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Das Altpapier am 5. April 2018Dresscode: schwarzer Anzug

Ein WDR-Korrespondent wird von zwei Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt. Hätte man ihn rauswerfen müssen?, fragen Stern und Correctiv. In der Zeit ist Jens Jessen auf Krawall aus und beklagt – die Nummer kleiner ist leider aus – einen "totalitären Feminismus". Und die taz geht davon aus, dass die meisten Frauen, die bei der Nannenpreis-Verleihung anwesend sein werden, die sind, die Männern die Getränke bringen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Der AutorKlaus Raab

Wir sind wieder mittendrin in der MeToo-Debatte. Der Stern und Correctiv berichten, der WDR habe sich einige Monate, bevor der Fall Weinstein publik wurde, "intensiv mit dem Thema sexuelle Belästigung befassen müssen". In der heute erscheinenden Stern-Ausgabe steht der entsprechende Text unter der Überschrift "Er nannte sich 'Alpha-Tier'" (Blendle-Link, 0,65 Euro) auf zwei Seiten im Gesellschaftsressort. Bebildert ist er mit dem Schattenriss eines dank Krawatte und blauer Hintergrundweltkarte als ARD-Fernsehmitarbeiter kenntlichen Mannes.

Die Recherche, gestern auch per Pressemitteilung verschickt, findet heute Eingang in andere Medien. In der SZ steht als Zusammenfassung, dieser Mann habe eine "Praktikantin während einer Dienstreise in sein Hotelzimmer eingeladen und ihr zum Champagner einen Pornofilm gezeigt; einer anderen Kollegin habe er per Mail sexuelle Avancen gemacht".

Der Stern ordnet den Fall selbst so ein:

"Der ARD-Korrespondent ist wohl kein zweiter Fall Dieter Wedel. Die Vorwürfe, die die 'Zeit' gegen den Filmregisseur zusammentrug, wiegen schwerer, es geht dort auch um Vergewaltigung. Ihre Macht missbrauchten allerdings beide Männer, um sich jungen, weniger mächtigen Frauen in eindeutiger Absicht zu nähern. Was die beiden Frauen im Fall des Korrespondenten ärgert: Der Journalist darf weiterhin für den WDR berichten."

Die im Folgenden aufgeworfene Frage lautet: Hätte der WDR anders reagieren müssen/können/sollen als, wie laut Stern und Correctiv geschehen, mit einem Eintrag in die Personalakte? (Bei stern.de wird entsprechend onlinig getitelt: "WDR-Korrespondent belästigte Praktikantin sexuell – und es blieb weitgehend folgenlos".) Der Stern holt dazu Meinungen von Fachleuten ein, die unter dem Strich sagen: Kündigung wäre möglich, aber ultima ratio. Der WDR, heißt es, "wollte sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. In den vergangenen zehn Jahren seien sieben Fälle von sexueller Belästigung aktenkundig geworden, erklärte eine Sprecherin."

Was auffällt, ist, dass in der Pressemitteilung sowie bei stern.de und correctiv.org im Anschluss an diese Passage davon die Rede ist, unter diesen sieben Fällen sei "ein weiterer bekannter Journalist des Senders, der regelmäßig in 'Tagesschau' und 'Tagesthemen' zu sehen ist". Im Print-Stern ist von einem "weiteren" nicht die Rede, sondern nur von diesem einen "bekannten ARD-Korrespondenten".

Entweder man hat in der Printversion also dieses Detail weggelassen, wofür es Gründe geben kann – dann wird über die Pressemitteilung (mit dem Hinweis "Quelle 'stern und Correctiv'") eine Exklusivinformation verbreitet, die der Stern selbst nicht hat. Oder es gab auf halbem Weg zwischen Print und Online bzw. Pressemitteilung ein Missverständnis, und es gibt gar keinen zweiten – dann wäre es bemerkenswert, dass bei stern.de und correctiv.org die Recherchen aus den eigenen Häusern nicht richtig gelesen werden, bevor man sie in der Welt verteilt.

Wem das zu korinthenkackerisch ist – ja, sorry. Wir würden trotzdem gerne noch kurz bei dieser Sache bleiben und noch einen anderen Aspekt erwähnen: In der Stern-Geschichte werden keine Namen genannt, weder die Namen der beiden betroffenen Journalistinnen noch ("aus rechtlichen Gründen") der Name des Mannes. Die Frage wäre halt, wie viele Hinweise man dann in so einem Text verstecken sollte.

Wann kommentiert Thomas Fischer?

