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In Sachsen-Anhalt müssen Kitas wegen Personalmangel immer häufiger ihre Betreuung einschränken. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

InterviewWelche Folgen der Personalmangel in den Kitas in Sachsen-Anhalt hatvon Annekathrin Queck, MDR SACHSEN-ANHALT

26. Januar 2024, 15:33 Uhr

In vielen Kindertagesstätten in Sachsen-Anhalt fehlen Erzieher. Das hat Folgen für Mitarbeiter, Eltern und Kinder. Kathrin Klähn vom Kita-Fachkräfteverband erklärt im Interview, wieso die Situation so angespannt ist und was es braucht, um die Betreuung in den Kitas zu verbessern.

MDR SACHSEN-ANHALT: Wie ist die Lage in den Kitas in Sachsen-Anhalt?

Kathrin Klähn: Das größte Problem ist die Berechnung des Personalschlüssels in Sachsen-Anhalt. Der Personalschlüssel geht grundlegend davon aus, dass die Fachkräfte immer anwesend sind und das ist natürlich nicht der Fall, denn sie sind auch mal krank, haben Urlaub, eine Weiterbildung oder vielleicht Kinder, die krank werden können.

Dann gibt es ja jetzt auch noch die Regenerations- und Umwandlungs-Tage. Da kann man sich natürlich vorstellen, dass einige Abwesenheitszeiten dazu kommen und dann sieht es schon wieder ganz anders aus. Dann haben wir die tatsächliche Situation – nämlich die Fachkraft-Kind-Relation – und die sieht deutlich schlechter aus.

Stichwort: Personalschlüssel und Fachkraft-Kind-Relation (zum Aufklappen)

Der Personalschlüssel setzt die bezahlte Arbeitszeit einer pädagogischen Fachkraft über den Zeitraum eines Jahres und unter der Annahme einer Vollzeitbeschäftigung ins Verhältnis zu den zu betreuenden Kindern und den jeweiligen Betreuungszeiten. Die Fachkraft-Kind-Relation ist dagegen die Zeit, die der Erzieherin oder dem Erzieher tatsächlich für das einzelne Kind bleibt: Sie berücksichtigt Zeiten für Urlaub, Krankheit und Fortbildung sowie die mittelbare pädagogische Arbeit wie die Vor- und Nachbereitung von Elterngesprächen.

Quelle: IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Kathrin KlähnKathrin Klähn ist staatlich anerkannte Erzieherin und leitet die Kindertagesstätte "Kinderhouse Salzwedel", in der aktuell knapp 60 Kinder betreut werden. Seit 2021 ist sie zudem 2. Vorsitzende des Kitafachkräfteverbandes Sachsen/Sachsen-Anhalt.

Welche Folgen hat das für Eltern und Kinder?

Kathrin Klähn ist seit 2013 Leiterin einer Kita in Salzwedel. Bildrechte: L8 Foto/Doreen Weiss

Das hat für jeden der Beteiligten verschiedene Folgen. Bei den Kindern kam vor kurzem erst die neue Pisa-Studie raus. Die ist zwar auf die Schule bezogen, aber Lernen und Bildung beginnt in der Kita. Wir sind eine Bildungseinrichtung und die Pisa-Studie ist auch ein Ergebnis davon, wie mit den Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung umgegangen wird. Man kann sehen, wir haben viel weniger Zeit für die Kinder. Die Kinder müssen viel mitlaufen. Mein Arbeitgeber sagt immer "Pflege und Wartung" ist oft nur möglich – also das Notwendigste an hygienischen Sachen, pflegerischen Sachen schaffen und aufpassen, dass sie sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen in schwierigen Situationen.

Für Eltern steht meistens vorrangig das Bedürfnis Betreuung im Vordergrund, also die Kita überhaupt geöffnet ist, aber das ist ja mittlerweile auch deutlich eingeschränkt. Ich bin froh, dass viele Träger, Leitungen und Fachkräfte sich mittlerweile trauen, diesen Missstand anzuzeigen und auch zu sagen: "Halt, Stopp bis hierhin und nicht weiter. Wir können uns nicht mehr leisten." Weil das dann natürlich auch auf dem Rücken der Fachkräfte ausgetragen wird. Man muss einfach irgendwann "Stopp" sagen. Ich bin selber auch Mutter und habe drei Kinder. Mein kleinstes Kind ist vier und ich möchte nicht, dass mein Kind unter solchen Bedingungen betreut wird.

Bildrechte: Kathrin Klähn

Wie verändert sich dadurch der Arbeitsalltag für die Erzieher?

Man kann nicht mehr individuell auf die Kinder eingehen. Es ist laut, weil man die Kinder nicht nach ihren Bedürfnissen betreuen kann und viele Kinder auf einen Erzieher kommen. Je mehr Fachkräfte da sind, umso mehr hat man die Möglichkeit, auch Gruppen zu teilen und zu entzerren und verschiedene Räumlichkeiten zu nutzen. Das geht natürlich alles nicht, wenn Fachkräfte fehlen.

