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Forschungsschiff PolarsternKlima und Meereis: Wissenschaftler aus Magdeburg forschen am Nordpol

23. September 2023, 17:09 Uhr

Das Forschungsschiff "Polarstern" hat den Nordpol erreicht. Mit an Bord: Zwei Mathematiker aus Magdeburg, die die Entwicklung des Eises untersuchen. Besonders im Fokus sind die bislang wenig erforschten "marginalen Eiszonen", die für Klimamodelle eine entscheidende Rolle spielen. Deren Modellierung gestaltet sich schwieriger als gedacht.

Das deutsche Forschungsschiff "Polarstern" hat am siebten September den Nordpol erreicht. Mit an Bord: Die beiden Mathematiker Thomas Richter und Carolin Mehlmann von der Universität Magdeburg. Ihr Ziel ist es, die Entwicklung des arktischen Eises mathematisch zu modellieren. Sechs Wochen mit Eisbärensichtungen, Hubschrauberflügen und Isolation in der arktischen Kälte liegen hinter ihnen. Das bisher eindrücklichste ihrer Reise ist jedoch: Die Ankunft am Nordpol.

Auf der Anfahrt zum Nordpol war das Eis erstaunlich dünn, berichten Richter und Mehlmann. Bildrechte: Mehlmann/Richter

"Wir sind die letzten hundert Kilometer mit nur einem Drittel der verfügbaren Maschinenleistung durchgerauscht. In den Neunzigern waren noch zwei Eisbrecher nötig. Das zeigt eindrücklich, mit welcher Geschwindigkeit der von uns verursachte Klimawandel zu Änderungen in diesem riesigen Ökosystem der Arktis führt", berichtet Carolin Mehlmann.

Ziel: Eis-Entwicklung vorhersagen, Klimamodelle verbessern

Experten gehen davon aus, dass der Nordpol bereits 2030 im Sommer eisfrei sein könnte. Vorhersagen wie diese sind für Klimamodelle äußerst relevant. Sie funktionieren aber nur zuverlässig, wenn die Entwicklung des Meereises möglichst präzise modelliert werden kann. Mehlmann und Richter sammeln deshalb Daten über das Eis und entwickeln neue Modelle, um die Entwicklung des schmelzendes Eises genauer als bisher vorhersagen zu können.

Die Mathematiker untersuchen die "marginalen Eiszonen". (Archivbild) Bildrechte: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann CC-BY 4.0

Dazu untersuchen die beiden Mathematiker speziell die sogenannten "marginalen" Eiszonen: die einzelnen Eisschollen, die am Rande des Packeises entstehen. Die marginalen Eiszonen vergrößern sich durch den Klimawandel stetig. Sie verhalten sich anders als zusammenhängendes Packeis. Bisher wird das in Klimamodellen häufig vernachlässigt, wodurch diese ungenauer werden.

Um die langfristige Entwicklung der marginalen Eiszonen modellieren zu können, brauchen die beiden Wissenschaftler ausreichend Informationen. Um diese zu sammeln, filmen sie das Eis von Bord der Polarstern aus und analysieren die Bewegungen der einzelnen Schollen. Außerdem bohren sie in einzelne Schollen hinein, überprüfen die Dicke und messen die Größe. Die Daten fließen in die Modelle ein, die dann im Abgleich mit der tatsächlichen Entwicklung des Eises kalibriert werden können.

Für die Modelle des Meereises untersuchen die beiden Mathematiker einzelne Eisschollen genau. Bildrechte: Mehlmann/Richter

Forschung schwieriger als erwartet

Die Modellierung gestaltet sich in der Praxis als aufwendig. "Eine sehr große Herausforderung ist es dabei, dass das Schiff nicht stillsteht, auch wenn wir an einer Eisscholle festmachen. Diese Bewegung müssen wir aus der gemessenen Schollenbewegung herausrechnen. Hinzu kommt ein leichtes, aber ständiges Schwanken und Drehen des Schiffes, was unsere Berechnungen weiter erschwert", erklärt Richter.

