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PestizideDeutschland: Braucht die Landwirtschaft Glyphosat?

30. November 2023, 05:00 Uhr

Die EU will Glyphosat für weitere zehn Jahre zulassen. Laut Koalitionsvertrag soll das Pflanzengift Ende 2023 vom deutschen Markt genommen werden. Nun steht die Frage im Raum: Welche Vor- und Nachteile hat Glyphosat für die Landwirtschaft in Deutschland?

Obwohl Glyphosat hochumstritten ist, will die EU das Pflanzengift für weitere zehn Jahre zulassen. In Deutschland dagegen hat die Ampel-Regierung sich eigentlich darauf geeinigt, Glyphosat bis Ende dieses Jahres vom Markt zu nehmen - so steht es im Koalitionsvertrag. Unter anderem, weil der Unkrautvernichter mit für den extremen Rückgang von Insekten und vielen anderen Tierarten auf Deutschlands Feldern und Äckern verantwortlich gemacht wird. Doch was sagen Landwirte dazu?

Also hier ist jetzt kein Schmetterling oder sonst irgendein Käfer.

Mark Heubach | Landwirt

Mark Heubach steht in der Nähe von Erfurt auf seinem Feld. Hier stand Weizen, jetzt nur noch die Stoppeln, dazwischen sprießendes Grün. Seit Jahren hat der Landwirt auf diesem Feld kein Glyphosat gespritzt. Heubach will zeigen, dass dort dennoch kaum Insekten zu finden sind. In einem engmaschigen, weißen Kescher, mit dem er an diesem Tag Mitte Oktober über das Feld streicht, verfangen sich nur zwei kleine Fliegen. "Also hier ist jetzt kein Schmetterling oder sonst irgendein Käfer."

Heubach war in der Vergangenheit öffentlich als Befürworter von Glyphosat aufgetreten. Inzwischen ist er sich aber unsicher hinsichtlich der Auswirkungen des Pflanzengifts auf die Biodiversität. Auch die europäische Zulassungsbehörde EFSA hatte diesen Punkt weitgehend offen gelassen und von "Datenlücken" gesprochen. Dennoch geht der Thüringer Landwirt davon aus, dass die Auswirkungen für die Tierwelt auf diesem Weizenstoppelfeld gering wären, würde hier zur Vorbereitung einer neuen Aussaat Glyphosat gespritzt. "Es ist die letzte Anwendungsmöglichkeit für Glyphosat überhaupt, wo wir Landwirte das einsetzen dürften. Mehr Möglichkeiten haben wir nicht."

Glyphosat als Alternative zum Pflug

Mark Heubach steht auf seinem Feld. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Früher durfte Glyphosat zum Beispiel beim Weizen noch kurz vor der Ernte angewendet werden – damit alles gleichmäßig abtrocknet und leichter zu ernten ist. Das ist heute verboten. Inzwischen dient Glyphosat in erster Linie dazu, vor der Aussaat alles im Boden zu beseitigen, was keimen könnte – um so die Konkurrenz unerwünschter Beikräuter von vornherein abzutöten. Es ist eine Alternative zur Bodenbearbeitung mit dem Pflug.

Was würde es also für konventionelle Landwirte bedeuten, wenn Glyphosat verboten würde? "Ich muss einfach mehr Bodenbearbeitung machen. Ein, zwei Bearbeitungsgänge mehr, um die Fläche quasi saatfertig hinzubekommen", erklärt Heubach. "Jeder Bearbeitungsgang mehr führt dazu, dass der Boden lockerer wird. Und dass organische Substanz, die jetzt aufliegt, immer mehr verschwindet. Und dadurch wird der Boden erosionsanfälliger." Das sei für ihn auch das Hauptargument für den Einsatz des Pflanzengifts: bodenschonender arbeiten und Erosionen verhindern. Also vermeiden, das Wind und Regen fruchtbare Erde abtragen.

Heubach hat so etwas erst vor ein paar Monaten auf einem seiner Felder erlebt – das Wasser nach einem Starkregen hat einen Teil seiner Pflanzen weggespült. Jetzt ist die Stelle kahl und es fehlen auch 15 Zentimeter Muttererde. "Hier haben wir jetzt nur noch Unterboden, wo nichts mehr wächst!" Er befürchtet, bei einem Anwendungsverbot von Glyphosat würden sich solche Ereignisse häufen. "Die Starkregenereignisse haben wir jedes Jahr überall!"

