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IndustrieWaggonbau Niesky: Wie weiter nach dem Ende der Kurzarbeit?

25. März 2023, 18:00 Uhr

Bei der Belegschaft von Waggonbau Niesky herrscht seit Monaten große Unsicherheit über die Zukunft des Unternehmens. Nächste Woche läuft die Kurzarbeit aus. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hoffen Aufträge und Arbeit. Vor drei Wochen stellte der Geschäftsführer Matúš Babík klar, der slowakische Mutterkonzern Tatravagónka habe nicht vor, das Werk zu schließen. Doch die Gewerkschafterin Eileen Müller warnt, die Lage sei weiterhin besorgniserregend.

Vor dem Werktor haben sich wie jede Woche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betriebs zu einer Mahnwache versammelt. Zum 19. Mal stehen sie hier und fordern Antworten auf ihre Fragen von dem slowakischen Mutterkonzern Tatravagónka, der 2018 das Werk übernommen hat. Sie wollen Klarheit darüber, wie es mit ihrem Werk weitergeht. Dabei hat der Geschäftsführer Matúš Babík zu Beginn des Monats klargestellt, dass Tatravagónka nicht vorhabe, das Werk zu schließen. Die Auftragslage sei gut. Doch für viele Mitarbeiter reichte dieses Signal offenbar nicht aus. Die Stimmung sei "sehr angespannt", sagt einer der Teilnehmer.

Gewerkschafterin: "Die Auftragslage ist schlecht"

Zur Mahnwache gekommen ist auch Eileen Müller von der IG Metall Ostsachsen. Sie erklärt, weshalb sie keinen Grund zur Entwarnung sieht: "Die Situation im Waggonbau Niesky ist weiterhin unverändert besorgniserregend." Die Auftragslage sei schlecht. Aus den wirtschaftlichen Daten, zu denen der Betriebsrat Zugang hat, gehe hervor, dass zurzeit nur noch alte Aufträge abgearbeitet werden. "Und dann läuft das Werk leer.“ 

Das bedeute, dass es nicht ausreichend Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen gebe, die im April aus der Kurzarbeit zurückkommen werden. Denn Ende März endet die Kurzarbeit im Werk, die im April letzten Jahres bei Waggonbau Niesky begonnen hatte. Grund waren Materialengpässe, eine schlechte Auftragslage und hohe Energiepreise. 

Was sagt Geschäftsführer Babík dazu?

Doch wie passen die Aussagen der Gewerkschafterin mit den Äußerungen des Geschäftsführers zusammen, die Auftragslage sei gut? Auf Nachfrage von MDR SACHSEN sagt der: "Die Auftragslage ist nicht perfekt, aber sie ist nicht schlecht." Auf die Nachfrage, weshalb es dann noch Kurzarbeit gebe, erklärt Babik, dass einige Bereiche gar nicht mehr in Kurzarbeit seien. Für andere Bereiche gebe es zurzeit aber keine Arbeit, etwa Konstruktion und Technologie, und wieder andere würden ausgebremst werden. Die Abteilung Montage sei so langsam, dass es keine Arbeit für Abteilungen gebe, die auf die Zuarbeit der Montage angewiesen seien beziehungsweise ihr zuarbeiten.

Martin Menzel, Teamleiter der Endmontage bei Waggonbau Niesky, kann über solche Äußerungen nur den Kopf schütteln. Er steht in der Produktionshalle und zeigt auf einen unfertigen Waggon, der in Zukunft einmal zum Transport von Lkw dienen soll. "Dieser Wagen wartet auf Bleche für die Fußbodenplatten", erklärt er. Diese müssten zuerst angebracht werden, bevor weitere fehlende Teile montiert werden können, etwa die Bremsen. "Ich bin also jetzt hier in der Lage, dass ich dastehe und die Leute haben nichts mehr zu tun", sagt er. Dabei habe er schon im November darauf hingewiesen, dass die Bleche nicht mehr lange reichen werden. Doch der Einkauf habe nicht reagiert. Chef des Einkaufs ist der Geschäftsführer selbst. 

Mitarbeiter: Mangel an Materialien und Kommunikation mit Leitung

Das Problem ist exemplarisch für das, was bei dem traditionsreichen Nieskyer Waggonbauer seit einiger Zeit schief zu laufen scheint: Mitarbeiter berichten von fehlenden Materialien sowie von mangelnder Kommunikation mit der Unternehmensführung. 

Dass die Montage zurzeit nicht zügig laufe, da stimmt Teamleiter Menzel dem Geschäftsführer zu. Nur sieht er völlig andere Ursachen als der: "Wir bauen das an, was wir gerade haben und dann hören wir wieder auf", erklärt er. Das geschehe so aber nicht, weil der Wille fehle, sondern eben das Material. Babík hatte Anfang des Monats den Mitarbeitern in einem Gespräch mit dem MDR mangelnde Produktivität vorgeworfen. 

