es tatsächlich einmal eine Zeit, in der Rupert Murdoch unentwegt auf den Medienseiten überregionaler Zeitungen auftauchte? Leo Kirch war dort Dauergast, weil er immer in irgendetwas verwickelt war. Jürgen Doetz, einst bei der "Rheinpfalz", der 1984 das Privatfernsehen begrüßt hatte, kam auch manchmal vor. Dann war da dieser lebenslustige Österreicher, der das RTL-Programm schön redete, Helmut Thoma. Fred Kogel, der auch was mit Privatfernsehen gemacht hatte.
Und eben, als einer der wenigen Medienseitendauergäste, der nicht nur in Deutschland für superwichtig gehalten wurde, Rupert Murdoch: ein früher lediglich als "konservativ" geltender einflussreicher Medienlenker; ein Mann, gegen den Leo Kirch ein popliger Provinzmogul war.
Deutsche Mitarbeiter von Murdochs internationalem Konzern News Corp. sollen gestaunt haben, wenn sie mal bei den Kollegen in den USA zu Gast waren, dass die dort immer mit dem Finger auf die europäischen Zweigstellen zeigten. Dabei hatte man in Deutschlands Murdoch-Beteiligungen doch gelernt, dass man selber alles richtig machte und die Fehler immer die vom anderen Ende der Welt machten. Egal. Die vielen Artikel, die damals, in den Neunziger- und Nullerjahren (und in den Zehnern natürlich schon auch noch) über Rupert Murdoch geschrieben wurden, handelten eh nicht von guter und positiver Unternehmenskultur. In diesem Beritt war er gewiss nicht aktiv. Sie handelten von Männerfreundschaften, von Einflussnahme, auch mal von Putin und später sehr oft von Trump und davor auch immer wieder von widerlichen Recherchemethoden.
Rupert Murdoch also, das war eine der Nachrichten des Donnerstags, geht jetzt quasi irgendwie eventuell doch dann endlich mal in so etwas wie Rente und übergibt seine Ländereien Sohnemann Lachlan. Mit 92. Er ist damit, wie die "SZ" ausgerechnet hat, zwölf Jahre älter als Joe Biden, der älteste US-Präsident ever. "Ganz loslassen will der greise Unternehmer allerdings offenbar noch nicht: Er lässt sich zum 'Chair emeritus' küren, ließ er mitteilen" – das schreibt "FAZ"-Korrespondent Winand von Petersdorff-Campen. Aber nur weil er nicht ganz geht, geht er trotzdem nun genug, um Abschiedstexte zu schreiben. Präzise ist die Nachrichtenüberschrift von spiegel.de: "Rupert Murdoch kündigt Rückzug von der Spitze seiner Medienunternehmen an".
Dass Murdoch sich zurückzieht, ist eine Information, die einen vielleicht nicht die Bohne interessiert, wenn man 20 ist. (Allein dieser Satz aus dem faz.net-Text: "Rupert Murdoch hatte seine Karriere vor 70 Jahren in Australien begonnen"!) Aber wenn man aktiv nur ein klitzekleines bisschen was vom Mediengetöse des 20. und früheren 21. Jahrhunderts mitbekommen hat: Dann ist das schon relevant. Oder wie Götz Hamann von der "Zeit" es online formuliert: 92-jährig übergibt Rupert Murdoch sein Imperium, "(d)as ist erstens erstaunlich spät und zweitens eine ziemlich große Sache: Denn Rupert Murdoch ist der einflussreichste konservative Medienunternehmer der Welt gewesen." Mit ihm verschwinde, "viele würden sagen, eine dunkle Macht im Journalismus".
In den vergangenen Jahren wurde Murdochs Name im Medienressort vor allem in Beiträgen genannt, die von Fox News handelten, der publizistischen Schlangengrube, die ein zentraler Baustein der populistischen Überhitzung und Polarisierung der US-amerikanischen Medienlandschaft geworden ist. In den Vorjahren war Murdoch zudem bekannt als der Geldbeutel hinter den britischen Boulevardmedien "News of the World" und "Sun", die von einem Skandal derart erschüttert wurden (Altpapier), dass man staunen musste: Deren Recherchemethoden sind möglicherweise sogar noch dreckiger, als man ohnehin gewusst hatte?