Eine zweite große Unsicherheit sei der Einfluss der Umgebung auf die Bewegung der Schollen. Eine kleine Eisscholle, die nur zehn Meter Durchmesser hat, verhielte sich ganz anders, wenn sie im freien Wasser mit großem Abstand zu anderem Eis sei, als wenn die Scholle sich direkt neben einer großen Eisfläche mit mehreren Kilometern Ausdehnung bewege.

Auch die Ränder der Eisschollen werden genau untersucht. Bildrechte: Mehlmann/Richter

"Wir haben vor der Reise unterschätzt, wie sehr die Umgebung einer Eisscholle ihre Bewegung beeinflusst. Dies schafft für unser Projekt ganz neue Herausforderungen. Praktisch bedeutet es, dass es im Nachgang daheim an der Universität in Magdeburg noch einiges zu tun gibt", erklärt Richter.

Arbeit rund um die Uhr

Um die knappe Zeit an Bord optimal zum Forschen zu nutzen, arbeiten Mehlmann und Richter mit den anderen knapp 50 Forschern an Bord eng zusammen und unterstützen sich gegenseitig bei ihren Projekten. "Das ist wahnsinnig spannend und gibt ganz neue Einblicke", so Richter. Tagsüber konzentrieren sich die beiden Mathematiker größtenteils auf die Untersuchung des Eises, nehmen Bohrungen und Messungen vor, klettern ins Krähennest des Schiffes, um Kameras anzubringen. Sie übernehmen Bärenwachen, damit niemand auf dem Eis von Eisbären überrascht wird, oder wandern über das Eis, wenn das Schiff vor Anker gegangen ist.

Gleich am Anfang der Reise haben Mehlmann und Richter einen Eisbären gesichtet. Bildrechte: Mehlmann/Richter

Abends arbeiten die Wissenschaftler mit den erhobenen Daten an ihren Modellen und versuchen herauszufinden, wie sie ihre Messungen und die Modelle kalibrieren müssen und wo noch Informationen fehlen. Die Ergebnisse der Modelle werden dann mit dem tatsächlichen Verhalten des Eises verglichen.

Die ständigen Anpassungen bei den Messungen sind ein wichtiger Grund, warum die Wissenschaftler selbst an Bord der Polarstern sind und nicht einfach von zu Hause aus fertige Computerdaten auswerten. Ein weiterer Faktor ist die Dateiübertragung über das Internet, die mitten am Nordpol nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Carolin Mehlmann zieht die benötigte Ausrüstung auf Schlitten über das Eis. Bildrechte: Mehlmann/Richter

Rückkehr steht bevor

An das Leben an Bord haben sich die beiden schnell gewöhnt, auch wenn es einige ungewohnte Situationen gab. "Als wir das Eis erreicht haben, hat es ein paar Tage gedauert, damit klarzukommen, dass es ständig rumpelt und kracht und das es laute, schleifende Geräusche gibt und manchmal das ganze Schiff erbebt, wenn wir auf Eisschollen fahren", erzählt Mehlmann.

Der Nordpol ist der nördlichste Punkt der Erde und auch der Forschungsreise. Bald wird die Polarstern wieder Richtung Festland aufbrechen. Am ersten Oktober wird sie in Bremerhaven erwartet. Bevor sie wieder zu Hause ankommen, hoffen Richter und Mehlmann neben weiteren Durchbrüchen bei der Forschung darauf, noch einmal einen Eisbären und vielleicht auch einen Wal zu sehen. Von zu Hause vermissen die derzeit vor allem eines: "Endlich mal wieder grüne Bäume zu sehen", verraten die beiden. Vorher stehen allerdings noch einige Messungen im Eis der Arktis an.

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MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. September 2023 | 10:00 Uhr

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