ForschungsprojektSchnecken statt Spargel: Warum eine Landwirtin Kriechtiere züchtet
Landwirtin Carmen Kalkofen aus Cobbel in der Altmark rückt mehr und mehr von einem ihrer stärksten Standbeine ab: dem Spargelanbau. Stattdessen nimmt sie Innovatives ins Visier und setzt auf Schneckenzucht. Ihre Schneckenfarm ist Teil eines Forschungsprojektes unter Aufsicht von Wissenschaftlern der Hochschule Anhalt.
- In Cobbel in der Altmark züchtet eine Spargelbäuerin jetzt Weinbergschnecken.
- Mit viel Protein und kaum Fett sollen Schnecken ein wahres Super-Food sein.
- Ein Forschungsprojekt will herausfinden, wie sich das gesamte Tier verwerten lässt – ihr Schleim steckt zum Beispiel in vielen Kosmetika.
Einen Hektar der bisherigen Spargelanbaufläche hat Carmen Kalkofen in Cobbel bei Tangerhütte jetzt für die Zucht und Mast der Schnecken hergerichtet. Einzelne Parzellen sind zu sehen, dicht bewachsen mit satten Grünpflanzen, umrandet von sehr engmaschigen Netzen, damit die Tiere wissen, wo ihre Grenzen sind.
20.000 Tiere machen den Anfang
Etwa 20.000 Schnecken der Art "Helix Aspersa" sind bereits in Cobbel heimisch. Ihre Zucht, ihre Mast, ihre Verarbeitung sind Teile eines europäischen Förderprogramms, das Schnecken als Lebensmittel-Alternative, vor allem als Ersatz für Rind, Huhn und Schwein, etablieren soll. Gleichzeitig wird erforscht, wie die Schnecke im Ganzen – also Fleisch, Haus und Schleim – verwertet werden kann.
Wenn Carmen Kalkofen unter die Holzstiegen schaut, die in jeder Parzelle liegen, entdeckt sie nicht nur die großen, erwachsenen Tiere, sondern auch die ersten Gelege. Ein gutes Zeichen, sagt die Landwirtin. Später sollen die Parzellen in Mast- und Zuchtparzellen unterteilt werden.
Gastronomen sind scharf auf Cobbeler Schnecken
Zuvorderst steht die Verwertung des Schneckenfleischs. Schnecken seien Super-Food, schwärmt Carmen Kalkofen. Sie hätten viel Protein und Eiweiß und quasi kein Fett. In der Hochschule Anhalt in Bernburg sind erste Rezepte ausprobiert worden: Dips, Soßen, Pasteten. Aus Schnecken könne man auch leckeres Gulasch machen, sagt Landwirtin Kalkofen.
Die ersten öffentlichen Kostproben soll es beim Landes-Erntedankfest Mitte September in Magdeburg geben. Auch die ersten Gastronomen, darunter solche aus Berlin und sogar Sachsen-Anhalts Spitzensternekoch Robin Pietsch, zeigen reges Interesse, Cobbeler Schnecken auf ihre Speisekarten zu setzen. Jetzt schon, obwohl das Angebot noch gar nicht publik gemacht und das Projekt erst vor wenigen Wochen gestartet wurde.
Erforscht werden soll aber eben auch, wie sich die gesamte Schnecke verwerten lässt. Beim Schneckenhaus ist das relativ einfach: Es besteht aus Kalk und kann zur Bodenaufwertung genutzt werden oder aber in Filteranlagen zum Beispiel.
Schneckenschleim wird gemolken
Doch auch den Schleim wollen die Forscherinnen und Forscher nutzen. Schon jetzt steckt Schneckenschleim in vielen Kosmetika, der Bedarf der Hersteller ist groß. Eine Weinbergschnecke in Cobbel soll zwei bis drei Mal in ihrem Leben "gemolken", ihr Schleim geerntet werden. Dazu entwickeln die Forscher Geräte, in denen die Schnecken mit einer Art Kräuter-Wasser-Nebel bedampft und so zur Schleimbildung angeregt werden.
Welche Methoden in welchem Fall die besten, effektivsten, am Tierwohl ausgerichteten sind, wollen die Bernburger Forscher gemeinsam mit Carmen Kalkofen innerhalb von anderthalb Jahren herausfinden. Für Kalkofen jedenfalls steht fest: Schnecken sind der neue Spargel.
Für deren Mast und Zucht braucht es nicht viele rumänische Erntehelfer, sondern – in der Höchstauslastung – keine Handvoll Mitarbeitende. Nahrhaft sind die Schnecken wie der Spargel, gesund auch. Die ersten offiziell vermarkteten Cobbeler Schnecken genießen kann man voraussichtlich Ende kommenden Jahres.
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MDR (Cornelia Winkler)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. Juli 2023 | 15:10 Uhr
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