Unter der Lupe – die politische KolumneKann Berlin Demokratie? Zweite Chance für die Hauptstadt
Setzen sechs, Strafrunde für eine ganze Stadt. Die Berlinerinnen und Berliner müssen am Sonntag erneut an die Urne und dürfen den Beweis antreten, dass sie sich von einer gescheiterten Landtagswahl nicht die Lust an der Demokratie verderben lassen. Immerhin: Über mangelnde Spannung im Wahlkampf können sich die Hauptstädter nicht beschweren. Das Rennen ums Rote Rathaus ist eng, denn weder Regierung noch Opposition erfreuen sich großer Beliebtheit.
- Außerhalb der Hauptstadt ist "Berlin-Bashing" zur beliebten Disziplin geworden, dabei leidet Berlin am meisten an sich selbst.
- Das Rennen ums Rote Rathaus ist, schaut man auf die Umfragen, der Wettstreit von Not gegen Elend.
- Schaut man auf mögliche Konstellationen nach der Wahl, erscheint Streit zwischen den Parteien vorprogrammiert.
Allein die Tatsache, dass Berlin-Bashing (umgangssprachlich für Hauptstadt-Heruntermachen) ein feststehender Begriff ist, zeigt, wie schwer es viele Menschen mit der deutschen Hauptstadt haben. Allen Kritikerinnen und Kritikern sei versichert: Die Hauptstadt hat es mit sich selbst am schwersten. Das kann der Autor dieses Textes aus eigener Erfahrung berichten.
Einen traurigen Höhepunkt der Berliner Misserfolgs-Chronik bildet der 26. September 2021: Am dem sonnigen Sonntag scheitert Berlin an dem, was in anderen Bundesländern als Selbstverständlichkeit gilt: An einer regulären Landtagswahl. Wahllokale, die zwischenzeitlich schließen, Wahllokale mit falschen Stimmzetteln, Wahllokale mit längeren Schlangen als ein Apple-Store, Wahllokale, die nach der ersten Hochrechnung um 18 Uhr noch geöffnet sind und Wählerinnen und Wählern die Gelegenheit geben, nach bereits veröffentlichten Prognosen noch Ergebniskosmetik vorzunehmen.
Das klingt nicht nach Bundeshauptstadt, sondern nach "Failed State". All das wird in seiner Peinlichkeit nur dadurch übertroffen, dass die politischen Verantwortlichen, insbesondere in der SPD, tatsächlich lange Zeit die Meinung vertreten, die Wahl müsse vielleicht gar nicht wiederholt werden. Der Berliner Verfassungsgerichthof beendet schließlich die unwürdige Debatte mit einem Urteilsspruch. "Angesichts der Vielzahl und Schwere der Wahlfehler", könne nur mit einer kompletten Wahlwiederholung der verfassungsgemäße Zustand wiederhergestellt werden. Dass es auch so kommt, hoffen vor Sonntag nicht nur die Berlinerinnen und Berliner.
Das Rennen ums Rote Rathaus
Es könnte sehr eng werden, beim Rennen um das höchste Amt im Stadtstaat. Schaut man auf die Beliebtheitswerte der zur Wahl stehenden Köpfe und Parteien, sieht man auch warum. Not gegen Elend, diese traurige Überschrift zur Wiederholungswahl ist durchaus gerechtfertigt.
Die große Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ist mit ihrer rot-grün-roten Landesregierung unzufrieden. Die gebotenen Alternativen von CDU über FDP bis AfD scheinen aber auch niemanden so richtig zu überzeugen. Kein Wunder also, dass ein Drittel der Wahlberechtigten kurz vor der Wahl angibt, noch unentschieden zu sein.
Zwar führt die CDU in den Umfragen und kann im Vergleich zur vergangenen Wahl deutlich aufholen, doch nur lediglich ein Drittel der Berlinerinnen und Berliner kann sich die Konservativen an der Regierungsspitze vorstellen.
