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Zahlreiche EinflüsseWas die Proteste im Iran mit Sachsen-Anhalt zu tun haben

12. November 2022, 18:36 Uhr

In Sachsen-Anhalt solidarisieren sich zivile Akteure mit den Protesten im Iran. Das hat Auswirkungen auf die Lage dort. Aber auch andersherum bestehen Verbindungen zwischen dem Iran und Sachsen-Anhalt. Im Gespräch weist Transformationsforscher Heiko Schrader etwa auf Auswirkungen in Bezug auf Frauenrechte, Wirtschaft, Demokratie und die Psyche der Menschen hin. Eine Einordnung.

Die seit September im Iran stattfindenden Proteste haben eine große Welle internationaler Solidarität hervorgerufen und berühren auch viele Menschen in Sachsen-Anhalt. Während die Politik laut Experten nur zögerlich auf die Situation reagiert, gibt es aus der Zivilgesellschaft klare Zeichen der Unterstützung. Menschen rasieren sich aus Solidarität ihre Haare ab, besuchen Demonstrationen und versuchen, Informationen über die Proteste trotz starker Internetzensur im Iran zu verbreiten. So protestierten etwa in Halle bereits im September über 100 Menschen gegen das Regime im Iran. Gruppen aus Magdeburg versuchen, Plattformen zur Verbreitung von Informationen bereitzustellen.

Geschehnisse im IranSeit dem 19. September 2022 protestieren zahlreiche Menschen im Iran und erheben unter Einsatz ihres Lebens ihre Stimmen gegen das bestehende Regime. Auslöser ist der Tod der iranischen Kurdin Jîna Mahsa Amini. Sie wurde von der iranischen Sittenpolizei verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll und starb kurz darauf. Eine Besonderheit dieser Proteste ist, dass sie maßgeblich von Frauen durchgeführt werden. Frauen, denen im Iran unter dem aktuellen Regime viele Rechte aberkannt und der Zugang zum öffentlichen Leben in vielen Bereichen verwehrt werden.

Anfangs richteten sie sich die Proteste gegen die Kleidervorschriften für Frauen, mittlerweile fordern viele den Sturz der Regierung. Diese löste seit der Islamischen Revolution von 1979 und der Einführung der Scharia immer wieder Demonstrationen und Proteste aus. Experten gehen davon aus, dass es diesmal zu einer Revolution kommen könnte, da die Proteste durch eine breite Masse unterstützt werden.

Sachsen-Anhalts Zivilgesellschaft hat Einfluss auf die Proteste

Die Solidarität und Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft sei wichtig für die Proteste. Das erklärt Professor Heiko Schrader, der sich an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg mit Transformationsforschung beschäftigt, MDR SACHSEN-ANHALT im Interview. Im Iran seien viele Menschen enttäuscht von der zögerlichen Haltung der deutschen Politik. Umso wichtiger seien die Signale der Zivilbevölkerung, die im Iran sowohl von den Protestierenden als auch vom Regime wahrgenommen würden. Diese würden ein Zeichen an die Politik setzen und die Moral der Protestierenden stärken. Wie wichtig die Moral sei, sehe man zum Beispiel in der Ukraine.

Verschiedene Medienschaffende aus Deutschland unterstrichen in den letzten Wochen die Auffassung, die internationale Aufmerksamkeit sei ein wichtiger Faktor bei den Protesten.

Gespräche mit Aktivisten bestätigten dies immer wieder. Während der deutsch-iranische Journalist Michel Abdollahi schrieb, die internationale Aufmerksamkeit sei die Lebensversicherung der Aktivisten, übergaben die ProSieben-Entertainer Joko und Klaas medienwirksam ihre Social-Media-Kanäle an Aktivistinnen aus dem Iran, um die Proteste zu unterstützen. Aufgrund des zensierten Internets im Iran sind Social-Media-Plattformen laut Heiko Schrader ein zentrales Mittel, um die Proteste zu organisieren und zu verbreiten.