Biobauer setzt auf Fruchtfolge gegen Erosion der Böden

Wie sieht das bei Biobauern aus? Die dürfen kein Glyphosat einsetzen und müssten so theoretisch immer mehr wertvolle Muttererde verlieren. Axel Heinze ist seit über zwei Jahrzehnten Biolandwirt in Sachsen.  Er sagt, dass für ihn Erosion kein großes Problem ist. Das Rezept: die Fruchtfolge.

"Unsere Flächen sind nicht erosionsgefährdeter gegenüber den konventionellen Betrieben", so Heinze. Natürlich soll auch auf seinen Feldern kein wertvoller Boden verloren gehen. "Wir machen das zum Beispiel über mehrjährige Feldfutterpflanzen. Oder sofort, nachdem das Feld abgeerntet wurde, wird bei uns – genauso wie im konventionellen Bereich – der Stoppelumbruch gemacht. Und dann steht ja schon die nächste Aussaat in der Regel an."

Auch ohne Glyphosat kann man erosionsschonend arbeiten.

Gerald Wehde | Bioland-Verband

Es geht dabei darum, den Boden möglichst nicht ohne Bepflanzung zu lassen. Ähnliches erklärt der agrarpolitische Sprecher des Verbandes Bioland, Gerald Wehde, gegenüber MDR Investigativ. Auch er hält das Argument ´Kein Glyphosat ist gleich Erosion´ für falsch: "Auch ohne Glyphosat kann man erosionsschonend arbeiten. Ich will ja, dass ganzjährig Pflanzen draufstehen. Dass dort, wenn Starkregen runterkommt, eben nicht viel Boden abgespült wird."

Gerade Mais sei laut Wehde anfällig für Erosionen. "Mais wird eben im konventionellen Landbau, auch gerade für Biogas, massiv in großen Mengen angebaut." Im Biolandbau werde Mais sehr viel seltener gesät. "Das heißt: Wenn ich andere Kulturen anbaue, habe ich auch weniger Erosion!”

Wirtschaftlicher Nachteil auf dem Weltmarkt befürchtet

Jan Gumpert ist Chef einer Agrargenossenschaft. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie sieht die Realität also in großen Landwirtschaftsbetrieben aus – könnte dort auf Glyphosat verzichtet werden? "Fachlich ist das für uns gar kein Problem! Wir haben die Technik, wir haben das Know How, wir haben die Mitarbeiter", sagt Jan Gumpert, Chef der Agrargenossenschaft Agraset aus Erlau in Sachsen. Dort werden mehrere tausend Hektar konventionell bewirtschaftet.

"Aber: Unsere Produkte werden auf dem Weltmarkt gehandelt", so Gumpert. "Und wenn wir uns vergleichen müssen mit Ländern, die dieselben Produkte herstellen, aber dabei Glyphosat einsetzen, dann ist das wirtschaftlich für uns ein riesiger Nachteil!” Ein Verzicht auf Glyphosat würde die Produktion verteuern, sagt Gumpert. Er schätzt: um sieben bis acht Prozent.

"Wir haben im Moment ein System von immer größer, immer mehr und immer billiger", sagt Bioland-Sprecher Wehde. Deswegen müssten politisch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Landwirte mit weniger Pestiziden dennoch wirtschaften könnten. "Das heißt, die müssen auch gefördert werden."

Verband fordert höhere Förderung für ökologischen Umbau

Bereits jetzt gibt es viele Förderungen für ökologische Leistungen. Doch die Landwirte müssten für den Umbau noch stärker gefördert werden. Darauf hat auch die noch von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzte "Zukunftskommission Landwirtschaft" in ihrem Abschlussbericht von 2021 hingewiesen.

Gleichzeitig stellte die Kommission fest, dass ein "Weiter-So" viel teurer werde: durch die Verschmutzung von Luft und Gewässern, dem Verschwinden von Insekten und vielen weiteren Tierarten. Die Kommission hat im Abschlussbericht die Folgekosten geschätzt, die der Gesellschaft durch Schäden dieser Art entstehen – eine Hypothek auch für künftige Generationen: "Danach verursacht die deutsche Landwirtschaft externe Kosten von mindestens 90 Milliarden Euro pro Jahr.”

Klar ist: Durch eine verlängerte Zulassung von Glyphosat in der EU wird erschwert, was die Ampel-Parteien in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben: Glyphosat in Deutschland bis Ende des Jahres vom Markt zu nehmen. Die Unionsparteien CDU und CSU haben gerade einen Antrag im Bundestag eingebracht, Glyphosat auch in Deutschland für die nächsten zehn Jahre zuzulassen – ohne irgendwelche Einschränkungen. Mithin ein klares Bekenntnis zum Weiter-So.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 29. November 2023 | 20:15 Uhr

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