EnergiewendeUnser Stromnetz muss intelligenter werden
Mit Wärmepumpen und E-Autos wächst der Strombedarf teils deutlich. Hohe Nachfrage kann in Zukunft lokale Leitungen zu Spitzenzeiten überlasten, fürchtet die Bundesnetzagentur. Unter anderem Verbraucherschützer drängen derweil darauf, das Stromnetz intelligenter und die Tarife flexibler zu machen.
- Lokale Überlastungen bereiten Netzbetreibern mehr Sorge als mangelnder Strom aus Erneuerbaren Energien.
- Mitnetz Strom: Wärmepumpen verbrauchen 20 Prozent mehr Strom als 2018.
- Wissenschaftler Volker Quaschning: Ohne zeitflexible Tarife landet die Energiewende in einer Sackgasse.
"Ich verstehe, dass es kein schönes Gefühl ist, wenn man vor seinem Stromkasten steht und der Stromzähler intelligenter ist als man selber", polemisierte der SPD-Abgeordnete Robin Mesarosch Mitte Februar im Bundestag. In der Debatte ging es um einen Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende. Eine intelligente Steuerung der Stromnetze und des Verbrauchs gilt als Schlüssel für den Erfolg der Erneuerbaren Energien. Bis diese tatsächlich den Strombedarf vollständig decken, müssen viele Entwicklungen Hand in Hand gehen.
Sogenannte Smartmeter können nicht nur den Stromverbrauch zählen, sondern auch mit Stromanbieter und Netzbetreiber kommunizieren. Für Zukunftsmodelle wie zeitvariable Tarife sind sie entscheidend: Dabei wird der Strom teurer, wenn gerade wenig produziert wird oder umgekehrt eine lokale Leitung durch hohe Nachfrage besonders viel gleichzeitig transportieren muss. Durch entsprechende Preise sollen Anreize entstehen, damit etwa nicht zu viele Haushalte in einem Viertel gleichzeitig ihre E-Autos laden.
Sorge vor Überlastung durch langsamen Netzausbau
Denn derzeit stehen die Netzbetreiber vor einer doppelten Herausforderung: Erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraft können wetterabhängig unterschiedlich viel Strom produzieren. Speicher können das zwar ausgleichen – sind aber deutlich teurer, als wenn der Strom möglichst dann genutzt wird, wenn er gerade produziert wird. Zum anderen müssen Leitungen regional teils deutlich mehr Strom transportieren, da sich der Strombedarf durch Wärmepumpen und Wallboxen zum Laden von E-Autos insgesamt erhöht.
"Wir gehen davon aus, dass der Stromverbrauch in Deutschland sich irgendwann verdreifachen wird, selbst wenn es gelingt, viel Energie einzusparen", erklärt dazu Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, im Gespräch mit MDR AKTUELL. Doch während die Zahl der Wärmepumpen und Elektroautos ebenso steige wie der Anteil Erneuerbarer Energien und Speicher, komme man beim Netzausbau nicht immer hinterher.
Gerade letzteres sieht die Bundesnetzagentur als Problem. "Es geht nicht um einen Mangel an Strom – davon gibt es genug", stellt Sprecher Fiete Wulff klar. Die Netze könnten aber sehr lokal vor Herausforderungen stehen, wenn etwa in einer Straße viele Haushalte gleichzeitig ihre E-Autos laden wollen. In den Stromnetzen entstehe dann eine Art Stau. Um solche Überlastungen örtlicher Leitungen und daraus folgende Stromausfälle zu verhindern, hat die Bundesnetzagentur daher Vorschläge für eine Regelung vorgelegt.
Wenn wir nicht handeln, kann die Realität zukünftig oft so aussehen: Sie wollen eine Wallbox oder Wärmepumpe anschließen. Der Netzbetreiber lehnt Ihren Antrag ab, weil er eine lokale Überlastung seines Netzes befürchtet.
