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Das Altpapier am 15. Juni 2018Was war hier der Auftrag?

Weniger Text auf den Websites öffentlich-rechtlicher Sender, dafür längere Verweildauer für Videos: Die Reform des Telemedienauftrags macht Mathias Döpfner glücklich, andere aber fassungslos. Der WDR entlässt seinen Fernsehspielchef. Wird der Fußball eine WM in Russland überleben? Wie beschissen ist das aktuelle Stern-Cover? Ein Rebelliönchen bei DuMont. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Die AutorinJuliane Wiedemeier

Wortungetüme vermögen Mathias Döpfner sehr zufrieden aussehen zu lassen. Zumindest, wenn dieses "Zweiundzwanzigster Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge" heißt und ihm den Lohn für Jahre des Lobbyismus bzw. Populismus auf Staatspresse-Nordkorea-Niveau verspricht. Das lässt sich an einem von faz.net bis Deutschlandfunk verbreiteten Foto ablesen, das auch zeigt, dass die Begeisterung über die gestern bei einer Pressekonferenz vorgestellte Reform des Telemedienauftrags (Altpapier) noch bis zu Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, dessen Staatskanzlei das Thema betreute, und Malu Dreyer als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder reichte, während das Lächeln der Chefs und Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender bis zu Stefan Raue vom Deutschlandradio immer verkniffener wird.

Warum? Das ist das Altpapier hier; wir haben viele Zeilen, es auseinanderzudröseln. Zunächst der Schnelldurchlauf, was laut Ministerpräsidenten der Länder geändert werden soll:

  • Die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote legen ihren Fokus auf Bewegtbild und Ton und überlassen das Schreiben den Presseverlagen. Manuskripte sowie Aktualisierungen dürfen jedoch weiterhin als Text veröffentlich werden. Für unklare Fälle richten Verlage und Sender eine paritätisch besetzte Schiedsstelle ein.
  • Die Sieben-Tage-Regel für die Mediatheken fällt. Zudem dürfen dort auch zugekaufte Produktionen eingestellt werden, solange sie aus Europa stammen und nur aus Deutschland abrufbar sind.
  • Die Sender dürfen audiovisuelle Inhalte ohne Sendungsbezug nur für das Netz produzieren und sollen zudem mit den Zuschauern bewusst den Austausch suchen, etwa über soziale Medien.

Die Pläne bedürfen noch der Zustimmung der Landtage.

"Es gibt heute nur Gewinner",

zitiert die Pressemitteilung der Ministerpräsidenten Döpfner - übrigens noch vor dem ARD-Vorsitzenden und den Intendanten von ZDF und DLR, mit denen sie sich beruflich eigentlich auseinandersetzen sollten. Aber Stargästen lässt man gerne den Vortritt. Zudem scheint die Politik im Angesicht aktueller Strömungen einfach froh, sich zumindest an dieser Front eines Krawallmachers entledigt zu haben. Er selbst formuliert das so:

"Die 'Angst, dass uns das ganze System um die Ohren fliegt', nannte Döpfner als wesentlichen Grund dafür, dass die Reform nun doch noch gelang." (Ulrike Schuster, Claudia Tieschky, SZ-Medienseite)

Und, Döpfner zum Dritten, diesmal in der Pressemitteilung des BDZV:

"Die Einigung ist ein wichtiger Faktor, um Journalismus in der digitalen Welt zu refinanzieren und damit die Medienvielfalt zu erhalten".

Hier gilt es eine kurze Fassungslosigkeits-Pause einzulegen, schließlich ist Döpfner doch sonst ein kluges Kerlchen. Kann er allen Ernstes glauben, die Refinanzierung des privatwirtschaftlichen Journalismus sei gerettet, wenn tagesschau.de weniger Text anbietet? Hat er schon einmal etwas von Focus Online gehört? Oder Facebook? Oder den Anzeigenpreisen, die auch der Springer-Verlag mit dem inflationären Anbieten von Werbefläche (Hallo, Klickstrecke!) komplett in den Keller gerockt hat? Nur zum Beispiel. Aber Bildungsbürger Döpfner vertraut wohl auf Hamlet, thinking makes it so, und warum sollte man das Prinzip Autosuggestion den Eso-Hipstern überlassen, die die Zeit bis zur nächsten Detox-Kur überbrücken müssen?