Das heißt, die Gruppen insgesamt sind dann auch größer und es halten sich an einem Fleck mehrere Kinder gleichzeitig auf. Das macht was mit der Lautstärke, das macht was mit einem selber, weil man oft nur dagegen ankommt, wenn man selbst lauter wird, was wir eigentlich gar nicht wollen.

Der Alltag ist gehetzt. Man muss sich beeilen, um Sachen zu schaffen, wenn man alleine ist. Also wenn ich daran denke, dass ich in einer Krippengruppe zwölf Krippenkinder habe und dann sind da vielleicht zwei Leute. Einer bleibt bei denen, die nicht gewickelt werden und der andere muss im Waschraum zusehen, dass er alle da irgendwie durch kriegt und die Windeln wechselt und am besten die Kinder aber trotzdem auch nochmal auf den Topf oder auf die Toilette setzt.

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Was sind in Ihren Augen im Moment die größten Probleme?

Meiner Meinung nach haben wir in den letzten Jahren den Blick für das Wesentliche verloren, nämlich den Blick fürs Kind. Es geht so viel um das Drumherum Es gibt schriftliche Konzepte für alle möglichen Dinge. Da gibt es Ablauf-Verfahren für Beschwerden und dies und das und jenes. Ich finde, wir sind als Kita so ein bisschen in so unternehmerische Qualitätsanforderungen gerutscht. Dass es hier rundrum gewisse Vorgaben gibt und Qualitätsstandards, ist okay, aber der Fokus liegt viel zu sehr darauf – und das soll alles im Team erarbeitet werden, wofür wir gar nicht die Zeit haben.

Und ich sage auch immer: Was nützen mir 20 Konzepte in der Schublade und zehn superqualifizierte Fachkräfte, die die Konzepte von A bis Z auswendig können, wenn es aber menschlich nicht funktioniert – also, wenn es dann draußen am Kind einfach nicht läuft? Dieses Zwischenmenschliche und der Blick aufs Wesentliche, das wir als Fachkräfte uns auf die Kinder konzentrieren können, sind total verloren gegangen.

Was glauben Sie, wie die Zukunft der Kitas in Sachsen-Anhalt aussieht, wenn sich nichts ändert?

Sehr schlecht. Ich bin mir sicher, dass viele Fachkräfte den Beruf oder das Bundesland wechseln werden. Wir haben als Fachkräfteverband diesbezüglich letztes Jahr auch eine Umfrage unter den an Fachkräften gemacht, die deutlich gezeigt hat, dass der Unmut groß ist und viele ausgelaugt, erschöpft oder krank sind. Der Krankenstand wird auch noch weiter steigen, da bin ich mir sicher. Wir haben viele alte Kollegen, die kurz vor der Rente stehen, die vielleicht sogar überlegen, noch früher zu gehen. Und aus der Ausbildung kommt einfach nicht genügend Personal nach beziehungsweise auch nicht genügend geeignetes Personal.

Welche Veränderungen bräuchte es jetzt konkret, um die aktuellen Probleme anzugehen?

Zunächst mal brauchen wir dieses Verständnis dafür, dass es Probleme gibt. Das wird auch schon seit Jahren zum Beispiel von der Bertelsmann-Stiftung angemahnt. Und das A und O, an dem gearbeitet werden muss, sind die Themen Personalschlüssel und Zeit. Die Fachkräfte brauchen Zeit für die Vor- und Nachbereitung. Wir brauchen mehr Personal in den Einrichtungen.

Also die Berechnung muss grundlegend verändert werden. Wir haben ja in Sachsen-Anhalt die Problematik, das die Berechnung der Erzieher-Stunden sehr kompliziert ist und mit einem Faktor berechnet wird, immer in Abhängigkeit von den Stunden, die die Kinder mitbringen.

Also, wenn ich ein Kind in einer Krippe habe, das die Einrichtung 50 Stunden besucht, habe ich einen gewissen Satz an Stunden zur Verfügung. Jetzt wird das Kind diesen Monat drei und ab nächsten Monat kriege ich deutlich weniger Stunden, nur weil es drei geworden ist. Das Kind ist aber immer noch das gleiche. Oder die Eltern haben ihren Beruf verloren und sind plötzlich nicht mehr berufstätig und müssen auf 40 Stunden runtergehen, dann werden mir sofort Erzieherstunden abgezogen, weil sich auf dem Papier die Gesamtsituation verändert hat. Das ist so kompliziert bei uns.

Ich bin mir ziemlich sicher, wenn das Thema angegangen wird und der Personalschlüssel mit dem Oberthema Zeit verändert wird, dass sich dann auch viele andere Probleme lösen würden.

Die Fragen stellte Annekathrin Queck für MDR SACHSEN-ANHALT.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Januar 2024 | 09:00 Uhr

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