Vielleicht wäre das auch eine Frage für Thomas Fischer. Es werden noch Wetten angenommen, ob und wann sich der ehemalige Richter und heutige Kolumnist zu Wort meldet, um die Veröffentlichung mit Anmerkungen zu versehen. Im Stern-Text ist zum Beispiel auch von einer eidesstattlichen Versicherung die Rede, die eine der beiden Frauen abgegeben habe; genau zu diesem Thema hat sich Fischer schon einmal geäußert, als er die Dieter-Wedel-Recherchen der Zeit kritisierte:

"'Eidesstattliche Versicherung' (EV) ist ein rechtstechnischer Begriff. Er gewinnt seine Bedeutung aus Paragraf 156 Strafgesetzbuch, der die Abgabe einer inhaltlich falschen EV unter Strafe stellt. Das gilt aber nur, wenn die Erklärung gegenüber einer Behörde abgegeben wird, die durch Gesetz zur Abnahme ermächtigt ist. Die Zeit-Redaktion ist eine solche Behörde ebenso wenig wie Rechtsanwälte. Die 'eidesstattlichen Erklärungen', über die bedeutsam berichtet wird, sind daher nicht mehr wert als das legendäre 'Ehrenwort'."

Aber bevor der Eindruck entsteht, wir wollten die Glaubwürdigkeit der sich äußernden Frauen anzweifeln – das ist nicht der Fall (zumal es im Stern auch heißt, der Korrespondent habe "die sexuelle Belästigung dann doch eingeräumt, er bereue das") –, schwenken wir hinüber zur Zeit.

Mann ohne Hose

Die Zeit titelt, anders als der Stern, der mit dem Foto einer jungen sportlichen Frau in engen Hosen aufmacht ("So werden Sie gesund und fit"), mit einem jungen sportlichen Mann ohne enge Hosen. Übrigens auch ohne weite Hosen. Man kann unter dem Strich sogar sagen, dass er gar keine Hosen anhat. Titelzeile: "Schäm dich, Mann!" So angekündigt wird "ein Wutausbruch von Jens Jessen" (€) (weil: "Männer darf man neuerdings nach Herzenslust niedermachen – alles, was sie tun, ist falsch").

Anders gesagt, Jessen ist auf Krawall aus. Er spricht davon, es sei "ein rhetorisches Hexenlabyrinth" errichtet worden, er spricht von einem "ideologischen Triumph des totalitären Feminismus" usw. Ich glaube ja, und das kommt jetzt vielleicht überraschend, dass Gruppenbeleidigungen und, überhaupt, diese ganzen Talkshowisierungsversuche der Debatte, in der erstaunlich viele möglichst hart mit verteilten Rollen herumranten, vielleicht gar nicht mal so irre konstruktiv sind. Wer nicht nur die überzeugen will, die eh schon auf der gleichen Linie sind wie man selbst, wird solche Trollismen vielleicht einfach mal weglassen müssen.

Andererseits ist es auch nicht viel konstruktiver, aus Debattentexten gezielt ausschließlich die Passagen herauszupicken, die erkennbar ein Reiz-Reaktions-Muster bedienen.

Vielleicht kann man also über einen von Jessens Punkten reden, auch wenn sich dessen pauschalisierende Formulierung in die insgesamt unangenehm schrille Tonlage des Texts einfügt. Er lautet: "Man muss einen Mann längst nicht mehr individuell in Augenschein nehmen oder einer Tat überführen. Er steht unter Generalverdacht."

Das mag wehleidig klingen, die "mimimis" wurden selbstredend bereits angestimmt. Und es ist auch eine absurde Pauschalisierung, so zu tun, als würde in der MeToo-Debatte ein großes Kollektiv mit koordinierten Aktionen die Ausrottung des Mannes verfolgen. Es gibt kein Kollektiv (siehe hierzu auch: Bernhard Pörksen über Konnektive – in diesem Altpapier).

Aber erfunden ist Jessens Beobachtung ja nun auch nicht. Mit jeder der nicht so seltenen Aufforderungen, sich in seiner Eigenschaft als Mann doch auch mal zum Fall Wedel oder Weinstein zu äußern oder mal über eigene Verfehlungen nachzudenken, wird man als Teil einer Tätergruppe behandelt. Vom Fahrlehrer, der im Rahmen einer Magazingeschichte auch mal was zu Dieter Wedel sagen soll, so "als Mann", bis zur kompletten männlichen Belegschaft eines Zeitungshauses werden Männer aufgefordert, sich zu den Taten anderer zu verhalten, nur weil sie auch Männer sind. Von der Machtstrukturkritik sind wir da schnell bei schematischen Zurechnungen.