Es ist noch genug Hass für alle da

Fans des Beharkens zwischen ARD, ZDF und BDZV müssen aber nicht traurig sein. Denn zum einen mag zwar Mathias Döpfner befriedet sein; seine Verlagskollegen bei der FAZ horten noch genug Hass für die nächsten Jahrzehnte.

"Wenn man – mit allem Recht – der Ansicht ist, eine freie Presse sei für das Funktionieren einer Demokratie essentiell, dann ist die Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf sein Kerngeschäft ein Meilenstein (…). Paternalismus aber hat in einem freien Land nichts verloren",

poltert in seinem Kommentar auf Seite 8 (nur €) Reinhard Müller, während Michael Hanfeld auf der ersten Seite des Feuilletons (S. 9 und faz.net) noch einmal seine Klassiker spielt wie

"Für die ARD ging und geht es dabei um die Ausweitung ihrer publizistischen Kampfzone, für Zeitungen und Zeitschriften geht es um alles oder nichts. Sie müssen mit ihren Texten im Netz Geld verdienen, und das können sie nicht, wenn es eine durch den Rundfunkbeitrag von allen zwangsweise finanzierte Quasi-Presse gibt.

Und auch der NDR hat angekündigt, an der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil zur "Tagesschau"-App festzuhalten (Infokasten auf tagesschau.de).

Dabei sind das nur die Altlasten. Auch der nun gefundene Kompromiss bietet noch ausreichend Auslegungsspielraum, über den es sich zu zoffen lohnt. Dazu gehört die Frage, wie viel Text ein Fokus auf Video und Audio noch erlaubt.

Döpfner zum Vierten, zitiert bei @mediasres:

"Entscheidend ist, dass der Großteil der Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender auf den ersten Blick unterscheidbar ist und einen anderen Schwerpunkt hat. Dann müssen keine Worte gezählt werden. Wenn es eine Breaking-News gibt wird auch keiner den öffentlich-rechtlichen Sendern verbieten, die erstmal im geschriebenen Wort zu verbreiten."

Allerdings sind diese auf Texte nicht nur bei Regierungskrisen angewiesen, wie der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm im übrigens komplett transkribiert auf tagesschau.de angebotenen Interview mit Jan-Malte Andresen für Tagesschau24 erklärt:

"Wir erreichen ja ungefähr die Hälfte unseres Publikums über Suchmaschinen. Diese funktionieren derzeit nur mit Text. Wir würden also gar nicht gefunden, wenn wir nicht auch Texte hätten, in denen ein Mindestmaß an Schlagworten enthalten sein muss. Ein anderes Beispiel ist investigative Recherche: Auch dort ist der Text ganz notwendig, um zu dokumentieren, wie die Redaktion genau gearbeitet hat, wie sie ihre Befunde auch belegt."

Denkt denn mal jemand an den Beitragszahler?

Hinzu kommt ein weiterer, vom - verrückt! - Nutzer aus gedachter Faktor, auf den der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Frank Werneke, zitiert in der Pressemitteilung der Gewerkschaft, anspielt:

"Aber was dabei herausgekommen ist, verkennt die wahren Gegebenheiten im Netz und bleibt gedanklich in der anlogen Welt stecken (…) Wir glauben weiterhin, dass zum Internet alle Darstellungsformen gehören, selbstverständlich auch Text".

Auftritt des aktuellen Reuters Digital News Report der Universität Oxford (ausführlich unter digitalnewsreport.org, zusammengefasst bei Meedia), der feststellt, dass nur acht Prozent der Befragten ihre Nachrichten im Netz vorwiegend per Video konsumieren und 24 Prozent sich gar weniger Nachrichtenvideos wünschen.

Der Verlegertraum vom komplett audio-visuellen Internetauftritt öffentlich-rechtlicher Sender: Diese müssten mit dem Klammerbeutel gepudert sein, würden sie den wirklich verwirklichen. Weiter zugespitzt könnte man sogar sagen, sie hätten ihre Rundfunkgebühren nicht verdient, wenn sie nun ein Angebot machten, dass zwar deutsche Verlage beruhigt, aber an ihren zahlenden Kunden vorbeigeht.

