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Angesprochen - AusgesprochenDemokratieverlust durch Gendern? Verein fordert Rückkehr zum Standard-Hochdeutsch

15. Oktober 2022, 06:00 Uhr

Was ist der Plural von Bürger? Bürger, BürgerInnen, Bürger*innen, Bürger:innen? Und wie spricht man das? Eigentlich ist die Nutzung der so genannten Gendersprache freiwillig. Das, so sagt Sabine Mertens vom Verein Deutsche Sprache, werde behauptet. Inzwischen werde jedoch das Gendern von Verwaltungen, Bildungseinrichtungen oder Politik zunehmend vorgegeben. Mit einer Petition an den Bundestag möchten Mertens und ihr Verein eine Rückkehr zum Standard-Hochdeutsch erreichen.

von Rainer Erices, MDR THÜRINGEN

Bis zu 85 Prozent der Menschen in Deutschland lehnten die so genannte gendergerechte Sprache ab, sagte Sabine Mertens, und verweist auf Umfrageergebnisse. Selbst innerhalb der Parteien gebe es keinen Konsens dazu. Es sei falsch zu glauben, dass sich Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft durch ein Gendern der Sprache lösen lassen könnten.

Wir werden Ungerechtigkeiten, die es sicher gibt, nicht damit ausräumen, dass wir versuchen, solche Überzeugungen, was wir für gerecht halten, in einzelne Wörter rein zu hämmern.

Sabine Mertens, Verein Deutsche Sprache

Bekanntermaßen hat Angela Merkel von ihrem Amt als Bundeskanzler gesprochen. Sie verwendete als Frau das so genannte generische Maskulinum, also die geschlechtsneutrale Form des Wortes "Bundeskanzler", was sie nicht hinderte, rund 16 Jahre lang zu regieren. Sprache, so sagt Sabine Mertens, lebe von einer gewissen Bedeutungsoffenheit. Ob nun Männer, Frauen oder Menschen anderen Geschlechts in einem Text gemeint seien, erschließe sich aus dem Kontext.

Im Standard-Hochdeutsch würden beispielsweise beim Pluralwort "Bürger" alle Menschen mit Bürgerrechten angesprochen. In der Gendersprache dagegen werde das Wort sexualisiert, es werde auf das Geschlecht von Menschen verwiesen anstelle auf die eigentliche Bedeutung des Begriffs. "Ich empfinde es als Körperverletzung, wenn ich so etwas lesen oder sprechen soll oder auch hören muss, das finde ich nicht erträglich", sagt Mertens.

Befürworter: Gendern für mehr Vielfalt und Chancengleichheit

Menschen, die das Gendern befürworten, sehen das ganz anders. Texte werden meist im generischen Maskulin verfasst. Frauen würden damit sprachlich unsichtbar bleiben. Und das zementiere Rollenklischees in der Gesellschaft und benachteilige letztlich die Hälfte der Bevölkerung. Durch die Gendersprache sollen Frauen also nicht mehr nur mitgemeint sein, sondern auch wirklich erwähnt werden. Mit Sternchen oder Doppelpunkt sollen in der Sprache darüber hinaus Menschen mitgemeint sein, die sich keinem der beiden Geschlechter - männlich, weiblich - eindeutig zuordnen. Die deutsche Sprache soll damit Vielfalt und Chancengleichheit vermitteln.

Sabine Mertens hält dagegen: Im Alltag zeige sich, dass der Volksmund so spreche, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Bei der Grillparty etwa könne es vorkommen, dass die Gäste auf ihre Sprache achten. Dass sie allerdings anfangen zu gendern sei unwahrscheinlich.

Gendersprache "von oben nach unten durch die Hintertür"

Große Sorgen bereite ihr, dass die Gendersprache "von oben nach unten durch die Hintertür" und damit mit einem "totalitären Gebaren" durchgesetzt werden solle. Öffentliche Einrichtungen wie Stadtverwaltungen und auch Firmen oder Medien wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk kehrten sich ab vom Standard-Hochdeutsch, um vorgeblich geschlechtsneutral zu sein. Es entstünde ein Gruppendruck. Besonders gravierend sei diese Entwicklung an Universitäten. Die Wissenschaft lebt von Forschungsgeldern. Zwar sei Wissenschaft frei, doch "wenn man einen Antrag nicht gendert, dann bekommt man auch kein Geld". In einer Demokratie dürfe das nicht sein, sagt Sabine Mertens.

Im Gegensatz zu jenen, die das Gendern als Zeichen von Respekt vor der gesellschaftlichen Vielfalt und Chancengleichheit verstehen, sieht Sabine Mertens darin einen Wunsch nach Macht und Deutungshoheit. Die öffentliche Kommunikation werde durch das Gendern vergiftet. Sie glaube nicht, dass die Menschen etwa gegenderte Formulare ihrer Verwaltungen vorgesetzt bekommen wollten, um damit "von irgendwelchen amtsschimmeligen Gleichstellungsbeauftragten" vorgekaut zu kriegen, wie sie sprechen sollten. Das sei der Demokratie abträglich.

Im Interview spricht sie auch über Verleumdungen und Anfeindungen. Tatsächlich zieht ihr Verein regelmäßig scharfe Kritik auf sich - etwa als eine rückwärts gewandte Kampfgruppe von Sprachpuristen, wie es in einem Kommentar heißt.

Letztlich werde sich jedoch, erwidert Sabine Mertens, die Schönheit der deutschen Sprache durchsetzen und auch das Bedürfnis zur Sprachökonomie. Schließlich wollten die Menschen beim Lesen und Hören auch verstehen, worum es gehe.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Samstagmorgen | 15. Oktober 2022 | 06:10 Uhr

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