Fiete Wulff | Bundesnetzagentur
Wenn man nicht handele, könne die Realität zukünftig oft so aussehen, warnt Wulff: "Sie wollen eine Wallbox oder Wärmepumpe anschließen. Der Netzbetreiber lehnt Ihren Antrag ab, weil er eine lokale Überlastung seines Netzes befürchtet. Oder er sagt zum Beispiel: Das geht nur unter der Bedingung, dass die Anlage täglich zu bestimmten Zeiten nicht geladen werden kann." Das würde jedoch Verunsicherung schaffen und den Ausbau der E-Mobilität behindern. "Deswegen sagen wir: Die Netzbetreiber müssen die Anlagen in jedem Fall anschließen." Ein Vorschlag der Bundesnetzagentur ist daher, dass Netzbetreiber zwar eingreifen dürfen, Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen aber eine Mindestleistung zur Verfügung stehen muss.
Zeitflexible Tarife sollen Stromverbrauch steuern
Dagegen fürchtet ein Bündnis aus Verbraucherzentralen (vzbv), Automobilindustrie (VDA), Wärmepumpen-Branche (BWP) und Neuen Energieanbietern (bne), dass gerade die Pläne der Bundesnetzagentur die Attraktivität von Wärmepumpen und E-Autos gefährden. Zwar sei es richtig, das Prozedere für mögliche Überlastungssituationen zu regeln. Die derzeitigen Pläne würden den Netzbetreibern aber dennoch zu umfangreiche Möglichkeiten geben, den Strom ganz abzustellen, kritisiert das Bündnis in einem offenen Brief. Stattdessen brauche es zusätzliche Schritte, damit das gar nicht erst notwendig werde.
"Was uns fehlt, ist, dass man auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein freiwilliges Instrument anbietet, was zeitlich noch vorgeschaltet ist", sagte Thomas Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen diese Woche bei MDR AKTUELL. Das Bündnis fordert daher zeitvariable Tarife. Auch Quaschning sieht in einem solchen Tarifsystem ein notwendiges Steuerungsinstrument: "Man muss also niemanden abschalten, sondern die Leute sagen dann: Das ist mir zu teuer, ich lade freiwillig mein Auto später."
Der Energie-Wissenschaftler geht sogar noch einen Schritt weiter. Auch lokal brauche man künftig unterschiedliche Tarife, "weil wir Gebiete haben, die sich bei der Energiewende und beim Netzausbau verweigert haben". Als Beispiel führt er Bayern an, wo kaum Windräder gebaut werden. Wenn dort in einem ländlichen Bezirk im Winter viele Haushalte gleichzeitig versuchten, ihr Elektroauto zu laden, gebe es zwar theoretisch ausreichend Windstrom dafür – der müsse aber aus dem Norden transportiert werden, sodass es zukünftig zu einer Überlastung von Leitungen kommen könne.
Deutlicher Anstieg von Wärmepumpen und E-Autos
Zwar sehen Fachleute aktuell keine Probleme bei der Versorgung. Doch je mehr der Ausbau von Wärmepumpen und Elektromobilität voranschreitet, desto stärker muss auch das Stromnetz entsprechend angepasst werden. Die Mitnetz Strom GmbH etwa verzeichnete im vergangenen Jahr in ihrem Netzgebiet rund 31.000 Wärmepumpen mit einem Verbrauch von rund 440 Gigawattstunden. Damit sei der Verbrauch seit 2018 um 20 Prozent gestiegen, teilt das Unternehmen mit. Bei den Ladepunkten für E-Autos sei der Verbrauch im selben Zeitraum sogar um fast 100 Prozent auf rund 1,5 Gigawattstunden gestiegen. Rund 8.000 Ladepunkte gebe es derzeit im Netzgebiet, das Teile Sachsens, Sachsen-Anhalts, Brandenburgs und auch Thüringens umfasst.
Allein im Jahr 2021 mussten in Deutschland rund 6.000 Gigawattstunden regenerativ erzeugter Strom abgeregelt werden. Damit hätten rund 2,4 Millionen E-Fahrzeuge ein ganzes Jahr lang fahren können.
Mitnetz Strom
Auch die Mitnetz Strom wirbt für eine "Smartifizierung des Netzes". "Allein im Jahr 2021 mussten in Deutschland rund 6.000 Gigawattstunden regenerativ erzeugter Strom abgeregelt werden. Damit hätten rund 2,4 Millionen E-Fahrzeuge ein ganzes Jahr lang fahren können", heißt es auf den Seiten des Netzbetreibers. Vergangenen Sommer führte das Unternehmen ein Pilotprojekt mit der Volkswagen-Tochter Elli durch, bei der rund 20 Fahrerinnen und Fahrer von E-Autos mithilfe einer App und eines Algorithmus im Hintergrund ihre Fahrzeuge luden. "Finanzielle Anreize optimierten das Nutzerverhalten. Einbußen beim Ladekomfort oder Engpässe im Stromnetz gab es keine", bilanziert Mitnetz Strom.