"Haseloff ist überzeugt, die jetzige Einigung sei 'ein historischer Moment in der Geschichte der BRD'. In jedem Fall ist sie ein Sonderfall, weil es einem Lobbyverband privater Unternehmen gelungen ist, mit Verweis auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen wesentlichen Einfluss darauf zu nehmen, wie die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag gegenüber der Allgemeinheit im Netz erfüllen können",

schreibt Peer Schader bei DWDL. Und der Einfluss endet nicht mit dem gestrigen Tag und der BDZV-Performance auf einer Pressekonferenz, bei der Vertreter der Presse (nach alter Definition) auf dem Podium eigentlich nichts zu suchen gehabt hätten. Marvin Schade, Meedia:

"Mit der paritätischen Schlichtungsstelle (zuständig für Streitfälle bezüglich der Textmenge, Anm. AP), die nach Medienberichten einen Vorsitzenden haben soll, der in Pattsituationen entscheidet, geht es auch um neue Machtfragen. Mit ihr sichern sich die Interessenvertreter der Privaten Einfluss auf das öffentlich-rechtliche System".

Je länger man darüber nachdenkt, desto gruseliger wird dieser Lobbyerfolg deutscher Verlage. Man stelle sich vor, sie hätten all diese Energie in die Suche nach neuen Geschäftsmodellen gesteckt, statt in die Bekämpfung vermeintlicher Konkurrenten.

Fassungslose Filmschaffende

Es nicht genau so gemacht zu haben, darüber ärgern sich nun andere Interessenvertretungen. Zwar meinte Ministerpräsident Haselhoff, die Vertreter privater Rundfunkanbieter hätten nicht an den Verhandlungen beteiligt werden müssen, weil diese

"'nicht das Problem der Presseähnlichkeit' hätten und sich die Bedeutung der Frage nach Demokratie und Informationsfreiheit nicht im selben Maße stelle wie bei den Verlegern" (noch einmal Schader, DWDL).

Was die Macher von "RTL aktuell" zu dieser Einschätzung sagen, können wir vielleicht irgendwann nachliefern, uns aber heute schon denken. Fürs erste zitiert Petra Schwegler bei W&V Hans Demmel, den Chef des Verbandes, der VPRT war und heute Vaunet heißt. Er

"sieht die Öffnung der Mediatheken und damit die Liberalisierung des Telemedienauftrags 'sehr kritisch, da er weitreichende Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation seiner Mitgliedsunternehmen' habe."

Deutlichere Worte findet die Filmbranche (Alexander Krei, DWDL):

"'Wir sind fassungslos, dass die Politik die Bedenken der audiovisuellen Kultur- und Kreativwirtschaft komplett ignoriert und bis auf das Verbot der Presseähnlichkeit ausschließlich Interessen der Sendeanstalten bedient hat', sagte Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. (…) Die Organisationen stören sich vor allem an den deutlich ausgeweiteten Verweildauern von Filmen und Serien im Netz sowie an der Möglichkeit, auch Kaufproduktionen - etwa europäische Filme und Serien - in die Mediatheken einzustellen.

Nun ist es nicht so, als sei den Machern des Rundfunkänderungsstaatsvertrags diese Problematik völlig entgangen, wie sich dem Text (ganz recht: Text) von Daniel Bouhs für tagesschau.de entnehmen lässt:

"Gänzlich uneingeschränkte Mediatheken wird es aber auch künftig nicht gegeben, nicht zuletzt, da die öffentlich-rechtlichen Sender auch in Zukunft privaten Sendern nicht zu viel Konkurrenz machen sollen, vor allem wenn es um Unterhaltung geht. Außerdem müssen etwa Produzenten mehr Geld bekommen, wenn Sender ihre Inhalte länger frei im Netz anbieten wollen. Die Frage, welche Inhalte wie lange online bleiben dürfen, werden die Sender und ihre Gremien deshalb von Fall zu Fall unterschiedlich beantworten."

Aber der Eindruck bleibt hängen: Ein guter Tag war der gestrige vor allem für Mathias Döpfner. Ob dafür zu sorgen zur Kernkompetenz von Rundfunkpolitik gehören sollte, frage ich mich schon.

Gebhard Henke muss gehen

Es spricht für einen vollen Nachrichtentag, wenn die Entlassung des WDR-Fernsehspielchefs Gebhard Henke wegen des Vorwurfs sexueller Belästigungen nur in aller Kürze Platz findet.

