17. Juni 1953: ReaktionenVolksaufstand in der DDR: Keine Hilfe aus dem Westen
Als die Demonstranten in Berlin und anderen Städten in der DDR am 17. Juni 1953 sowjetischen Panzern gegenüberstanden, hofften viele von ihnen auf Hilfe aus dem Westen. Hatten sie nicht für freie Wahlen demonstriert? Für die Wiedervereinigung Deutschlands? Aber nichts geschah.
Inhalt des Artikels:
Der "Rundfunk im Amerikanischen Sektor", kurz RIAS genannt, unterstand der US-amerikanischen Militärverwaltung. Die Amerikaner ließen den deutschen Programmmachern journalistisch aber weitgehend freie Hand. In Ost-Berlin und der gesamten DDR war der RIAS beliebt wegen seiner Musiksendungen, aber auch wegen seiner "ungeschminkten" Berichte über Vorgänge in der DDR, die dort im staatlich gelenkten Radio so nicht zu hören waren.
RIAS informiert über Streik in Ost-Berlin
Die Reporter des Senders erfuhren relativ früh am Morgen des 16. Juni von den Demonstrationen in der Stalinallee und berichteten den ganzen Tag über im Halbstunden-Takt von den Ereignissen – auch über die Forderungen der Arbeiter, die sich zuerst nur gegen die Normerhöhung richteten, dann aber bis zum Rücktritt der Regierung und freien Wahlen gingen. Auch zum Generalstreik wurde aufgerufen. Der RIAS verstand sich zu diesem Zeitpunkt durchaus als Sprachrohr der Streikenden, die ja kein eigenes Medium zur Verfügung hatten.
Erst durch diese Sendungen im RIAS wurde im Rest der DDR überhaupt bekannt, was in Ost-Berlin passierte. Insofern spielte der Sender eine wichtige Rolle bei der Ausweitung des Ost-Berliner Arbeiteraufstandes zu einem Volksaufstand. Aber diese Rolle wurde von den Amerikanern zusehends mit Sorge betrachtet.
Das ging so weit, dass der amerikanische Kontrolloffizier beim RIAS, Gordon A. Ewing, den damaligen RIAS-Chefredakteur Egon Bahr anwies: "Das wird sofort eingestellt! Denn der Hochkommissar John McCloy hat mich angerufen, ob der RIAS denn den Dritten Weltkrieg beginnen wolle." Gleichfalls untersagt wurde dem Sender, fortan Aufrufe zum Generalstreik zu verbreiten.
Adenauer zögert
Im Juni 1953 steckte die Bundesrepublik mitten im Bundestagswahlkampf. Der Urnengang war für September angesetzt. Zur selben Zeit gab es Unsicherheiten im Verhältnis zu den West-Alliierten. Bundeskanzler Konrad Adenauer war nicht sicher, wie die neue US-Administration unter Präsident Dwight D. Eisenhower oder auch die Regierungen von Großbritannien und Frankreich auf die ersten versöhnlicheren Töne aus Moskau nach dem Tod Stalins reagieren würden. Von der Entwicklung in Ost-Berlin und der DDR war Adenauer dann ebenso überrascht wie die SED-Führung.
Einerseits sympathisierte die Bundesregierung mit dem Aufbegehren der Bevölkerung gegen die SED-Diktatur. Andererseits fürchtete sie eine Entwicklung, die Moskau zu gefährlichen Reaktionen herausfordern konnte, etwa einer direkten Konfrontation der Großmächte am Eisernen Vorhang. So setzte die Bundesregierung noch am Spätnachmittag des 16. Juni ganz auf eine Politik der Beschwichtigung.
Der Minister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, ließ um 22.40 Uhr über den RIAS eine Rede verbreiten, in der er sagte: "(Ich richte) an jeden einzelnen Ost-Berliner und an jeden Bewohner der Sowjetzone die Mahnung, sich weder durch Not noch durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen zu lassen. Niemand soll sich selbst und seine Umgebung in Gefahr bringen. Die grundlegende Änderung Eures Daseins kann und wird nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit und Freiheit erreicht werden." Aus diesen Formulierungen lässt sich auch eine gewisse Ohmacht herauslesen.
Auch Adenauer formulierte vorsichtig und eher in allgemeinen Floskeln vor dem Deutschen Bundestag am 1. Juli: "Die Bundesregierung hat in eindringlichen Botschaften an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den britischen Premierminister und den französischen Ministerpräsidenten den Appell gerichtet, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, dass dem deutschen Volk die Einheit und die Freiheit wiedergegeben werden."
"Eiserner Vorhang" bleibt bestehen
Im Januar 1953 hatte Dwight D. Eisenhower die Nachfolge von Präsident Truman angetreten. Als zwei Monate später Stalin starb und seine Nachfolger Friedenssignale Richtung Washington schickten, blieb der US-Präsident skeptisch. Zwar hatte er sich selbst in einer Rede am 16. April für eine Ost-West-Entspannung ausgesprochen. Aber er wollte erst abwarten, ob den versöhnlichen Moskauer Tönen auch Taten folgen würden. Insofern brachte der Volksaufstand vom 17. Juni für ihn Klarheit.
Das Eingreifen der Roten Armee war für ihn Beleg dafür, dass sich nichts an der harten Linie der Sowjetunion geändert habe, sie unter allen Umständen ihren Machtbereich jenseits des "Eisernen Vorhangs" bewahren wolle. Damit war aber auch klar, dass mit einer Wiedervereinigung Deutschlands außerhalb des sowjetischen Machtbereichs nicht zu rechnen war. Die US-Administration war keineswegs bereit, für Deutschland ein militärisches Abenteuer einzugehen, solange ihre alliierten Besatzungsrechte nicht bedroht waren.
Der Vorsitzende des Ministerrates der Sowjetunion, Georgij Malenkow, sagte in einer Rede vor dem Obersten Sowjet am 8. August 1953, wie das Verhältnis der Supermächte zueinander aussehen könnte: "Wir sind nach wie vor für ein friedliches Nebeneinanderbestehen beider Systeme. Wir sind der Ansicht, dass es keinen objektiven Grund für Zusammenstöße zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion gibt." Das bedeutete für die Situation in Deutschland nach dem 17. Juni: Beide Siegermächte respektierten die nach 1945 entstandene Teilung Deutschlands. Ihre Überwindung war keine ernsthafte Krise zwischen Moskau und Washington wert.
Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2012.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | Aufstand und Protest - Für welche Ideale lohnt es sich zu kämpfen | 11. Juni 2023 | 22:00 Uhr