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"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 8. März 2024Ein Boxring ist auch eine Bühne

08. März 2024, 09:16 Uhr

Der "Welt TV"-Chef verteidigt das geplante TV-Duell mit Mario Voigt (CDU) und dem rechtsextremen Björn Höcke. Man wolle eine "inhaltliche Auseinandersetzung" in einem "Boxring der Demokratie". Und: Der Standardmörder im "Tatort" ist im öffentlichen Dienst. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Mit der AfD reden? Folge 342

Die Vermutung, dass wir hier im Altpapier am Montag nicht zum ersten und letzten Mal über das angekündigte TV-Duell von Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD) geschrieben haben, hat sich bestätigt. Gut, das war auch eine ziemlich sichere Wette. Mein Kollege Ralf Heimann hat hier gestern bereits ein "FAZ"-Interview mit Thüringens CDU-Chef Voigt aufgegriffen. Er schrieb: "Mit der AfD reden? Folge 341". Heute nun demnach Folge 342. Es geht wieder um spezifischer mediale Aspekte: um den Sender "Welt TV", der, Stand heute, das Duell senden wird. Dessen Chefredakteur, Jan Philipp Burgard, wurde gestern im Medienmagazin "@mediasres" des Deutschlandfunks von Sebastian Wellendorf zu Gründen und Motiven befragt.

Burgard sagte, man habe intern "intensiv diskutiert" und "sehr sorgfältig abgewogen". Da die "Strategie der Pauschalkritik an der AfD (…) erkennbar nicht gefruchtet" habe, setze man auf den offenen politischen Wettstreit und wolle "eine inhaltliche Auseinandersetzung" herbeiführen. Diskutiert werde im Duell über Europa. Und damit auch darüber, welche Folgen es für die deutsche Wirtschaft hätte, wenn Deutschland etwa aus der EU austreten würde.

Das mit den Inhalten und den Argumenten ist nur so eine Sache, wenn die AfD im Raum ist. Auch Mario Voigt hatte tags zuvor in der "FAZ" angeführt, dass er doch gute Argumente mitbringen werde. Aber Ralf Heimann hat gestern hier schon geschrieben, dass das ein Trugschluss sein dürfte – "dass gute Argumente schon reichen werden". Die Kritik am Duell richtet sich zudem darauf, dass der rechtsextreme Höcke sich als ganz normaler Kontrahent eines CDU-Kandidaten präsentieren kann.

Also, warum bietet "Welt TV" dem Spitzenkandidaten eines gesichert rechtsextremen Landesverbandes diese Bühne? Jan Philipp Burgard sagte: "Die AfD hat ja eine riesige Bühne". Er meinte das Internet und speziell die Social Media. Dort könne die Partei wie auf einer Einbahnstraße kommunizieren, "ohne jeden Filter". Er ziehe es vor, einen Filter der kritischen Fragen einzuziehen. Es solle ein "Factchecking schon während der Sendung" geben und nach dem Duell eine Analyse, auch mit externen Gästen. Sein Sender wolle Höcke keine Bühne bieten, sondern vielmehr einen "Boxring der Demokratie" aufstellen. Allerdings ist ein Boxring natürlich schon auch eine Bühne.

Der Mörder ist immer der Staatsdiener

Berufe von Mördern im "Tatort": Das war anlässlich einer Veröffentlichung in der "Zeit" gestern im Altpapierkorb schon Thema. Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft hatte, so stand es hier, "alle Tatort-Folgen der vergangenen sechs Jahre ausgewertet, die ARD dabei sozusagen auf frischer Tat ertappt und mit offenem Mund festgestellt: In 39 Folgen waren die Täter potenzielle Verbandsmitglieder", also Unternehmer, Manager oder Selbstständige. Was den Bundesverband verärgert hat. Denn damit würden sie die Statistik anführen, noch vor der Gruppe der "Berufskriminellen".

