Zweiter Prozess gegen Halle-AttentäterReportage: Diesmal keine Bühne
Rund ein Jahr ist es her, dass der Halle-Attentäter in der JVA Burg Geiseln genommen und einen Fluchtversuch unternommen hat. Dafür wird ihm nun der Prozess gemacht. Wie tritt der Angeklagte diesmal vor Gericht auf? Das erklärt MDR-Politikreporter Roland Jäger in seiner Reportage zum ersten Prozesstag.
Die größte Sorge vor dem Beginn des Prozesses: Würde der Angeklagte ein zweites Mal versuchen, ein Gericht als Bühne für seine rechtsextreme Ideologie zu missbrauchen? Tatsächlich erinnert vieles an 2020: Es ist der gleiche Gerichtssaal, mit ähnlich strengen Sicherheitsvorkehrungen, in denen der aktuelle Prozess geführt wird. Das Verfahren läuft vor dem Landgericht Stendal – und findet nur deshalb in Magdeburg statt, weil es nur hier einen Saal gibt, der den Sicherheitsanforderungen genügt. Wieder wird der Angeklagte von einem Polizeikonvoi herantransportiert und von der bewaffneten Spezialeinheit der Justiz in den Gerichtssaal geführt, wie damals gefesselt, trägt sogar dieselbe Jacke.
Doch es gibt auch deutliche Unterschiede zu 2020: Der Andrang von Medien, Zuschauerinnen und Zuschauern ist überschaubar. Die meisten Plätze – nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch auf den Bänken von Anklage und Nebenklagevertretern – bleiben leer. Es sind auch keine Betroffenen gekommen – auch das anders als nach dem Anschlag von Halle, als einige der 52 Nebenklägerinnen und Nebenkläger mit ihrer Vertretung jeden einzelnen Verhandlungstag verfolgten.
Er [einer der JVA-Beamten, d. Red.] kann nach wie vor auf Grund seines Traumas, das er während der Tat erlitten hat, hier am Prozess nicht teilnehmen. Er hat auch große Angst vor dem Tag, an dem er hier aussagen muss, weil er dann wieder an die Tat erinnert wird. Und er hofft einfach nur, dass der Prozess schnell, fair und mit einem entsprechend gerechten Ergebnis zu Ende geht.
Jan Siebenhüner, Vertreter der Nebenklage
Die beiden Männer, die der Angeklagte als Geiseln genommen hatte, sind, ihren Anwälten nach, immer noch traumatisiert von den Geschehnissen des 12. Dezembers 2022. Damals hatte der Angeklagte versucht, aus der JVA Burg zu fliehen. Er hatte mit einem selbst gebastelten Schussapparat zwei Beamte nacheinander als Geiseln genommen und sie gezwungen, mehrere Türen zu öffnen. Etwa eine halbe Stunde lang sollen die Männer in der Gewalt des Angeklagten gewesen sein und gemeinsam mit ihm mehrere Bereiche der JVA durchquert haben. In der Anklageschrift, die die Generalstaatsanwaltschaft zu Beginn verliest, heißt es zu der Waffe:
"Unter anderem benutzte er hierzu einen Tacker, 10 AA-Batterien, Papier, das Blech eines Bleistiftes, einen Anspitzer, den Klipp eines Kugelschreibers sowie Drähte. Ebenso stellte er zwei Patronen her [...]." Aufgrund seiner Kenntnisse zum Waffenbau wusste er, dass der Gegenstand schussfähig und vermutlich auch tödlich war [...]." Quelle: MDR-Protokoll, 25. Januar 2024 |
Die Richterin fragt, ob der Angeklagte etwas sagen will – er bejaht. Rückblende auf 2020: Im ersten Prozess hatte der Attentäter zwei Tage lang seine rechtsextreme Ideologie ausgebreitet. Hatte sich im Gerichtssaal antisemitisch, rassistisch und auch frauenfeindlich geäußert. Das wiederholt sich nicht: Eine Stunde lang sagt er aus, doch sein extremistisches Gedankengut wird zumindest vordergründig dabei nicht deutlich. Einziger Bezug: Ein Bericht über die Festnahme der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich Prinz Reuß sei der Auslöser für seinen Fluchtversuch gewesen.
Der AttentäterDer Angeklagte verbüßt wegen seines rassistischen und antisemitischen Anschlags in Halle eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Er hatte im Oktober 2019 an Jom Kippur versucht, in eine Synagoge einzudringen, um Jüdinnen und Juden mit selbstgebauten Waffen zu töten. Als ihm das nicht gelang, hatte er außerhalb zwei Menschen ermordet und weitere verletzt.
Der Angeklagte sagt aus, seine Zelle sei am Wochenende direkt vor seinem Fluchtversuch nicht kontrolliert worden. Dies habe ihm die Gelegenheit gegeben, eine improvisierte Waffe und zwei Patronen zu bauen. Er schweigt auf die Frage, wie er das Pulver in den Patronen hergestellt hat. Die Gefährlichkeit des Angeklagten wird deutlich: Meistens ruhig und nüchtern, gelegentlich auflachend, schildert er, wie er zwei Geiseln mehrfach droht, sie anzuschießen oder zu erschießen. Dass er einen Countdown rückwärts zählte, damit eine Geisel eine Tür schneller öffnete. Aussagen wie diese dürften Einfluss auf das Strafmaß am Ende des Prozesses haben.
Ich habe heute jemanden gesehen, der mir wenig empathisch erschien. Der sich selbst im Zentrum sieht. Wer so nur auf sich bedacht ist, der wird für andere immer eine Gefahr sein.
Thomas Klaus, Vertreter der Nebenklage
Am Nachmittag werden die Aufnahmen der Überwachungskameras gezeigt – im Zuschauerraum sind sie jedoch nicht zu sehen. Sie liefern der Öffentlichkeit damit keine Antworten auf die Frage, wie es möglich war, dass der Angeklagte offenbar über mehrere Tage unbemerkt eine Waffe bauen konnte. Auch der Ablauf des Fluchtversuches bleibt damit für die meisten Menschen im Gerichtssaal weiter im Unklaren. Am Montag, dem 29. Januar, könnte sich das ändern. Am zweiten Tag des Prozesses sollen mehrere Zeugen vernommen werden. Am Mittwoch, dem 31. Januar, werden die beiden JVA-Beamten sprechen, die als Geiseln genommen wurden, um ihre Sicht auf das Erlebte zu schildern.
Acht Verhandlungstage sind für den Prozess bisher angesetzt. Zur Bühne für den Angeklagten dürfte keiner von Ihnen werden – das scheint nach dem Auftakt sicher.
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MDR (Roland Jäger)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. Januar 2024 | 19:00 Uhr
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