Schwierigkeiten mit Zulieferern

"Es stimmt, dass wir teilweise auch Schwierigkeiten mit Zulieferern haben“, sagt Babík. Zum Beispiel warte man zurzeit auf ein wichtiges Blech, das schon lange da sein sollte. Das dürfe aber nicht bedeuten, dass man alle anderen Bereiche bremse. Menzel dagegen verweist auf notwendige Reihenfolgen bei der Produktion, die sich nicht einfach ändern ließen. 

Babík: "Nicht genug Arbeit für alle"

Dem nahenden Ende der Kurzarbeit sieht Babík, so scheint es, gelassen entgegen. Es seien ohnehin nicht mehr sehr viele Mitarbeiter in Kurzarbeit, eine genaue Zahl möchte er aber am Telefon nicht nennen. Ohnehin gebe es eine "natürliche Fluktuation", zum Beispiel dadurch, dass Mitarbeiter in Rente gehen oder sich eine neue Arbeit suchen. Und diese begrüßt er offenbar, denn: "Wir haben nicht genug Arbeit für alle unsere Leute und wir werden sie auch nicht haben bis Ende des Jahres. Durch die normale Fluktuation sind wir in der Lage, das alles zu überleben". 

Das heißt, Abgänge sind offenbar gewünscht, um die Personalkosten gering und das Werk trotz mäßiger Auftragslage in den schwarzen Zahlen zu halten. Und das ist bisher der Fall: "Wir machen jetzt kein Minus und letztes Jahr haben wir auch kein Minus gemacht", sagt Babík. Das Ergebnis sei "plus minus null" gewesen.  

120 Mitarbeiter haben seit letztem Jahr Betrieb verlassen

Laut Eileen Müller haben seit Anfang des letzten Jahres rund 120 von 360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Standort verlassen. In den meisten Fällen hätten diese nicht selbst gekündigt, sondern ihre Verträge seien nicht verlängert worden. Laufende Verträge wurden aber nicht gekündigt, denn Mitarbeiter entlassen kann die Geschäftsführung nicht. Denn als Tatravagónka 2018 das Werk übernommen hat, handelte die IG Metall eine Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiter aus, die noch bis Ende dieses Jahres gilt.

Geschäftsführer sieht Beschäftigungsgarantie als Problem

Und genau das sieht Geschäftsführer Babík heute als Riesenproblem: "Wenn jemand heute nichts in der Firma macht, dann kann ich nichts dagegen tun", erklärt er. "Aber ab Anfang nächsten Jahres müssen sich die Mitarbeiter bemühen, denn dann endet die Beschäftigungsgarantie." Kündigungen im größeren Stil seien auch dann nicht geplant. Mitarbeitern, die nicht normal arbeiten wollen, werde man dann aber entlassen. 

Zur Zukunft des Werks sagt er: "Ich habe zu unseren Leuten gesagt, wir werden nur so lange leben, solange wir genug Geld haben. Und Geld bekommen wir nur durch den Verkauf von Waggons". Immerhin über das Ziel, mehr zu verkaufen, scheinen sich Babík, die Gewerkschaft und die Belegschaft einig zu sein. Martin Menzel würde sehr gerne wieder mehr Waggons fertigmachen bis zum Verkauf, aber "in der Produktion muss alles da sein, damit ich am Ende auch einen Wagen verkaufen kann“.  

Gewerkschafterin: "Tatravagonka verbrennt hier jeden Tag Geld"

Eileen Müller von der IG Metall sagt: "Tatravagonka verbrennt hier jeden Tag Geld und schaut dabei zu." Denn der Standort generiere jeden Tag Kosten, "die ich natürlich nicht ausgleichen kann, wenn ich nicht ordentlich produzieren kann." Es erschließe sich ihr nicht, "wieso keine Maßnahmen unternommen werden, um hier mal wieder einen ordentlichen Output zu generieren.“ Viele Mitarbeiter stellen sich die gleiche Frage. Der Unternehmensführung werfen sie vor, ihr Vorgehen nicht zu erklären.

Matúš Babík: "Ich bin immer zu Gesprächen bereit"

Matúš Babík sagt: "Ich bin immer bereit dazu, dass wir miteinander sprechen. Die Mitarbeiter wissen, wo ich sitze. Jede einzelne Person kann mich fragen, was sie will.“ Aber er betont auch, dass er sich nicht unter Druck setzen lassen werde, etwas zu ändern. 

Ein Waggonbauer, der an der Mahnwache vor dem Fabriktor teilnimmt, sagt auf die Frage, was er sich für die Zukunft des Werkes wünsche: "Arbeiten zu können. Einfach nur arbeiten zu können."

MDR (jwi)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 03. März 2023 | 19:00 Uhr