Davon geht keine tatsächliche Bedrohung für irgendjemanden aus, insofern hätte man das auch mal in einer Randspalte auf 2.500 Zeichen schreiben können statt als großen Aufmacher-Rant. Aber klug, und das ist der Punkt von Jens Jessen an dieser Stelle, sind diese Zurechnungen nicht. Und damit hat er recht. Oder? Nein? Es ist jedenfalls nicht ganz so einfach. Ich dachte, vielleicht könnte man das mit dem Ziel der allgemeinen Debatten-Vergrauung mal hier hinschreiben – nicht dass im Lauf des Donnerstags noch Twitter explodiert vor Ärger über einzelne Jessen-Formulierungen, die bereits gescreenshottet wurden. Wäre schade um Twitter. Manchmal stehen da ja auch echt gute Witze.

Die Frauen beim Nannenpreis

Kommen wir aber doch zur Strukturkritik zurück. Anne Fromm schreibt in der taz:

"Als vergangene Woche Horst Seehofer seine neue Führungsmannschaft auf einem Foto präsentierte, waren sich ziemlich viele JournalistInnen einig: 'Geht gar nicht', meinten die KommentarschreiberInnen. Grund für die Einigkeit war Seehofers Entscheidung, sein Heimatministerium ausschließlich von Männern leiten zu lassen."

Als Beispiele zitiert sie SZ und FAZ und fragt nun: "Wie sähen denn die Fotos aus, wenn man die Führungsmannschaft dieser beiden Zeitungen zeigen würde?" Sie zählt durch, das Ergebnis ist: ja, genau – um schließlich aber festzustellen:

"(M)an muss keine Ressortleiterinnen und Chefredakteurinnen zählen, um zu sehen, dass Journalismus auch 2018 immer noch Männersache ist. Auf der Einladung für die diesjährigen Preisverleihung des Henri-Nannenpreises ist als Dresscode nur 'schwarzer Anzug' angegeben. Frauenkleidung wird nicht erwähnt. Das ist wenigstens ehrlich: Unter den 54 Nominierten sind vier Frauen. Die meisten Frauen auf der Preisverleihung werden wohl Schürze tragen und die Gläser der Männer auffüllen."

Tja. Tatsächlich sind Männergruppen in schwarzen Anzügen sicher näher an der Wirklichkeit als ein Mann, dem die Hosen weggenommen wurden.

Dass die Redaktion des Stern seit Dienstag in einer neuen Struktur arbeitet, wie Horizont berichtet, und die Ressorts nun in einem "Editorial Board" paritätisch mit jeweils einem Mann und einer Frau besetzt sind, sei dann allerdings auch erwähnt. Genau wie die datenjournalistische Aufbereitung der New York Times zur hauseigenen Diversity:

"(M)any of the numbers are moving in the right direction — though not far enough or fast enough. Over the past three years, representation of women has increased at every level of The Times. (…) The trend is not as uniformly positive for people of color."

Altpapierkorb (Facebook, "RTL aktuell", JWD, "Stranger Things")

+++ "Entsteht aus dem Facebook-Skandal ein ge­sun­des Ver­hält­nis zu Da­ten?", fragt Die Zeit im Wirtschaftsteil. Und behauptet: "Un­mög­lich ist das nicht."

+++ 30 Jahre "RTL aktuell" – der Tagesspiegel befragt aus diesem Anlass Peter Kloeppel.

+++ Zweite Welle der Joko-Winterscheidt-JWD-Magazin-Kritik: In der taz und, lustig von Julia Bähr, in der FAZ ("Man könnte meinen, die Interessen von Männern stagnierten in der Pubertät. Diese Themenmischung in Verbindung mit einer wahrscheinlich mal wieder ironisch gemeinten Seite voller verblüffend unlustiger Witze ist einfach perfekt – wenn die Zielgruppe aus Fünfzehnjährigen besteht. Die genug Geld haben für die beworbenen teuren Uhren.")

+++ Der Freitag wirft der SZ die Nutzung antisemitischer Klischees vor.

+++ Wurde für "Stranger Things" geklaut? Man diskutiert darüber (etwa FAZ, Spiegel Online).

+++ Der Essay des Merkur über Populismus ist vorübergehend online freigeschaltet.

+++ Was ist eigentlich neo am Programm von ZDFneo?, fragt Übermedien.

+++ Kommen wir aber nun endlich zu den wirklich wichtigen Sachen: Die ARD legt "Dingsda" neu auf (SpOn).

Frisches Altpapier gibt es am Freitag.