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Dorf statt GroßstadtWarum es eine junge Familie aus Halle nach Mansfeld-Südharz zieht

29. Oktober 2022, 17:52 Uhr

Dass junge Menschen eine Großstadt wie Halle verlassen, um in ein Dorf mitten in Mansfeld-Südharz zu ziehen, mag für einige ungewöhnlich klingen. Doch Familie Buchmann hat sich ganz bewusst für ein Leben auf dem Land entschieden – und schätzt die Vorzüge der Dorfidylle. Und auch die Kreisverwaltung will von vermeintlicher Totengräberstimmung nichts wissen.

Das Telefonat mit dem Makler hat Tobias Buchmann erstmal ratlos zurückgelassen. "Sie müssen nach Augsdorf kommen!", sagte ihm der Mann unvermittelt. "Wohin?", fragte Buchmann verwundert. "Wo liegt das?" Ob das überhaupt noch zu Sachsen-Anhalt gehört? Für die Anreise half nur Google Maps – schließlich hatten er und Jennifer noch nie etwas von dem Dorf mitten im Mansfelder Land gehört. Am Ende bedeutete Augsdorf für das Paar nicht weniger als das große Glück: Grundstücksgröße, Preis, Naturidylle und Haus mit Kamin und Garage – hier passte einfach alles. "Das isses!", entfuhr es dem 31-Jährigen direkt.

Sieben Jahre ist das jetzt her, und die junge Familie fühlt sich im kleinen Ort in Mansfeld-Südharz seither pudelwohl – und renoviert ihr Haus Stück für Stück. Jennifer und Tobias Buchmann wohnten zuvor zusammen in Halle, hatten in der Saalestadt beide einen Job. „Dann kam der Hund“, erzählt die 29-jährige Jennifer Buchmann. Es brauchte also Platz und das Paar sah sich nach einem Haus um. Doch in Halle? "Nicht bezahlbar!", sagt die Abteilungsverantwortliche in einem Lebensmittelmarkt. Also schaute das Paar ins Umland – und stieß auf die unscheinbare Annonce aus der Region Gerbstedt, zu der Augsdorf mit seinen wenigen Hundert Einwohnern gehört.

Einer der höchsten Altersschnitte Deutschlands

Für die junge Familie war es eine bewusste Entscheidung gegen die große Stadt – und für das Leben auf dem Dorf. "Wir sind von Anfang an keine Partyleute gewesen", sagt Tobias Buchmann. Klar ist: In Augsdorf rasselt keine Straßenbahn durch die Straßen, es heulen kaum die Sirenen von Polizei und Krankenwagen.

Auf dem Dorf grüßt jeder jeden, wenn er spazieren geht.

Jennifer Buchmann

Die Ruhe, die Nähe zur Natur, und vor allem die gegenseitige Fürsorge, all das überzeugt die Buchmanns am Dorfleben. "Das ist wirklich fast eine große Familie, man hilft sich auch untereinander", sagt der 31-Jährige, der mittlerweile für einen Trinkwasserversorger in der Region arbeitet. Anders als in der eher anonymen Großstadt gehe man hier gern durch die Straßen. "Auf dem Dorf grüßt jeder jeden, wenn er spazieren geht“, sagt seine Frau Jennifer. Und wenn man Mal etwas anderes erleben will, müsse man eben ein bisschen fahren. Nach Halle dauert es eine gute dreiviertel Stunde.

Dabei ist der Schritt raus aus Halle und rein ins Mansfelder Land auch ein Schritt gegen den demografischen Trend: Mansfeld-Südharz gehört deutschlandweit zu den Landkreisen mit der ältesten Bevölkerung. Bis 2035 wird mehr als jeder dritte dort lebende Mensch über 67 Jahre alt sein, so prognostiziert es die Statistik. Auch die Buchmanns bekommen das in Augsdorf mit. "Eine junge Familie, das hatten wir ja ewig nicht!“, habe man ihnen beim Einzug zugerufen.

Viele der Dorfmitbewohner seien alt, einige seien in den vergangen Jahren gestorben, erzählt Tobias Buchmann. Doch er weiß es zu schätzen, von vielen älteren Menschen umgeben zu sein, vor allem wegen der Gespräche mit ihnen. "Da erfährt man Geschichten, die sind Wahnsinn!“, sagt er. Er höre immer mit Begeisterung zu – und mag auch den trockenen Humor der Mansfelder. Und dennoch: Ein paar mehr junge Leute, "das wär nicht schlecht", sagt Buchmann. Sie würden definitiv herzlich empfangen. Für einen niedrigeren Altersschnitt in Augsdorf haben die Buchmanns im Übrigen schon etwas getan: Seit zwei Jahren gehört Sohn Louis zu der jungen Familie. "Um groß zu werden, ist das hier perfekt", sagt Mutter Jennifer.