"Aus Sicht des WDR besteht kein Vertrauensverhältnis mehr. (…) Henke wies die Vorwürfe zurück. Im Ergebnis hielt der WDR die von den Frauen geschilderten Vorfälle für schwerwiegend und glaubhaft",

erklärt der Sender per Pressemitteilung. Zeit Online, wo Charlotte Roche zuvor ihre Erfahrungen mit Henke ausführlich geschildert hat, rekapituliert die Hintergründe ausführlich und hat auch mit dem Anwalt Henkes gesprochen. Dieser betont die Unschuld seines Mandanten und erklärt, gegen die Kündigung vorgehen zu wollen. An Zitaten wie

"'Bei den Fällen ist kein einziger dabei, bei dem es um einen zurechenbaren schweren sexuellen Übergriff geht.' Bei einem Fall gehe es um eine freche Bemerkung, in einem anderen hätte die Betroffene das Gefühl gehabt, Henke habe sie zweideutig angeschaut. Außerdem gehe es einmal um einen ungewollten Zungenkuss",

könnte sich aber zeigen, dass hier unterschiedliche Vorstellungen vorherrschen, was Frauen als sexuelle Belästigung empfinden.

Die Taktik des WDR in der Sache kommentiert auf der Medienseite der SZ Hans Hoff:

"Wäre es lediglich bei einer Abmahnung geblieben, wären womöglich erneut Vorwürfe laut geworden, der WDR kehre Probleme unter den Teppich. Dem entzieht man sich jedenfalls, indem man entschlossen kündigt. Trotzdem ist es natürlich möglich, dass ein Arbeitsgericht die Kündigung kassiert und dafür sorgt, dass Henke in seinen Job zurück darf oder eine satte Abfindung erhält."

Altpapierkorb (Fußball-WM, Stern-Cover, Bouhs vs. Balkausky, Hasswort Shitstorm)

+++ Der aus Sicherheitsbedenken nicht zur Fußball-WM nach Russland gereiste Hajo Seppelt hat Karoline Meta Beisel für die Medienseite der SZ ein Interview gegeben: "Da stellen sich ganz viele Fragen, wie der Journalismus künftig mit dem organisierten Sport umgehen soll. Der Sportjournalismus muss erkennen, dass er hochpolitisch ist. Der Weltverband der Sportjournalisten hält sich bei der ganzen Geschichte übrigens auffällig bedeckt. Das spricht Bände." Auf der Medienseite der FAZ () sagt derweil der einstige Fußball-Chefkommentator Marcel Reif im Interview mit Jörg Seewald: "Der Fußball wird diese Weltmeisterschaft und auch die in Qatar überleben. (…) Der Fußball ist unkaputtbar. Das Spiel geht immer."

+++ Das sogenannte Nachrichtenmagazin Stern hat in dieser Woche ein besonders verstörendes Cover, haben etwa Mario Sixtus und Alf Frommer bei Twitter vermerkt.

+++ Genug ist genug: Die Redakteure von DuMont in Berlin rebellieren, ich möchte sagen: endlich mal, und zwar gegen die Abwicklung bzw. Zusammenlegung ihrer Hauptstadtredaktion mit Madsack (Verdi-Magazin Menschen Machen Medien).

+++ Daniel Bouhs und Axel Balkausky hätten ihren Streit (Altpapier) nicht öffentlich ausfechten müssen, findet Ulrike Simon (Irgendwas mit Spiegel). Bouhs hält bei Twitter dagegen, Stefan Niggemeier hilft mit.

+++ Mit Abstand auf die Talkshow-Debatte blickt Altpapier-Kollege Christian Bartels bei evangelisch.de.

+++ Renate Künasts Hasswort lautet Shitstorm (Übermedien).

+++ Das Bundeskriminalamt hatte gestern "Aktionstag zur Bekämpfung von Hasspostings" (tagesschau.de, Heise).

+++ Vom Kongress der International News Media Association (INMA) in Washington , der zuversichtlichen Stimmung und dem Kleidungsstil dort ("moderne Frisuren und Outfits, die leger sind, aber nicht vom Discounter stammen") berichtet Konrad Ege in der aktuellen Ausgabe epd medien (derzeit nicht online).

Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!