Es ist nicht ungeschickt vom Mittelstandsverband, eine Zahl zu nennen, die anschlussfähig ist an verschiedene Diskurse: etwa an sozialpolitische oder an die Debatte über die Ausgewogenheit der Öffentlich-Rechtlichen. Zack, hat man eine mediale Aufmerksamkeit, die man sonst vielleicht nicht bekommen hätte.

Es gibt allerdings noch zwei Kleinigkeiten zu ergänzen. Nummer eins: Alles ist in Wahrheit noch viel schlimmer. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte 2020 anlässlich des 50. "Tatort"-Geburtstags schon einmal eine Statistik über die Berufe der Mörder im "Tatort" gedruckt (Abo). Sie griff dabei auf eine Erhebung von netzsieger.de zurück, die nach wie vor frei online steht. Und demnach führte auch von 1970 bis 2017 die etwas merkwürdige Doppelkategorie "Unternehmer/Manager" das Ranking an. 109 Taten seien auf ihr Konto gegangen; auf das der "Berufskriminellen" 100 Taten.

Nummer zwei: Die Zahlen kann man sich eigentlich allesamt in die Haare schmieren. In die Kategorie "Unternehmer/Manager/Selbstständige" fallen Kiesgrubenbesitzer, Inhaber von Sicherheitsfirmen und Leiter eines Knabenchors. "Es wird also nicht unterschieden zwischen einem Großfabrikant, dem Betreiber einer Pommesbude, einer Friseurin oder dem Betreiber von Wettbüros", bemerkte im Februar schon stern.de. Andere Berufssparten sind dagegen separat aufgezählt, obwohl sie ebenso gut zusammengerechnet werden könnten. Lehrende, Professoren, Polizisten, Soldaten, Abgeordnete, zum Beispiel – und ein Teil der Wissenschaftler und Juristen, die im "Tatort" die Täter stellten, wird doch vielleicht auch für den Staat arbeiten. Fasste man sie in der Gruppe "Staatsdienst/Öffentlicher Dienst" zusammen, einer Art Gegenstück zum Unternehmer/Manager, stünden sie auf Platz 1, sofern die Zahlen des Mittelstandsverbands richtig sind.

Man kann der ARD also zwar gewiss einiges nachsagen, aber dieser Take ist schon sehr albern. Und war es auch schon, als ein ideologisch gefestigter Springer-Chefredakteur 2020 bei Twitter (heute X) die "SZ"-Recherche lobte (die eine netzsieger.de-Recherche war) und behauptete, sie lasse auf ein "klares Weltbild" in der ARD schließen.

Ziemlich klar ist: Der Gärtner war’s in der "Tatort"-Geschichte praktisch nie. Wenn die kursierenden Zahlen stimmen, war bislang im "Tatort" nur einmal eine Gärtnerin die Mörderin. In Folge 695.

Nachrichten, aber als Gespräch

"Es ist so weit." Das ist eine Formulierung von meedia.de (lesbar nur mit Account), und es geht um Künstliche Intelligenz. Nun war es mit KI in den vergangenen Monaten ständig und immer wieder so weit. Seit ChatGPT, das Tool des KI-Start-ups OpenAI, in nur fünf Tagen eine Million Userinnen und User zusammengekratzt hat, gibt’s einen ziemlichen Hype (um es negativ zu konnotieren) oder Boom (um es positiver zu bezeichnen). Instagram hatte zweieinhalb Monate bis zu dieser Marke gebraucht. Facebook zehn Monate. Netflix dreieinhalb Jahre. ChatGPT fünf Tage. Das sind, ein Vierteljahrhundert, nachdem ein Schachcomputer den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparov besiegt hatte, die Dimensionen. Und jetzt wittern alle, die was mit Tech machen, wohl endgültig das große Geschäft (siehe dazu den Newsletter von socialmediawatchblog.de).

Aber jetzt ist es eben noch ein bisschen so-weiter. Meedia meint den Start generativer KI im deutschsprachigen Journalismus – und zwar nicht nur in der Produktion, da gibt es schon diverse Beispiele (nachzulesen in unserem Altpapier-Jahresrückblick). Sondern beim Nachrichtenkonsum. Generative KI ist jene Form von KI, die selbst Texte oder Bilder produzieren kann, also auf Anfragen "antwortet". "Eine Idee ist, dass die Leser der Website Fragen stellen und mit ihr im Dialog interagieren", so Meedia. Im Artikel geht es um Ringiers "Blick" und Springers "Bild".