Landkreis wehrt sich gegen "Totengräberstimmung"

Dass die einstige Bergbauregion Mansfelder Land heute als strukturschwach gilt, das weiß auch die junge Familie. "Die Wirtschaft hat viel damit zu tun", sagt Jennifer Buchmann. Es gebe zwar Jobs, aber nicht diejenigen, die in Großstädten begehrt sind. Und in den Dörfern schließen kleine Läden, Grundschulen machen dicht, so wie zuletzt im Nachbarort Siersleben. In bundesweiten Erhebungen steht Mansfeld-Südharz – zumindest den Zahlen nach – meist schlecht da: Erst in diesem Monat erschien der "Zukunftsatlas" des Unternehmens Prognos, der Kommunen deutschlandweit nach Kriterien wie Arbeitsmarkt, Innovation oder Wohlstand untersucht. Von insgesamt 400 Städten und Gemeinden landete Mansfeld-Südharz auf Platz 400.

Wir sind seit Jahren geschult im Umgang mit prognostischer Totengräberstimmung.

Michaela Heilek | Sprecherin Landkreis Mansfeld-Südharz

Der Hauptsitz der Kreisverwaltung von Mansfeld-Südharz in Sangerhausen. Bildrechte: MDR/Michael Rosebrock

Die Kreisverwaltung von Mansfeld-Südharz stellt sich solchen Untersuchungen entschieden entgegen. "Wir sind seit Jahren geschult im Umgang mit prognostischer Totengräberstimmung", sagt Kreissprecherin Michaela Heilek auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Hätte man in der Vergangenheit auf "sogenannte Experten und ihre ausgewählten Kennziffern gehört, wären nachfolgende Erfolge nicht möglich gewesen". Mansfeld-Südharz habe die Arbeitslosigkeit binnen zehn Jahren halbiert und die Armutsgefährdung gesenkt. Es gebe eine robuste mittelständische Wirtschaft mit einer der höchsten Exportquoten in Sachsen-Anhalt, Löhne und Gehälter stiegen überdurchschnittlich.

Natürlich gebe es immer mehr ältere Einwohnerinnen und Einwohner, doch "seit zwei Jahren ziehen mehr Menschen zu uns als weggehen", erklärt Heilek. Überhaupt könne ein höherer Altersschnitt positiv bewertet werden. "In Mansfeld-Südharz erfüllt sich mit der steigenden Lebenserwartung ein Lebenstraum." Projekte für einen altersgerechten Umbau der Gesellschaft gebe es im Landkreis viele – und natürlich wird auch um junge Familien geworben. "MSH punktet mit überdurchschnittlich großen Wohnflächen, geringen Lebenshaltungskosten und einem Reichtum an Natur und Landschaft", sagt Heilek.

"Es fehlen Leute, die den Schritt wagen"

Untersuchungen wie der jüngste "Zukunftsatlas" passen da nicht in die Wahrnehmung der Kreisverwaltung. Landrat André Schröder (CDU), seit 2021 im Amt, hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Außenwirkung von Mansfeld-Südharz zügig zu verbessern. Was dann auch in den Aussagen von Kreissprecherin Heilek deutlich wird: "Selbstbewusst, fast trotzig tritt der Landkreis inzwischen gegenüber gut bezahlten Untergangspropheten und Zukunftspessimisten auf."

Einen positiven Blick auf das Leben im Dorf hat auch Familie Buchmann in Augsdorf. "Meiner Meinung nach hat das Zukunft", sagt Tobias Buchmann. Es brauche aber natürlich auch Veränderungen, die die Region attraktiver machen. Vor allem aber brauche es Mut, damit der Umzug aufs Land zum Trend wird. "Es fehlen Leute, die den Schritt wagen, die einfach sagen: Wir probieren es." Auch für seine Frau und ihn sei es ein Risiko gewesen. Doch es habe sich gelohnt: "Ich habe Haus und Hof, ich habe eine Familie gegründet", sagt der 31-Jährige, als er neben seiner Frau Jennifer und Sohn Louis in Augsdorf sitzt. "Also ich bin hier glücklich.“

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MDR (Felix Fahnert)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 22. September 2022 | 11:00 Uhr

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