Jedenfalls: Murdoch. Nur wenige deutsche Journalistinnen und Journalisten kamen in die Verlegenheit, etwas Freundliches über ihn sagen zu müssen. Christian Stöcker nannte ihn in einer "Spiegel"-Kolumne 2020 lieber einmal den "gefährlichsten Mann der Welt":
"In Großbritannien arbeiteten Putin und die News-Corp.-Medien gemeinsam auf den Brexit hin, in den USA kämpften sowohl Fox News als auch Putins Hacker für Donald Trump. Putin lässt seine Geheimdienste und Propagandatruppen alles tun, um den Westen zu spalten und zu destabilisieren, während Murdochs Medien stets das fördern, was der Patriarch für 'konservativ’ und profitabel hält. (…) Fox News erzeugt eine toxische Parallelität, in der alles wahr ist, was Trump behauptet, oder aber die Wahrheit jenseits von parteipolitischer Taktiererei unmöglich herauszufinden ist."
In der Politik sind auch nicht alle nur Fans: Er habe mit seinem "angertainment" die demokratische Welt beschäftigt, ließ sich der frühere australische Premier und, immer wieder, Murdoch-Kritiker Malcolm Turnbull zitieren (theguardian.com).
Die Frage ist: Wie geht’s nun weiter bei News Corps. und Fox und den Murdochs? Die "New York Times" schrieb 2019, zitiert gestern bei manager-magazin.de, über die Familie:
"Die Murdoch-Dynastie zieht keine Grenzen zwischen Politik, Geld und Macht. (…) Sie alle arbeiten nahtlos im Dienste des übergeordneten Ziels der imperialen Expansion zusammen."
Das klingt nach Kontinuität, ob der Gründer nun noch aktiv mitmischt oder nicht. Rupert Murdochs Rückzug ist jedenfalls nicht das Ende von Murdochs Medienreich. Allerdings hat sich dort in den vergangenen Jahren schon ein Bedeutungsbröckeln angedeutet, wie Götz Hamann herausarbeitet. Journalistisch beobachtenswert bleibt es; der Fernsehsender Fox ohnehin, schon im Hinblick auf die US-Wahl 2024, wie der "Guardian" anmerkt."Im November 2024 will der unterdessen noch unberechenbarere Trump zurück ins Oval Office, und man wird bald sehen, ob oder wie Murdochs Firmen erneut auf seine Linie einschwenken", schreibt auch Peter Burghardt in der "Süddeutschen".
Nicht verschwiegen werden soll, dass Götz Hamann es trotz allem geschafft hat, etwas Positives im Wirken von Rupert Murdoch herauszuarbeiten:
"Murdoch hat in den vergangenen 20 Jahren viele Milliarden Dollar in den Journalismus investiert. Seine Verlage haben die heute etablierten Geschäftsmodelle des Onlinejournalismus mitentwickelt. Murdoch gehörte zu denen, die stets daran glaubten, dass sich die traditionellen Medien neben Sozialen Netzwerken und Google News behaupten können."
Gut, und dass das "Wall Street Journal" zu Murdochs Reich gehörte – und damit ein Medium, das man nicht direkt für ein Geschwisterchen von "Sun" oder Fox News hält –, sei der Vollständigkeit dann halt auch noch angemerkt. Möge Rupert Murdoch nun vermissen, wer mag.
Die "Titanic" geht doch nicht unter
Nicht den Murdoch macht erst einmal die "Titanic", wie gestern hier bereits kurz stand. Es gibt heute weitere Artikel über die vorübergehende Rettung der Satirezeitschrift durch Spenden und Neuabos. In der "Süddeutschen" etwa, von Anna Ernst, die, wie quasi alle anderen Berichterstatterinnen und -erstatter, die "Titanic"-Chefredakteurin Julia Mateus zitiert – zum Beispiel mit diesem nicht unhübschen Bonmot: "Wir sehen uns darin bestätigt, dass Print das Medium der Zukunft ist." Eine Frage hätte ich nur vielleicht noch angesichts der Überschriftenwitze, die sich auf die Doppeldeutigkeit des Namens "Titanic" beziehen. (Die "Titanic" verpasst den Eisberg, so die "SZ". Die "Titanic" hält sich über Wasser, laut "FAZ". "Untergang abgewendet", meldet dwdl.de): Sind solche Überschriften eigentlich erlaubt? Eine Humorkritik dazu in der nächsten "Titanic"-Ausgabe wäre wünschenswert. Wenn sie schon nicht absäuft, soll die Redaktion wenigstens was arbeiten.
