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Corona-PolitikKommentar: Karl Lauterbach in Isolation

28. Juli 2022, 07:20 Uhr

Die deutschlandweite Inzidenz der Corona-Infektionen liegt bei über 600. Die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. Trotzdem gibt es so gut wie keine Einschränkungen mehr, und es wird sogar über weitere Lockerungen diskutiert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach kämpft und warnt weiter vor der Pandemie, aber damit ist er mittlerweile ziemlich allein.

Die Pandemie ist nicht vorbei. Auch nicht, wenn noch so viele Ärzteverbandschefs und Liberale sie gerne beenden wollen. Der Gesundheitsminister wirkt in seinem Kampf gegen die pandemiemüde Öffentlichkeit alles andere als routiniert. Recht behalten wird er höchstwahrscheinlich trotzdem, aber dann könnte es mal wieder zu spät sein.

Corona? Der Mensch, das vergessliche Wesen

Der Mensch ist ein vergessliches Wesen. Da braucht es nur vier Wochen, in denen die Corona-Politik in der öffentlichen Debatte keine allzu große Rolle spielt und schon scheint es so, als könnte man die Pandemie links liegen lassen. Wozu über Fallzahlen und Schutzmaßnahmen reden, wenn doch die Lufthansa streikt? Wozu über den Herbst reden, wenn der Sommer ohne Corona-Einschränkungen so viel Spaß macht? Da liest man in seinem Newsfeed lieber eine aufgewärmte Atomkraftwerk-Debatte. Muss ja Ewigkeiten her gewesen sein, dass wir die zuletzt geführt hatten. Wie gesagt: Der Mensch ist ein vergessliches Wesen. Doch eine Frage sollte erlaubt sein: Wollen wir uns tatsächlich den dritten Herbst in Folge überraschen lassen?

Das Kommunikationsproblem des Herrn Lauterbach

Einer, der die Pandemie nicht vergessen zu haben scheint, ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Er rudert, warnt und kämpft den Kampf eines Ministers, dem die Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten wohl so viel zuhören mussten, dass ihnen jetzt jegliches Interesse an seinen Appellen abhanden gekommen ist. Lauterbach hausiert mit der Zahl von einhundert Corona-Toten pro Tag, erklärt, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Zuhören wollen ihm dabei die wenigsten.

Der Gesundheitsminister empfiehlt die vierte Impfung für Menschen unter 60 Jahren, die ständige Impfkommission (Stiko) widerspricht. Eine Vielstimmigkeit, die sicher niemandem hilft. Schon gar nicht all jenen, die noch unentschieden sind, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht, tönt es in der Presseschau. Moment mal, kann es diese Menschen nach drei Jahren Pandemie überhaupt noch geben?

Journalistinnen und Journalisten attestieren Lauterbach jedenfalls ein Kommunikationsproblem und beschweren sich über eben jene Vielstimmigkeit. Eine Vielstimmigkeit, die im dritten Pandemiejahr auch niemanden mehr überraschen dürfte. Wie kommt sie zustande? Die Stiko ändert erst dann ihre Empfehlungen, wenn sie durch genügend Studienergebnisse belegt werden. Das braucht seine Zeit. Ein Minister, der aufgrund seiner Erfahrungswerte eigene Empfehlungen abgibt, ist nicht verpflichtet abzuwarten. Ob er damit in der Öffentlichkeit gut ankommt, ist eine andere, eine politische Frage und vor allem am Ende sein Problem.

Wundersame Vorschläge vom Kassenärzte-Chef

Fünf Tage Quarantäne sind fünf Tage zu viel. Dieser Meinung ist zumindest der Kassenärzte-Chef Andreas Gassen. Wer krank ist, soll zu Hause bleiben, "wer sich gesund fühlt, geht zur Arbeit" – so das neue Credo des Kassenärzte-Chefs, der angesichts des grassierenden Personalmangels im Gesundheitswesen und anderswo recht wundersame Vorschläge entwickelt. Übersetzt bedeutet Gassens Vorschlag letztlich nichts anderes, als dass mit Coronaviren infizierte Ärzte demnächst Risikopatienten behandeln würden. Wohlgemerkt gibt es dieses Phänomen auch schon heute. Testen muss sich in vielen Krankenhäusern nur noch, wer auch tatsächlich Symptome hat.

Ungeimpfte, alte Menschen und Vorerkrankte müssten sich also nach Gassens Vorschlag im Krankenhaus auf noch deutlich mehr Risikokontakte in weißen Kitteln vorbereiten. Wie Gassen den Personalmangel mit einer enormen Ansteckungswelle entschärfen will, bleibt schleierhaft. Die Überlastung des Gesundheitssystems wäre eine Frage der Zeit. Dazu kommt Gassens Forderung in einer Situation, in der doppelt so viele Patientinnen und Patienten coronabedingt in deutschen Krankenhäusern behandelt werden wie zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr. Kein gutes Timing.

Dennoch scheint Lauterbach mit seinen Vorstößen in der öffentlichen Debatte angezählt und isoliert. Und das, obwohl Gewerkschaften, Lehrerverbände und viele Virologinnen und Virologen ihm beipflichten.

Am Ende werden aber weder Kubicki noch Gassen darüber entscheiden, ob die Isolationspflicht von fünf Tagen gekippt wird oder nicht. Das entscheiden laut Infektionsschutzgesetz die Bundesländer und die können sich bislang nicht für die Umsetzung des liberalen Vorstoßes erwärmen.

Wann habe ich mich das letzte Mal getestet?

Die FDP und Gassen fordern mehr Eigenverantwortung beim Umgang mit der Pandemie. Doch auch ohne dass man Isolationspflichten aussetzt, geht es bereits jetzt um Eigenverantwortung. Jede Bürgerin und jeder Bürger darf für sich die Entscheidung fällen, ob sie oder er sich noch testen lassen will. Für manche ist dieses Vergnügen zu teuer geworden, andere haben es aus Faulheit schleifen gelassen, wiederum andere haben es nie gemacht und werden jetzt auch nicht damit anfangen. Unser Testverhalten entscheidet jedoch maßgeblich, ob Infektionsketten unterbrochen werden können oder nicht. Die Frage: Wann habe ich mich das letzte Mal getestet, so ganz eigenverantwortlich, dürfte spätestens im Herbst wieder entscheidend werden.

Ob die Pandemie im Herbst und Winter erneut hochkocht und massive Einschränkungen oder gar Lockdowns drohen, wird sich letztlich wahrscheinlich nicht daran entscheiden, ob der deutsche Gesundheitsminister und die Stiko mit einer Stimme sprechen. Entscheidender dürfte es werden, dass Bürgerinnen und Bürger sich testen und auch zu Hause bleiben, wenn sie infiziert sind.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 27. Juli 2022 | 06:00 Uhr

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