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1. Juni 2022Ausstellung in Leipzig erinnert an die Beatdemo von 1965Musikgeschichte | 31. Oktober 1965

01. Juni 2022, 09:14 Uhr

Die Stiftung Friedliche Revolution eröffnet am 1. Juni 2022 mit einer Filmvorführung die Ausstellung „All you need is beat“ in der DenkmalWerkstatt Leipzig. Die Ausstellung auf dem Leipziger Leuschner Platz erinnert an den Leipziger Beataufstand von 1965. Aus Protest gegen das Verbot von 44 Beatgruppen hatten sich 1.000 Jugendliche am 31. Oktober 1965 zu einer Beatdemo in Leipzig versammelt. Die Polizei löste die Demo mit Wasserwerfern auf, die E-Gitarren blieben stumm.

von Kathrin Aehnlich

Es ist der 31. Oktober 1965, ein Sonntag in Leipzig, der unrühmlich in die Musikgeschichte des Landes eingehen soll. Noch zwei Jahre zuvor hat das Parteiorgan "Neues Deutschland" Tanz als Ausdruck "legitimer Lebensfreude und Lebenslust" propagiert. Der Höhepunkt der neuen Offenheit ist das "Deutschlandtreffen" während der Pfingsttage 1964 in Ost-Berlin. Die Mauer im Rücken gestattet der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht seiner Jugend Tanz auf allen Straßen.

"Man begriff natürlich, dass, wenn man die Jugend gewinnen will, auch das annehmen muss, was die Jugend bewegt und begeistert", sagt der damalige Jugendfunktionär Hans Modrow. Und so finden Amateur-Bands aus allen Teilen der Republik in Berlin ihr Publikum. Ob das "Diana Show Quartett" mit Frontmann Achim Mentzel oder die "Butlers" aus Leipzig – die Fans sind begeistert.

Die "Butlers" unter Beobachtung

In der Leipziger SED-Bezirksleitung aber, das wissen alle Musiker, sitzen "die größten Betonschädel". In einem "Sachstandsbericht zur operativen Bearbeitung der Kapelle "The Butlers" vom 9. September 1964 wird vorgeschlagen, "die Kapelle sowie die jugendlichen Gruppen, welche laufend Tanzabende dieser Kapelle besuchen, in die operative Bearbeitung zu nehmen".  Doch auch in Berlin gibt es Gegner der neuen Jugendpolitik. Vor allem der Verantwortliche für Sicherheitsfragen, Erich Honecker, wendet sich gegen Ulbrichts neues Musikverständnis. Vorerst noch ohne Erfolg.

Die Kulturpolitiker bescheren dem Land mit "DT 64", benannt nach dem Deutschlandtreffen der Jugend 1964, eine eigene Jugendwelle und die DDR-Plattenfirma "Amiga" presst zwei "Big Beat Sampler" mit Instrumentaltiteln vieler Amateurbands, darunter auch der "Butlers". In Leipzig wird darauf mit Unverständnis reagiert. So schätzt ein Funktionär der "Ideologischen Kommission der FDJ-Leitung der Stadt Leipzig" ein, dass Beatmusik "nicht zu einer positiven Erziehung der Jugend beiträgt. Ihm sei unverständlich, dass eine derartige Kapelle die Spielerlaubnis erhalten habe."

Aufruf zum Protest in Leipzig

Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass ausgerechnet die von vielen Ostmusikern angebeteten "Rolling Stones" dem fröhlichen Jugendleben ein Ende setzen. Das Konzert am 15. September 1965 auf der West-Berliner Waldbühne wird zum Fiasko. Nur eine knappe halbe Stunde dauert der Auftritt. Viel zu kurz, finden die Fans und lassen ihre Wut an den Sitzbänken aus. Es folgt eine Schlacht zwischen 21.000 Jugendlichen und 350 Polizisten.

Ängstlich verfolgen die Genossen aus Ost-Berlin die Vorkommnisse auf der anderen Seite der Mauer. Der Schuldige ist schnell gefunden: Die Beatmusik. Walter Ulbricht befindet sich im Urlaub, und es scheint, als hätte Erich Honecker, der Mann im Hintergrund, nur auf diesen Moment gewartet. Auf sein Drängen hin berät das Zentralkomitees über "Fragen der Jugendarbeit und das Auftreten des Rowdytums". Das Verhalten der Beatfans wird kriminalisiert und der Minister des Inneren beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, damit "Gammler in Arbeitslager eingewiesen werden" können. Die "staatlichen Finanzorgane" sollen nach Steuerhinterziehung bei den Gruppen fahnden, mit dem Ziel, den Musikern die Lizenz zu entziehen.

Das Flugblatt, das zur Demo am 31. Oktober 1965 aufrief. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dankbar greifen die Genossen in Leipzig die Empfehlung auf und verbieten sofort 44 Amateurbands, darunter die beliebten "Butlers". "Das war natürlich eine Zäsur", sagt der Musiker Klaus Renft. "Und das war ein Signal an die Jugend. Ende Oktober 1965 tauchten in Leipzig dann Flugblätter auf: 'BEATFREUNDE! WIR TREFFEN UNS AM 31.OKTOBER AUF DEM LEUSCHNERPLATZ ZUR DEMONSTRATION!'" Über 100 Volkspolizisten sind nach dem Auftauchen der Flugblätter im Einsatz, um der Verfasser habhaft zu werden. Polizisten in Zivil observieren die Stadt. Jeder Jugendliche, den sie bei einer öffentlichen Äußerung über das Beatverbot ertappen, wird zum Revier gebracht.