Allerdings gebe es solche zeitvariablen Netzentgelte bisher eben nur in einzelnen Pilotprojekten, wendet die Bundesnetzagentur ein. Auch bei der Bundestagsdebatte zur Digitalisierung der Energiewende im Februar räumte der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann zwar Fehler seiner Partei in der Vergangenheit ein. Mit Blick auf Eichung und Zertifizierung sogenannter Smartmeter – also intelligenter Stromzähler – warnte er aber auch davor, dass es in 16 Bundesländern zu unterschiedlichen Umsetzungen kommen könne. Ziel müsse ein europaweiter Standard sein.
Digitale Lösungen oder Abschaltvorrichtung
Die Bundesnetzagentur erklärt, Nutzen und Voraussetzungen eines Instruments wie zeitvariabler Netzentgelte diskutieren zu wollen - betont aber zugleich die Dringlichkeit von klaren Regeln. Ohne eine klare Regelung verschwinde das Thema möglicher Überlastungen nicht einfach, vielmehr drohten die Überlastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher unvorhersehbar zu werden, sagt Sprecher Wulff. "Wir wollen verlässliche Regeln schaffen."
Nach dem jetzigen Entwurf der Bundesnetzagentur soll perspektivisch jeder sogenannten steuerbaren Verbrauchseinrichtung wie Wärmepumpen und Wallboxen auch bei einem Eingriff des Netzbetreibers eine Mindestleistung von 3,7 Kilowatt zur Verfügung stellen. Netzbetreiber können die besonders stromintensiven Anlagen also gezielt ansteuern, um ihr Netz stabil zu halten. In einer Region bekommen dann beispielsweise mehrere Ladestationen etwas weniger Strom, sodass sich die Ladezeit jeweils verlängert. Ein solches Dimmen des Stroms sei derzeit aber technisch nicht machbar, heißt es von den Thüringer Energienetzen.
Auch Energie-Wissenschaftler Quaschning sieht hier einen entscheidenden Haken in den Plänen der Bundesnetzagentur. So sei zwar die schnell verfügbare technische Lösung, den Strom schlicht an- oder abzuschalten. "Aber auch dafür ist eine technische Einrichtung für recht viel Geld nötig." Er verweist auf Erfahrungen mit Photovoltaikanlagen: Die müssen bereits ab einer gewissen Größe vom Netzbetreiber abschaltbar sein. "Das kostet bei größeren Photovoltaikanlagen über 1.000 Euro. Wir haben zig Millionen Euro verbaut in den letzten 20 Jahren." Aber: "Die Abschaltung ist kein einziges Mal zum Tragen gekommen."
Quaschning: Brauchen das gleiche Tempo wie bei LNG-Terminals
Auch Netzüberlastungen durch Wärmepumpen oder E-Autos seien in naher Zukunft äußerst unwahrscheinlich, betont Quaschning. Er plädiert daher dafür, sich stärker auf die Entwicklung und den Ausbau eines intelligenten Netzes zu konzentrieren. Für Quaschning steht fest: "Wenn wir das nicht schaffen mit den intelligenten Systemen und mit zeitvariablen Tarifen, dann bleibt die Energiewende in drei, vier Jahren stecken."
Wenn wir das nicht schaffen mit den intelligenten Systemen und mit zeitvariablen Tarifen, dann bleibt die Energiewende in drei, vier Jahren stecken.
Volker Quaschning | Professor für Regenerative Energiesysteme
Die Bundesregierung habe gerade erst den Dialog über das künftige Netzdesign begonnen. Dennoch gibt sich der Wissenschaftler auch optimistisch: "Ich hoffe, dass man das vielleicht in dem gleichen Tempo hinkriegt wie die LNG-Terminals, dann wäre uns allen geholfen."
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. Februar 2023 | 16:35 Uhr