BSW-GründungWagenknecht-Partei BSW macht Fortschritte beim Aufbau Ost
Bisher traten beim "Bündnis Sahra Wagenknecht" eher Westdeutsche auf. Ostdeutsche standen, bis auf die Namensgeberin, weniger im Rampenlicht. Der "Aufbau Ost" der neuen Partei lief hier vorerst in kleineren Unterstützer-Gruppen an. Doch noch vor dem ersten BSW-Parteitag am Samstag in Berlin hat sich das Bild schon etwas geändert, auch in Sachsen und Thüringen.
- Strukturen in Ostdeutschland im Aufbau
- Unterstützer-Gruppen in Sachsen und Thüringen
- Paukenschläge in Thüringen: Prominente Überläufer
- Erster BSW-Parteitag am Samstag in Berlin
Bislang hat das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" prominentere Unterstützer eher im Westen. In Ostdeutschland fehlten noch bekanntere Namen – bis auf die frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, Sabine Zimmermann, in Sachsen und nun Katja Wolf in Thüringen. Der Übertritt der Oberbürgermeisterin von Eisenach wurde vor einer Woche bekannt.
Im Osten ging es bis dato noch kleinteiliger voran: Es gab lokale, eher noch schwach vernetzte Gruppen von Unterstützern, von denen zum Teil noch unklar war, ob sich alle auch unter dem Dach einer BSW-Partei vereinen lassen.
Schwerpunkte lagen bisher im Westen von Thüringen und in West-Sachsen im Kreis Zwickau.
Angesichts dessen, was das BSW 2024 vorhat – unter anderem Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, möglicherweise auch in Brandenburg – müsste der Aufbau hier nun schnell gehen. Und, wie MDR AKTUELL erfuhr, wollen in Thüringen viele Unterstützer hier auch schon am 26. Mai an Kreistags- und Stadtratswahlen teilnehmen. In Sachsen finden Kommunal- und Europawahl gleichzeitig am 9. Juni statt.
Gute Aussichten für das BSW im Osten
Das BSW geht mit hohen Erwartungen in seine Aufbauphase als Partei. Umfragen attestieren ihr erhebliches Potenzial. Rund neun Monate vor der Landtagswahl in Thüringen kam eine Insa-Umfrage für die Funke-Zeitungen im Land auf stolze 17 Prozent für das BSW. Damit wäre eine Mehrheit ohne AfD und Linke in Thüringen möglich, wenn die CDU mitmachen würde.
Eine Insa-Umfrage für Blätter in Brandenburg sah das BSW dort bei 13 Prozent. Eine Bundeskanzlerin Wagenknecht wünschten sich 17 Prozent der von YouGov für die dpa kürzlich dazu befragten Leute.
Doch zum Gesamtbild gehören auch weniger tolle Ergebnisse. Die jüngste Forsa-Umfrage für RTL/ntv sah das BSW bei der Sonntagsfrage zuletzt unter drei Prozent bundesweit, eine vorherige zur Landtagswahl in Thüringen nur bei vier Prozent und bei diesem Wert auch in Sachsen. Bei einer Umfrage von Infratest dimap für dem MDR waren es jetzt acht Prozent.
Finanziell geht es voran
Finanziell scheint es auch zu laufen: Wie "Der Spiegel" meldete, hat die Wagenknecht-Partei eine private Spende von einer Million Euro erhalten, von einem vermögenden, aber nicht prominenten Paar aus Ostdeutschland. Auch könnten die neun Bundestagsabgeordneten des BSW als Gruppe mit rund fünf Millionen Euro pro Jahr vom Bund rechnen.
Bis zur offiziellen Parteigründung am 8. Januar 2024 hatte das BSW nach vorläufigen Berechnungen schon etwa 1,4 Millionen Euro gesammelt – zum größten Teil aber wohl in kleineren Beträgen, auch aus dem Ausland.
Strukturen in Ostdeutschland nötig
Das Potenzial ihrer neuen Partei möchte die Ex-Linke Wagenknecht 2024 möglichst ausschöpfen, bei der Wahl des EU-Parlaments und auch bei der Wahl der Landtage in Sachsen und Thüringen am 1. September und dann vielleicht am 22. September auch in Brandenburg.
Dazu braucht es BSW-Strukturen in den Ländern, wie die frühere Linke-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann im DLF schon im Dezember gesagt hatte: "Wir wollen in Sachsen einen Landesverband gründen, und wir wollen natürlich auch punktuell zur Kommunalwahl antreten." Ein BSW-Verband im Land könnte demnach Ende Februar entstehen.
