7. April 1945Die Schlacht bei Struth: Schwerste Kämpfe auf thüringischem Boden
Als US-Truppen am 4. April 1945 in Struth einrücken, scheint der Krieg hier vorbei zu sein. Doch drei Tage später bricht die Hölle über das Eichsfeld-Dorf herein. Am Ende der schwersten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges in Thüringen sind über 300 Soldaten und Zivilisten tot und ein Dorf abgebrannt. Doch wie kam es dazu?
Der Zweite Weltkrieg scheint am 4. April 1945 für das kleine Dorf Struth gelaufen zu sein. Infanteristen der 3. US-Armee rücken an diesem Tag kampflos in den Ort im südlichen Eichsfeld ein. Die GIs beziehen Quartier und stellen ihre Fahrzeuge im Westen des Dorfes ab. Am selben Tag ziehen US-Truppen ebenfalls ohne Gegenwehr im zwölf Kilometer westlich gelegenen Mühlhausen ein.
Keine Westfront mehr
Wohl kaum jemand rechnet hier noch mit deutschem Widerstand. Wieso auch? Seit der Einschließung der 300.000 Mann starken Reste der deutschen Heeresgruppe B Ende März im "Ruhrkessel" gibt es de facto keine Westfront mehr. Die US-Armeen stoßen fast ohne Gegenwehr über die deutschen Autobahnen nach Osten vor. In Thüringen stehen ihnen Anfang April lediglich Reste der deutschen 7. Armee gegenüber, die einer Einschließung an der Ruhr nur knapp entgangen waren und seither in ständigen Rückzugsgefechten über Fulda in den Raum Gotha gelangt sind.
Zwei neue Armeen
Doch im deutschen Oberkommando hat man den Kampf noch nicht aufgegeben. Hitler träumt in seinem Berliner Führerbunker immer noch vom "Endsieg". Die NS-Propaganda verbreitet die Mär von den deutschen "Wunderwaffen", deren Einsatz kurz bevorstehe und die den gesamten Kriegsverlauf umkehren würden. Aus versprengten Resten der Ruhrarmee, Ersatztruppenteilen, Truppenschulen und anderen unterstellten Verbänden stellt das Oberkommando der Wehrmacht zwischen Westharz und dem Oberlauf der Weser die 11. Armee und zwischen Fläming, Dessau, Wittenberg und Halle die 12. Armee neu auf. Beide Großverbände sollen die Frontlücke im Westen schließen.
Vorstoß in die "tiefe Flanke"
Doch dafür müsste die 11. Armee nach Süden den Anschluss an die 7. Armee herstellen. Dazwischen haben sich aber mittlerweile die starken Panzer- und Infanterieverbände der 3. US-Armee geschoben, die sich in Mühlhausen, Gotha und auch in dem kleinen Dorf Struth festgesetzt haben. Die 11. Armee erhält den Befehl, mit einer starken gepanzerten Stoßgruppe aus dem Raum Heiligenstadt in Richtung Mühlhausen in die "tiefe Flanke" des Gegners vorzustoßen und die Verbindung zur 7. Armee herzustellen.
Zusammengewürfelte Kampfgruppe
Unter dem Oberst i.G. (im Generalstab) Hans-Heinrich Worgitzki wird eine mehr als 1.000 Mann starke Kampfgruppe mit etwa 30 Panzern, Sturmgeschützen und anderen gepanzerten Fahrzeugen aus den Resten verschiedener Truppenteile aufgestellt: Teile zweier Infanterieregimenter gehören dazu, Pioniere, Fallschirmjäger, Angehörige der Panzertruppenschule Eisenach, leichte Flak und eine Artillerie-Batterie mit vier 10,5-Zentimeter-Geschützen. Alles in allem aber viel zu wenig, um den geplanten "tiefen Flankenstoß" durch die viel stärkeren und besser bewaffneten US-Verbände erfolgreich führen zu können.
Angriff in der Nacht
In der Nacht zum 7. April versammelt Worgitzki seine Männer südwestlich von Dingelstädt bei den Dörfern Wachstedt und Küllstedt, wo sich seine Panzer am Sportplatz versammeln. Um 2:30 Uhr kommt der Angriffsbefehl. Einen Panzerangriff hört man – gerade nachts – über viele Kilometer weit: das Röhren der Panzermotoren, das Quietschen der Laufrollen, das Rasseln der Ketten.
Irgendwann in der Nacht bricht die Hölle über Struth herein. Die Bewohner werden aus dem Schlaf gerissen, sie hören Schüsse, erste Häuser brennen. Im Norden des Dorfes entwickelt sich ein verbissener Häuserkampf zwischen den Wehrmacht- und US-Soldaten. Um 6:30 Uhr folgt von Westen der deutsche Hauptangriff. Doch auch der bleibt im Abwehrfeuer der US-Truppen, ihrer massiven Artillerie und Granatwerfer liegen. Auch ein deutscher Flankenangriff auf das benachbarte, ebenfalls von US-Truppen besetzte Dörna wird unter hohen deutschen Verlusten abgewiesen.
US-Jagdflugzeuge greifen ein
Gegen 9 Uhr greifen US-amerikanische P-51-Jagdflugzeuge "Mustang" in das Kampfgeschehen ein. In den Nacht- und frühen Morgenstunden war dies wegen der schlechten Sichtverhältnisse nicht möglich. Noch bis zum Nachmittag tobt in Struth der Häuserkampf. Nachdem starke US-Kräfte mit Panzern auf Dingelstädt vorstoßen und damit die linke Flanke der Kampfgruppe Worgitzki in Küllstedt und Struth bedrohen, erhält ihr Kommandeur die Genehmigung zum Rückzug. Dabei geraten die aus Struth auf Küllstedt zurückgehenden deutschen Soldaten in einen zweiten Tieffliegerangriff.
Über 300 Tote und ein zerstörtes Dorf
Die Bilanz der einzigen Schlacht des Zweiten Weltkrieges auf thüringischem Boden ist verheerend: Über 250 deutsche und 50 US-Soldaten sind gefallen. Auch zahlreiche Zivilisten wurden getötet. 630 deutsche Soldaten sind in Gefangenschaft geraten. 65 Häuser, 77 Ställe und 88 Scheunen sind abgebrannt. Viele der Gebäude waren von den US-Amerikanern nach ihrer Rückeroberung angezündet worden.
Rückzug in den Harz
Dem Rest der deutschen Truppen gelingt es, sich durch die Wälder der Region in Richtung Harz abzusetzen. Dort bereitet sich die 11. Armee auf die Verteidigung des zuletzt für die deutsche Kriegswirtschaft wichtigen Mittelgebirges vor. Die US-Truppen stoßen zunächst auf Heiligenstadt und anschließend nach Osten vor. Am 11. April erreichen US-Truppen von Mühlhausen kommend Nordhausen, das zuvor bei verheerenden Bombenangriffen großflächig zerstört worden ist. Von hier ist es nicht mehr weit in den Harz, wo in den kommenden Tagen noch blutige Kämpfe auf die US-Truppen warten.