Landesregierung hat Eingriffsmöglichkeiten

CDU-Fraktion stellt sich querSachsen-Anhalts Landtag verzichtet auf Solidaritätsnote für Iran-Proteste

Heiko Schrader erklärt, auch Sachsen-Anhalts Landespolitik habe Spielräume, um die Proteste in Iran zu unterstützen. Wirkungsvoll könnten etwas sichtbare Sympathiekundgebungen sein. Denkbar wären auch Sanktionen im Handel, denn Deutschland ist der wichtigste Handelspartner des Irans. Allerdings sei die Frage, ob bei der angespannten wirtschaftlichen Lage und den Sanktionen gegen Russland weitere Sanktionen zumutbar seien.

Bisher seien aus der Landespolitik nur wenige Signale gekommen. Ein geplanter, gemeinsamer Antrag von Koalition, Linke und Grünen für Solidarität für die Frauen und andere Protestierenden im Iran kam in dieser Woche nicht zustande. Die CDU-Fraktion stellte sich quer. Auch einen Abschiebestopp in den Iran hat Sachsen-Anhalt trotz Empfehlung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Gegensatz zu Sachsen und Thüringen bislang nicht umgesetzt.

Warum die Proteste im Iran auch in Sachsen-Anhalt wichtig sind

Die Proteste in Iran mögen weit weg erscheinen. Dennoch gibt es zahlreiche Gründe, warum sie für Menschen in Sachsen-Anhalt relevant sind sowie viele Verbindungen zum Iran.

Proteste gegen RegimeWie es um die Proteste im Iran steht

Frauenrechte
Der wichtigste Punkt für Heiko Schrader lautet: Frauenrechte gehen uns alle etwas an. Dass Frauen nur auf Grund ihres Geschlechts im Iran gerade massiv ihrer Rechten beraubt würden und häufig Gewalt ausgesetzt seien, sei Grund genug, unsere Sympathie für den Kampf gegen diese Zustände zu zeigen. Die Solidarität käme an und stärke die Proteste. Mehr Rechte für Frauen würden seiner Meinung nach auch der kriselnden Wirtschaft Irans helfen, da diese Frauen dann Zugang zu mehr Berufen bekämen.

Verbindung zwischen Frauenrechten in der DDR und dem Iran

Heiko Schrader erklärt aus Forschungssicht gebe es interessante Verbindungen zwischen Frauenrechten in der DDR und im Iran. Bei allen Unterschieden zwischen beiden Fällen gebe es eine interessante Gemeinsamkeit: In der DDR sei die Rolle der Frau in vielen Punkten politisch fortschrittlicher gedacht und umgesetzt gewesen, als es zur gleichen Zeit in der BRD der Fall gewesen sei. Nach der Wende seien für Frauen in der DDR gewisse Rückschritte gemacht worden. Daraus könne man gewisse Lehren für den Iran ziehen, wo die Frauen unter dem Schah bis zur islamischen Revolution viele Rechte gehabt hätten und die Gesellschaft eine amerikanisch-modern geprägte gewesen sei.

Iranerinnen und Iraner in Sachsen-Anhalt
2021 lebten rund 2.000 Iranerinnen und 1.200 Iraner in Sachsen-Anhalt. Fast alle von ihnen verfolgen die Proteste. Heiko Schrader sagt, auch in Deutschland fühlten sich viele von ihnen nicht sicher, weil sie Angst vor dem iranischen Geheimdienst hätten. Dies gelte es zu berücksichtigen und wenn möglich zu ändern.

Handel
Deutschland gilt als der wichtigste Handelspartner des Irans. Auch Sachsen-Anhalt ist wirtschaftlich mit dem Iran verknüpft. Sollte ein Bürgerkrieg ausbrechen, ist davon auszugehen, dass auch der Handel betroffen sein wird, und zum Beispiel Produkte unter Umständen nicht oder nur erschwert hergestellt und geliefert werden können.

Helfen tut gut
Die Psychologin Dr. Annegret Wolf von der Uni Halle ist überzeugt, dass es einem selbst gut tun kann, anderen Menschen zu helfen. Sie sagte im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, das wirke besonders in Situationen, in denen man sich angesichts schwieriger Situationen hilflos fühle. Selbst etwas zu unternehmen und sich für andere Menschen einzusetzen, bedeute eben auch, dass man lernt, etwas gegen die eigenen Sorgen und Ängste zu unternehmen. Weil man den Krieg nicht auf eigene Faust beenden könne, aber Betroffenen zur Seite stehen kann.

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MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. November 2022 | 10:00 Uhr

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