Zurückhaltung bei der Mitglieder-Aufnahme
Bisher dürfte das BSW in Sachsen etwa 40 Mitglieder haben. Zahlen zu Aufnahme-Anträgen kann und will bisher niemand nennen. Wie man hört, werden Beitrittsgesuche derzeit aber nicht eilfertig durchgewunken.
Wagenknecht hatte angekündigt, genau hinzusehen, wer ihrem Bündnis zuläuft. Bis zum Gründungsparteitag sollten demnach bundesweit maximal 450 Leute aufgenommen werden.
In Ostdeutschland suche sie nach Kandidaten, die auch eine "mögliche Regierungsbeteiligung" begleiten könnten, sagte sie bei der Talkrunde eines Online-Portals kürzlich in Düsseldorf. Das BSW müsse Fraktionen bilden, "die im Zweifel eine regierende Partei tragen können". Von wechselwilligen Landtagsabgeordneten ist bisher noch nichts bekannt. Wagenknecht selbst kann ohne Wohnsitz hier bei den Landtagswahlen nicht antreten.
Auch SPD-Wähler sollten im BSW wieder eine "politische Adresse" finden, sagte Wagenknecht in Düsseldorf. Sie hoffe aber auch auf AfD-Wähler, die nicht rechts, sondern "wütend, enttäuscht und politisch heimatlos" seien.
Mit der AfD selbst sehe sie inhaltlich aber keine Gemeinsamkeiten, sagte Wagenknecht am Rand der Veranstaltung. Gerade mit dem im Osten starken rechtsextremen Flügel der AfD sei eine Zusammenarbeit unmöglich.
Betriebsamkeit in kommunalen Gruppen
Vor allem in Thüringen und Sachsen herrscht nun rege Betriebsamkeit. In Telefonaten mit BSW-Unterstützern vor Ort ist viel Enthusiasmus zu spüren, wobei noch nicht immer klar wird, wer gerade wo den Hut aufhat.
Klar war das bisher nur bei der Ex-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann in Sachsen. Sie hat zwar nach eigenem Bekunden etwa über eine Landtagskandidatur noch nicht nachgedacht, gilt hier aber als "Landeskoordinatorin" für den BSW und das wegen ihrer Herkunft auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Sie ist auch in Berlin weiterhin bestens vernetzt, dort bekannt als engagierte Sozialpolitikerin der Linken im Bundestag – von 2005 bis 2021. Dann aber bekam sie als Direktkandidatin im Wahlkreis Zwickau kein Mandat mehr, auch weil die Linke ihr keinen Listenplatz gab. Jetzt ist sie Stadträtin in Werdau, wo ihr kürzlich drei Stadträte der Linken zum BSW folgten.
Zimmermann sprach bei Exakt von etwa 300 interessierten Leuten in Sachsen, von denen etwa die Häfte politisch erfahren sei, weil sie Ex-Linke seien oder von der SPD kommen. Auch von der CDU ist es mindestens einer: Stefan Müller aus Dresden, wie die "Sächsische Zeitung" berichtete.
Paukenschlag in Thüringen
In Thüringen erinnerten lokale Unterstützer-Gruppen noch an Strukturen der Freien Wähler. Ob sie alle in der Partei aufgehen, muss sich noch zeigen. BSW-Vereinsgründungen gab es im Wartburgkreis und in Sonneberg.
Hier jedoch änderte sich das Bild vor einer Woche schlagartig, als Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf ankündigte, die Linke zu verlassen, um 2024 statt in der Stadt nun für Wagenknecht und den Landtag zu kandidieren.
Die heute 47 Jahre alte Wolf war 2012 zur Oberbürgermeisterin gewählt worden. Der "Thüringer Allgemeinen" versicherte sie, lange mit sich gerungen zu haben. Sie wolle so aber nun vor allem einen Erfolg der AfD im Land verhindern. Ob sie Spitzenkandidatin wird, ist noch offen. Vorläufig ist sie das prominenteste Gesicht der Wagenknecht-Truppe in Thüringen.
Wagenknecht selbst sagte der Zeitung, es gebe in Thüringen jetzt "ein kompetentes Kernteam" für die Partei. Dazu gehörten neben Wolf auch der Medien-Unternehmer Steffen Schütz aus Eisenach und Matthias Herzog, der in Erfurt die Geschäfte des dortigen Profi-Basketballclubs führt.
Zudem wurde jetzt bekannt, dass auch der ehemalige Bürgermeister von Hildburghausen, Tilo Kummer, zum BSW wechselt. Das bestätigte er dem MDR THÜRINGEN und sagte, er habe der Linken seinen geplanten Austritt bereits mitgeteilt. Kummer war von 1999 bis 2019 für die Linke im Thüringer Landtag und von 2020 bis zu seiner Abwahl 2023 dann Bürgermeister.