Die Leipziger Beatdemo

In den Vormittagsstunden des 31. Oktober 1965 treffen sich etwa 1.000 Beatfreunde auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Unter den Demonstranten sind die Musiker der "Butlers" und der Schriftsteller Erich Loest: "Da waren keine Spruchbänder und da waren keine Losungen, und da waren keine Rädelsführer, und die Jungs standen da ein bisschen, und ich bin überzeugt, nach einer Weile wären die still nach Hause gegangen." Klaus Renft erinnert sich so: "Plötzlich kam ein Polizeiauto mit vier Lautsprechern: 'Bürger, das ist eine illegale Ansammlung, bitte verlassen sie sofort die Straße!' Da haben wir uns auf den Bürgersteig gestellt. Da standen wir dann da wie die Heringe. Und es passierte wieder nichts." Was dann folgt, beschreibt Erich Loest in seinem Roman "Es geht seinen Gang":

Eine Minute später wurde uns ein seltenes Schauspiel geboten. Die Macht rollte über den Leuschnerplatz: vorn ein Jeep mit Polizeioffizieren, dahinter zwei Lastwagen mit aufgesessenen Bereitschaftspolizisten, im Zentrum ein Paradestück - ein Wagen, wie ein Elefant, das Fahrerhäuschen mit Sehschlitzen, wie ein Panzer, obendrauf eine Kuppel mit gedrungenem Rohr - ein Wasserwerfer.

Erich Loest | Es geht seinen Gang

Der Wasserwerfer treibt die Jugendlichen auseinander. Sie flüchten in die Gassen der Leipziger Innenstadt, verfolgt von Polizisten mit Hunden und Gummiknüppeln. 264 Personen werden – wie es in der Polizeisprache heißt – zugeführt. In einem sofortig eingeleiteten Strafverfahren werden 97 Jugendliche zu einem "mehrwöchigen beaufsichtigten Arbeitseinsatz als notwendige Erziehungsmaßnahme" in den Braunkohlentagebau Regis-Breitingen gebracht.

Die Demo ging von zwei Jugendlichen aus Markkleeberg aus, die mit einer Flugblattaktion zur Wiederzulassung der Beatbands aufriefen. Die Herkunft der Flugblätter ist bereits nach einer Woche geklärt worden. Am 7. November 1965 wird gegen zwei Brüder, Schüler einer Markkleeberger Oberschule, Haftbefehl erlassen.

BStU-Dokument zur Leipziger Beatdemo 1965 Bildrechte: BStU

Die "Monotonie des Yeah, yeah, yeah"

Honecker hat es geschafft. Walter Ulbricht muss handeln, um seine Autorität zu wahren. Zwei Tage nach dem Protest in Leipzig schickt er ein Rundschreiben an alle Bezirke, in dem er die Zwischenfälle als Anzeichen und Warnung ersten Ranges kennzeichnet. Sie hätten erneut bestätigt, "dass mit Hilfe der sogenannten Beat- und Gammler-Gruppen ideologische Zersetzungsarbeit geleistet werden soll. Es war falsch, dass von Seiten des Zentralrates der FDJ der Wettbewerb von Beatgruppen organisiert und die Auffassung verbreitet wurde, dass im Unterschied zu Westdeutschland Westschlager und Beatmusik bei uns keine schädliche Wirkung hervorrufen können."

Jetzt ist auch dem letzten Genossen klar: Diese Musik hat der Feind geschickt. Und Walter Ulbricht bringt es mit seinen oft zitierten Worten auf den "sozialistischen" Punkt: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Ich denke Genossen, mit der Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen."

Erinnerungskultur in Leipzig

Eine Plakat-Ausstellung, die vom 1. Juni bis zum 15. Juli 2022 in Leipzig gezeigt wird, thematisiert die Ereignisse rund um die friedlichen Proteste 1965. Zusammengestellt wurden die Exponate vom Archiv Bürgerbewegung e.V., unterstützt von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Damit möchten wir an den Leipziger Beataufstand von 1965 erinnern – und daran, dass der Leuschner-Platz ein authentischer Ort des Widerstandes gegen das DDR-Regime ist.

Gesine Oltmanns, Vorstandsmitglied der Stiftung Friedliche Revolution

Die Stiftung Friedliche Revolution war von der Stadt Leipzig im vergangenen Jahr mit der Entwicklung eines Konzeptes zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals beauftragt worden. Nachdem sie bereits im Februar mithilfe eines Bürgerrates mit dem Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz einen Ort für das künftige Denkmal vorgeschlagen hatte, legte sie Anfang März einen Konzeptvorschlag für das Wettbewerbsverfahren rund um die künstlerische Gestaltung des zukünftigen Denkmals vor. Ziel ist es, am 9. Oktober 2024 mit der Realisierung des Denkmals zu beginnen. 2008 hatte der Bundestag beschlossen, in Leipzig ein bundesdeutsches Freiheits- und Einheitsdenkmal zu errichten. Der erste Anlauf war 2014 gescheitert.
Die Stiftung Friedliche Revolution informiert auch im Internet und auf Instagram über das geplante Denkmal und den aktuellen Stand.

Einige Abschnitte dieses Artikels wurden erstmals 2012 veröffentlicht.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR-ZEITREISE | 04. August 2019 | 22:08 Uhr