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Abas Aljaseem kam 2015 nach Deutschland. Inzwischen hat der Syrer seine Ausbildung zum Elektriker abgeschlossen und arbeitet in Leipzig. Bildrechte: MDR Investigativ

ArbeitsmarktBilanz: Was aus den Geflüchteten von 2015 und 2016 geworden ist

09. September 2023, 05:00 Uhr

Die Aufnahme zahlreicher Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 sorgt bis heute für Diskussionen. Immer wieder gibt es dabei auch den Vorwurf der Einwanderung in die Sozialsysteme – vor allem von Politikern der Union und der AfD. Doch wie sieht die Situation aus – ruht sich ein Großteil der Geflüchteten aus und geht keiner Arbeit nach?

Kabel ziehen, Kasten anklemmen und den Stromzähler anschrauben. Auf einer Baustelle in Leipzig kümmert sich Abas Aljaseem um die Elektrik. Anfang des Sommers hat der Syrer seine Ausbildung beendet. Seitdem ist er bei Preiß Elektroanlagen fest angestellt. Damit ist er einer von vielen Flüchtlingen, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, die nun arbeiten.  

Firmenchef Steffen Preiß sagt, Lehrlinge zu finden, sei relativ hoffnungslos. Fachkräfte werden händeringend in vielen Branchen gesucht. Doch mit Abas sei es gut gelaufen: "Er hat sich auch sehr gut integriert, kommt auch mit allen Mitarbeitern weitgehend klar. Und seine Arbeit macht er auch sehr gewissenhaft."

Aljaseem erzählt, dass er 2013 Syrien verlassen hat. Nach seinem Wehrdienst wollte er nicht in Assads Krieg ziehen. Er ging in die Türkei. 2015 sei er im Alter von 25 Jahren über Bulgarien auf einer Lkw-Ladefläche nach Deutschland gekommen. Was seine berufliche Entwicklung angeht, ist er ein positives Beispiel?

Geflüchtete aus 2015: Über die Hälfte sind erwerbstätig

Dennoch: Die Aufnahme Geflüchteter sorgt bis heute für politische Diskussionen. Immer wieder gibt es dabei auch den Vorwurf der Einwanderung in die Sozialsysteme. Ein aktuelles Beispiel: "Wir brauchen Einwanderung in die BRD in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig müssen wir aber auch die irreguläre Migration in die Sozialsysteme weiter begrenzen", erklärte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz Ende Juni dieses Jahres.

Doch der Leistungsbezug derjenigen, die mit der sogenannten "Welle" in den Jahren 2015 und 2016 kamen, geht kontinuierlich zurück: Rund 40 Prozent beziehen Sozialleistungen – Tendenz sinkend. Das bedeutet nicht, dass ein großer Teil komplett von Sozialhilfe lebt. Viele darunter sind sogenannte Aufstocker, bekommen wegen eines zu geringen Lohns Hilfen wie Wohngeld. Und: Da über ein Drittel minderjährig war bei der Ankunft in Deutschland, sind viele davon noch immer in der Ausbildung und noch nicht wirtschaftlich selbstständig.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesarbeitsagentur gehört, zeigt außerdem: Über die Hälfte derjenigen die 2015 kamen sind erwerbstätig. Bei denen, die ein Jahr länger hier sind, sind es 62 Prozent. Zum Vergleich: Die Erwerbsquote in Deutschland insgesamt liegt bei rund 76 Prozent.

Großteil arbeitet auf Niveau einer Fachkraft

"Zu den erstaunlichen Befunden gehört, dass 70 Prozent der Menschen mindestens auf Fachkraftniveau tätig sind oder darüber", sagt der Leiter der IAB-Studie, Professor Herbert Brücker. Davon seien vier Prozent Akademiker und sechs Prozent in komplizierten technischen Berufen tätig. Das sei erstaunlich, weil beim Zuzug nur etwa 30 Prozent studiert oder eine berufliche Ausbildung hatten. "Das hat sich inzwischen verbessert. Weitere 30 Prozent haben in Deutschland studiert oder eine Ausbildung gemacht oder Schulen besucht."

Das war in den Neunzigerjahren noch etwas anders, doch da seien auch die Bedingungen noch deutlich schlechter gewesen als heute, sagt die Professorin für Humangeografie an der TU Chemnitz, Birgit Glorius, die Migrationsbewegungen beobachtet: "Da sind sehr viele Geflüchtete aus Bosnien oder aus den ex-jugoslawischen Kriegen gekommen. Und wir hatten in diesen Jahren eine ungleich schlechtere Arbeitsmarktlage als jetzt."

Zum anderen würden es aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran überhaupt nur diejenigen bis nach Deutschland schaffen, die aus ihren Herkunftsländern mit guten Voraussetzungen starten. "Das heißt, wir haben unter denen, die in Deutschland angekommen sind, einen relativ großen Anteil von Mittelschichtfamilien", erklärt Glorius. "Von Personen, die entsprechende Bildungsressourcen mitbringen, die Geld mobilisieren konnten." Denn die Flucht über große Distanzen koste auch sehr viel Geld.

Arbeitsmarkt: Blick auf Menschen, die geflüchtet sind

Auch wenn die Geflüchteten zunehmend gut ausgebildet sind und zum überwiegenden Teil auf Fachkraftniveau arbeiten, liegt das mittlere Lohnniveau sechs Jahre nach Zuzug bei 60 Prozent des deutschen Durchschnitts. Das liegt einerseits daran, dass die jungen Migranten als Berufsanfänger starten.

Ein anderer Grund: "Dass die Geflüchteten überdurchschnittlich in Branchen arbeiten, die in dieser Hinsicht vielleicht problematisch sind", sagt Professor Brücker, der am IAB die Forschungen im Bereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung leitet. So seien etwa das Hotel- und Gaststätten-, das Bau- sowie das Transportgewerbe sehr stark vertreten. "Es ist aber nicht so, dass das überall Ausbeutungsverhältnisse sind, sondern häufig wird dort auch normal bezahlt."

Vollbrachte Leistungen und bestehende Vorurteile?

Denn Firmen sind zunehmend auf eingewanderte Migranten wie etwa den inzwischen ausgebildeten Elektriker Aljaseem angewiesen. Schlechte Bezahlung funktioniert da nicht. Dass Geflüchtete generell das Arbeitskräfteproblem lösen können, glaubt dessen Chef Preiß allerdings nicht: "Ich habe das mal eine Weile gedacht. Mit einem Abas hat es doch gut funktioniert. Aber wir haben auch mehrere gehabt, aus Syrien waren es zwei, und der Rest kann dann so aus Marokko, Libyen, wo es eben gar nicht geklappt hat, weil die Arbeitsmoral nicht da war."

Es habe auch Verständigungsprobleme gegeben – manchmal auch mit Kunden. "Wir haben ja noch eine Abteilung, die Tore und Türen macht. Dort waren ein Libyer und Syrer, die haben sie partout nicht reingelassen. Die Mieter haben die Garage nicht aufgemacht."

Integration ist anstrengend, kostet viel Geld und noch immer gibt es viele Probleme. Aber es sei ärgerlich, dass diese die öffentliche Debatte bestimmen, meint Brücker vom IAB: "Das ist im Prinzip eine kollektive Leistung, auf die aus – meiner Sicht – dieses Land stolz sein kann." Deshalb möge er das Narrativ nicht, das die Integration gescheitert sei. "Wir haben viele Probleme, wir haben auch noch Leistungsbezug, das ist gar keine Frage. Aber ich kann das Narrativ nicht teilen."

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. September 2023 | 20:15 Uhr

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