Weitere BSW-Gruppierungen aktiv
Am Sonnabend vor zwei Wochen gab es in Gotha nach Informationen von MDR AKTUELL ein Präsenztreffen von etwa 40 Unterstützern des BSW aus ganz Thüringen. Weitere Treffen könnten nach dem Berliner Parteitag folgen, berichtete ein Teilnehmer. Man wolle dem aber nicht vorgreifen.
Als "Landeskoordinatorin" in Thüringen war auch die frühere Linke-Bundestagsabgeordnete Sigrid Hupach im Gespräch, unter den Leuten in Sonneberg und im Wartburgkreis in dieser Rolle aber noch unbekannt. Der "Thüringer Allgemeinen" bestätigte Wagenknecht zuletzt nur, dass auch Hupach zu den derzeit etwa 20 Thüringer BSW-Mitgliedern gehöre.
In Ostsachsen gab es am Dienstagabend eine Veranstaltung zur Information von Mitgliedern, Interessierten und Unterstützern in den Kreisen Bautzen und Görlitz, wie der MDR SACHSENSPIEGEL berichtete.
Schlagzeilen hatten in Sachsen zuvor vor allem die Übertritte aus der Linken im Westen des Landes gemacht, in Zwickau und Werdau. Auch in Riesa soll es Übertritte geben.
Noch unklar erscheint eine mögliche Rolle des BSW-aktiven Ex-Linken John Lucas Dittrich in Magdeburg. Er ist 19 Jahre alt und hatte zuletzt intensiver für Wagenknecht die Werbetrommel gerührt. Mit dem Blick auf Wahlen hat das Bündnis in Sachsen-Anhalt aber auch noch etwas Zeit.
Dittrich kündigte indes bereits an, dass das BSW im Juni "in einigen Kreisen" zu Kommunalwahlen antreten wolle. Wie er der dpa sagte, kümmern sich in Sachsen-Anhalt aktuell etwa 20 Personen um den Aufbau der Partei. Im Laufe des Jahres solle auch ein Landesverband entstehen. Man habe Unterstützer aus der Linken gewonnen, dabei zwei frühere Landtagsabgeordnete, jedoch "auch Anfragen aus anderen Parteien". Man wolle sie sorgfältig prüfen.
Landesverbände und Landtagswahl-Listen
Echten Zeitdruck hat das BSW in Sachsen und Thüringen. Lokale Vereine können zwar bei Europa- und Kommunalwahlen antreten, nicht aber bei Bundes- und Landtagswahlen. Für letztere braucht es also mehr, vor allem Kandidatenlisten, die das mögliche Potenzial abdecken könnten.
In Sachsen könnte das BSW zwar auch mit mindestens zwei persönlich starken Kandidaten in den Landtag kommen, die Wahlkreise direkt gewinnen. In Brandenburg würde sogar ein gewonnener Wahlkreis reichen.
In Thüringen jedoch ist die Fünf-Prozent-Hürde unumgänglich. Hier, wie aber auch in Sachsen, geht es also vor allem um Zweitstimmen für Wahllisten. Laut Wagenknecht könnte auch in Thüringen ein Landesverband im Februar oder im März gegründet werden und ein Listenparteitag im April stattfinden.
Bis 4. Juni muss in Sachsen und Thüringen eine Beteiligung der Wahlleitung angezeigt werden, bis 28. Juni müssen die Landeslisten und Vorschläge für die Wahlkreise abgegeben sein. Wahlvorschläge für Kommunalwahlen müssen meist sogar bis März bei den kommunalen Wahlleitungen sein.
Gründungsparteitag und Europawahl
Bei dem nun ersten BSW-Parteitag am Samstag im "Kosmos" auf der Karl-Marx-Alle in Berlin geht es darum sicher auch um den weiteren Aufbau in den Ländern. Nach der Wahl des ersten Parteivorstands geht es aber vor allem um die Europawahl am 9. Juni. Dafür sollen eine Kandidaten-Liste aufgestellt und ein Europawahl-Programm beschlossen werden.
Auch das Ex-SPD- und Ex-Linke-Mitglied Oskar Lafontaine ist dabei. Der jetzt 80 Jahre alte Ehemann von Wagenknecht hatte wenige Tage vor dem Parteitag auch seinen eigenen Beitritt zu der Neugründung seiner Frau bestätigt.
mit dpa/AFP
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 27. Januar 2024 | 19:30 Uhr