Warum aber hat die Rettungsaktion für die "Titanic" funktioniert? Gregory Lipinski schreibt bei meedia.de (und bezieht sich dabei auch auf die Rettungsaktion von "Katapult"):
"(D)ie Marketing-Aktionen der beiden Magazine zeigen einmal mehr, dass Publikationen deutlich mehr in Eigenwerbung und ihr -marketing investieren sollten. Das vernachlässigen jedoch viele Verlage derzeit sträflich. Sie treten stattdessen auf die Kostenbremse, weil sie die gestiegenen Papierpreise und Vertriebskosten belasten. So zaudern sie, Geld in die Werbung ihrer eigenen Medienmarken zu stecken."
Mag sein. Man sollte aber auch den Notlageneffekt einpreisen: Hätte "Titanic" einfach nur Werbung gemacht, ohne dabei, hust, SOS zu funken, wäre der Kampagneneffekt dann wohl auch nur annähernd so groß gewesen?
Altpapierkorb ("Vice", Deepfakes, Robra über die ÖRR-Reformdynamik, "37 Grad", Roger de Weck, Dirk Kurbjuweit, VG Wort)
+++ Der ehemalige Chefredakteur von "Vice" Deutschland, Felix Dachsel, schreibt auf den Seiten des "Spiegels", bei dem er nun unter anderem über teure Uhren kolumniert, über die Insolvenz des vor Kurzem noch schillernden und reichen "Vice"-Imperiums und versucht sie sich zu erklären: "Bei jedem potenziellen Risiko entfalteten sich ellenlange Mailkonversationen zwischen New York-Amsterdam-London-Berlin, in denen man sich die heiße Kartoffel zuwarf, bis sie kalt war. Punk lässt sich kaum in einem Konzern organisieren, weil Konzerne Risiken vermeiden wollen, Punker wollen aber das Gegenteil."
+++ "heute journal"-Moderator Christian Sievers hat ein Video gepostet, das ihn zeigt, wie er für eine betrügerische Cybertradingplattform wirbt. Das heißt: eben nicht. Es sieht aber ziemlich nach ihm aus. Deutschlandfunks "@mediasres" hat mit der Deepfake-Forscherin Maria Pawelec gesprochen.
+++ Sachsen-Anhalts Staatskanzleichef Rainer Robra wird von Helmut Hartung in der "FAZ" interviewt – zu den jüngsten Reformvorschlägen der ARD. "Die Reformdynamik der Rundfunkanstalten selbst ist nicht ausreichend, vor allem in Bereichen, in denen Synergien gehoben werden können", wird er zitiert. Das Interview stand noch nicht online, als diese Kolumne entstand.
+++ Ebenso wenig wie Hartungs Text in dieser jener Zeitung über Roger de Wecks "leidenschaftliches Plädoyer für die Öffentlich-Rechtlichen".
+++ Dass man das noch erleben darf: Hanns-Joachim Friedrichs berühmtester Satz passt tatsächlich mal auf einen Fall! Das hat "Übermedien" festgestellt, wo sich Andrej Reisin über eine ZDF-Reportage aus der "37 Grad"-Reihe wundert, in der "der Reporter Ben Bode in Tränen ausbricht, als er am Rande einer Demonstration der 'Letzten Generation' mit einem kleinen Mädchen spricht". Reisin schreibt:
"Ausnahmsweise trifft hier das oft missbrauchte Hajo-Friedrichs-Zitat zu, wonach sich Journalisten nicht mit einer Sache gemein machen sollten, auch nicht mit einer guten. Dabei ging es Friedrichs keineswegs darum, dass Journalist:innen keine Haltung oder Empathie haben sollten. Im Kontext des damaligen 'Spiegel'-Interviews meinte Friedrichs genau jene falsche Ergriffenheit im Angesicht des zu Berichtenden. Er war gefragt worden, ob ihn gestört habe, dass er als Moderator ständig 'den Tod’ habe präsentieren müssen. Er verneinte und erklärte: 'Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.'"
Man könne sich abgesichts der überbordenden Kritik an ARD und ZDF nur "wundern, wie leicht es der Rundfunk seinen Gegner:innen zuweilen macht", findet er. Aber echt.
+++ In "kress pro" geht es um die Frage, wie sich der neue "Spiegel"-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit schlage; teilweise online bei newsroom.de.
+++ Sinkende Tantiemen für Online-Texte, die die VG Wort demnächst ausschüttet: Darüber hat mein Altpapier-Kollege René Martens für "Übermedien" geschrieben. Und darüber, wie die VG Wort mit "fragwürdigen Praktiken großer Medienkonzerne" umgehe. Um die Praktiken der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die keine Zählpixel einbauen, geht es auch.
Am Montag schreibt das Altpapier Jenni Zylka. Schönes Wochenende!