Zum Beispiel bei Zeit Online wird (unter der Ansage: Achtung, Beta-Version!) ebenfalls bereits experimentiert – mit einer KI, die Fragen zu aktuellen Ereignissen beantworten soll. Quelle laut zeit.de: die Artikel, die dort in den 30 Tagen vor der Anfrage erschienen sind.

Die Frage, wie das weitergeht, ist schon, nennen wir’s, spannend. Man sollte sich nur momentan wirklich nicht darauf verlassen, dass man von einer KI Antworten kriegt, die durch einen Faktencheck kämen. Vorher redigieren wir womöglich schon unsere Kolumnen mit der "Wolf-Schneider-KI" der Reporterfabrik.

Altpapierkorb (Bilanz von ProSiebenSat.1, Fake Reality, Coronaaufarbeitung, russische Desinformation)

+++ Über die Bilanz-Pressekonferenz von ProSiebenSat.1 berichten unter anderem dwdl.de, epd Medien und horizont.net via dpa. Der Konzern sei im vergangenen Jahr tiefer in die roten Zahlen gerutscht. Das ist das eine. Außerdem Thema ist die Definition der sogenannten werberelevanten Zielgruppe. Das waren für die privaten Fernsehsender lange die 14- bis 49-Jährigen. Timo Niemeier schreibt bei DWDL, überraschend sei angekündigt worden, "dass sich ProSiebenSat.1 auf Konzernebene künftig auf die 20- bis 59-Jährigen konzentriert – und nicht mehr wie bisher auf die 14- bis 49-Jährigen. Das ist insofern unerwartet, weil die Sendergruppe damit die Möglichkeit verschenkt, gemeinsam mit RTL Deutschland einen neuen Standard zu setzen." RTL nehme die 14- bis 59-Jährigen in den Fokus. Bei ProSieben und Sat.1 würden allerdings auch die 14- bis 20-Jährigen nach wie vor adressiert. Die Änderung auf Konzernebene sei daher kosmetisch, so Niemeier.

+++"Die Ära nach Fake News: Fake Reality", schreibt Sascha Lobo in seiner "Spiegel"-Kolumne: "Ein Aspekt davon sind die kommenden Möglichkeiten mit generativer künstlicher Intelligenz – aber in den Grundzügen sind Fake-Realitäten schon länger erkennbar. Am eindrücklichsten wahrscheinlich während der Pandemie, als sich Impfgegner:innen, Coronaleugner:innen und 'Querdenkende' in bis dahin kaum gekannter Geschwindigkeit und Intensität radikalisierten."

+++ In weiteren Texten beschäftigt sich der "Spiegel" ausführlich mit dem Stand der Aufarbeitung der Coronapolitik (Abo). Und, in einem Interview mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty (Abo), mit Desinformation als Teil der hybriden russischen Kriegsführung. Sie sagt: "(F)ür das, was gerade passiert, sind wir nicht gewappnet. Andere Länder sind viel weiter. Da wird zum Teil in den Nachrichten gewarnt, wenn es eine neue Desinformationswelle gibt oder im großen Stil Falschinformationen gestreut werden."

+++ Viel Fernseh- und Serienkritik auf den Medienseiten der Zeitungen heute, was freitags und samstags nicht ungewöhnlich ist. Die "SZ" schreibt etwa (Abo) über die Serie "One Day" auf Netflix. Die "FAZ" über die finale Staffel "Curb Your Enthusiasm". Und der "Tagesspiegel" (Abo) über den Wiener "Tatort". Unter Verdacht wohl: ein Staatsdiener.

(Für die Transparenz: Ich arbeite frei für den Online-"Spiegel" und Zeit Online.)

Am Montag schreibt das Altpapier René Martens. Schönes Wochenende!