Auch wenn es in den letzten Wochen vor der Wahl auf einen Zweikampf zwischen SPD und CDU hinauszulaufen scheint, sind auch die Hoffnungen der Grünen auf den Wahlsieg noch nicht verloren. Dass die Wahlsieger am Ende auch den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin stellen, ist dabei noch nicht ausgemacht – Berlin eben.
Rechen- und Ränkespiele
Wer kann und will mit wem? CDU-Spitzenkandidat Wegner und FDP Spitzenmann Sebastian Czaja können gut miteinander. Das liegt natürlich nicht nur daran, dass Czajas großer Bruder Mario als CDU-Generalsekretär die Fäden im Konrad-Adenauer-Haus zieht. Law and Order, Sicherheit und Bürokratieabbau – es passt eben inhaltlich – aber wahrscheinlich nicht mathematisch. Um zu regieren bräuchten Union und FDP einen dritten Partner.
Mit der AfD wollen beide nicht koalieren und weder SPD noch Grüne scheinen sich mit den klima- und verkehrspolitischen Vorstellungen der ziemlich besten schwarz-gelben Freunde begnügen zu wollen. Zu Beginn des recht kurzen Wahlkampfes versuchten Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch, Linken-Spitzenkandidat Lederer und die amtierende Bürgermeisterin und SPD-Kandidatin Giffey noch, sich gegenseitig die Stimmen wegzunehmen. Angesichts einer drohenden CDU-Regentschaft rückten die rot-grün-roten Koalitionäre jedoch schnell wieder enger zusammen.
Liebe sieht jedoch anders aus. Sollte es so kommen, dass die CDU die meisten Stimmen holt, könnte es sein, dass die links-grüne Wagenburg hält und der CDU mangels Koalitionsoptionen nur die große Empörung bleibt.
Die Mär vom Wahl-Klau
Dass es so kommen könnte, befürchten nicht nur Berlins Konservative sondern auch einige Berichterstatter im Springer-Verlag. Eine Woche vor der Wahl berichten Bild und ihr Berliner Ableger BZ über einen angeblichen rot-grünen "Wahlklau", der bereits vorbereitet werde. Gemeint sind angebliche Absprachen zwischen SPD, Grünen und Linken, auch im Falle einer Niederlage koalieren zu wollen. Das ist nicht nur Trump-Sprech in Reinform, sondern auch schlichtweg falsch und demokratieverachtend.
Sollte es so kommen, dass Rot, Grün und Rot lieber miteinander arbeiten wollen als mit dem Wahlsieger, dann wäre das kein Diebstahl, sondern Demokratie in Reinform. Schließlich besteht Demokratie aus Mehrheiten und ohne Mehrheit wird es nichts mit dem Traum vom Roten Rathaus.
Mit welchem zweifelhaften Rückhalt und Image eine Bürgermeisterin der Zweitplatzierten regieren müsste, ist eine ganz andere Frage. Sicherlich stünde es keiner der links-grünen Parteien gut zu Gesicht, ein solches Bündnis einzugehen. Klar ist aber auch, dass die drei Koalitionäre inhaltlich deutlich mehr Überschneidungen haben und tatsächlich miteinander arbeiten könnten.
Bitte macht es nochmal und dieses Mal richtig
Mit diesen Rechenspielen im Hinterkopf dürfte es schon direkt nach Verkündung der ersten Prognose zu sehr pikanten Schlagabtäuschen kommen. Wer erlangt die Deutungshoheit über den Wahlsieg? Der Lärm des Wahlabends wird auch im Regierungsviertel der Bundesregierung seinen Wiederhall finden.
Man kann den Berlinerinnen und Berlinern nur wünschen, dass sie nicht die Lust am Wählen verloren haben. Am Wahlsonntag kann Berlin beweisen, dass es Demokratie kann.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. Februar 2023 | 06:00 Uhr
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