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Polizeibeamte stehen am frühen Mittwochmorgen in einem italienischen Eiscafé in der Innenstadt in Erfurt. Bildrechte: MDR/ Axel Hemmerling

Organisierte KriminalitätWeltweiter Schlag gegen 'Ndrangheta-Mafia: Festnahme nach Razzia in Thüringen

03. Mai 2023, 20:44 Uhr

Im Zusammenhang mit einer weltweiten Aktion gegen die kalabrische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta gab es auch in Thüringen Durchsuchungen und eine Festnahme. Nach Informationen von MDR und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (F.A.Z.) geht es bei der Operation "Eureka" gegen Drogenhandel und Geldwäsche. Spuren aus diesem Verfahren führen offenbar zu alten Mafia-Ermittlungen in Erfurt, wo vier Objekte durchsucht wurden.

von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR THÜRINGEN

Im Zuge der weltweiten Razzien gegen die italienische Mafia-Organisation 'Ndrangheta ist am Mittwoch eine Person in Erfurt festgenommen worden. Nach Informationen von MDR und "F.A.Z." soll es sich um einen italienischen Gastronom handeln. Er steht offenbar im Verdacht, das Waschen von Drogengeldern organisiert zu haben. In dem Zusammenhang wurden auch vier Wohnungen und Geschäfte in Erfurt durchsucht.

Seit dem frühen Mittwochmorgen gingen Ermittler mit einer groß angelegten Razzia unter anderem in Deutschland, Italien, Belgien und Portugal gegen die kalabrische Mafia-Organisation 'Ndrangheta vor. Rund 150 mutmaßliche Mafiosi wurden in mehreren Ländern festgenommen. Allein in Italien wurden 108 Haftbefehle erwirkt. In Deutschland schlugen mehr als 1.000 Polizisten zu und vollstreckten rund 30 Haftbefehle in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern, im Saarland und in Thüringen.

Operation "Eureka" lief vor vier Jahren an

Die Hauptvorwürfe reichen von der Mitgliedschaft in der Mafia bis hin zu Drogenhandel und Geldwäsche. Die Operation, die den Decknamen "Eureka" trägt, soll vor knapp vier Jahren angelaufen sein und dürfte nach Informationen von MDR und "F.A.Z." eine der größten internationalen Aktionen sein, die je gegen die ‘Ndrangheta stattgefunden haben.

Die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS NRW) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf koordinierte die Razzien in Deutschland, in Italien hält die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria die Federführung. Die Fäden der gesamten Operation "Eureka" laufen bei den europäischen Strafverfolgungsbehörden Eurojust und Europol zusammen.

Große Mengen Kokain nach Europa

Nach Recherchen von MDR und "F.A.Z." stehen im Fokus der Ermittlungen mehrere ‘Ndrangheta-Clans aus dem süditalienischen Dorf San Luca, die auch Kontakte nach Thüringen haben. Sie sollen große Mengen an Kokain aus Südamerika nach Europa geschmuggelt haben. Laut den Ermittlungserkenntnissen sollen sie dafür mit dem Primeiro Comando da Capital in Brasilien, mit dem Clan del Golfo in Kolumbien sowie mit einer albanisch-stämmigen Gruppierung in Ecuador zusammengearbeitet haben.

In Containerschiffen sollen die Drogen in Häfen wie Antwerpen, Rotterdam oder das kalabrische Gioia Tauro gebracht worden sein. Ein Teil des Kokains soll dann weiter bis nach Australien verschifft worden sein. Um die illegalen Drogengelder zu waschen, sollen die Verdächtigen unter anderem in Restaurants, Immobilien und Autowaschanlagen investiert haben. Dabei besteht der Verdacht, dass offenbar ein Geldwäsche-Netzwerk vor allem in Deutschland, Belgien, Portugal und Argentinien aufgebaut worden sein soll. 

Polizeibeamte ermitteln am frühen Mittwochmorgen in Wohnhäusern in Erfurt. Bildrechte: MDR/Axel Hemmerling

Hinweise über Kryptohandys

Nach Informationen von MDR und "F.A.Z." soll die Operation "Eureka", ein Zusammenschluss vom mehreren Verfahren, unter anderem in Juni 2019 im belgischen Genk begonnen haben. Dort gerieten die kalabrischen Betreiber einer Pizzeria ins Visier der Ermittler.

Die Verdächtigen sollen Kontakte mit verschiedenen Kokainhändlern der ‘Ndrangheta gepflegt haben. In der Folge kooperierten belgische und italienische Fahnder, um gegen diese Gruppe zu ermitteln. Bei den weiteren Ermittlungen stellten sie eine Spur nach München fest. Sie führte zu einem Cousin von zwei belgischen Verdächtigen und zu weiteren Verwandten und Bekannten. Sie alle sollen ebenfalls Teil der "Eureka"-Ermittlungen sein. 

Großes Geldwäsche-System in Nordrhein-Westfalen

Zudem sollen die Ermittler besonders in Nordrhein-Westfalen ein weit verzweigtes Geldwäsche-System von Restaurants, Pizzerien, Cafés und Eisdielen entdeckt haben. Bei den Ermittlungen sollen Fahnder auch auf interne Chats von Verdächtigen aus Kryptohandys Zugriff gehabt haben. Dabei geht es offenbar um Geräte der inzwischen stillgelegten Anbieter EncroChat und SkyECC. Nach MDR- und "F.A.Z."-Informationen wäre es das erste Mal, dass solche Kryptohandys eine wichtige Rolle in einem internationalen Anti-Mafia-Verfahren spielen könnten.

Tatverdächtige aus Thüringen in "Eureka"

Im Laufe der Ermittlungen soll der Kreis der Tatverdächtigen immer größer geworden sein. Dabei wurde auch gegen mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitglieder aus Thüringen ermittelt. Einige von ihnen sind in Erfurt als Gastronomen aktiv.

Andere Tatverdächtige sind vor Jahren aus Erfurt nach Portugal gegangen, halten aber weiterhin den Kontakt nach Thüringen. Es besteht offenbar der Verdacht, dass einige aus der Gruppe in Geldwäsche verstrickt sein könnten und sie deshalb im Rahmen der Operation "Eureka" ins Visier der Ermittler geraten sind. 

Spuren führen offenbar zu altem Mafia-Verfahren

Seit über 20 Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Mitglieder und Personen aus dem Umfeld der ‘Ndrangheta in Erfurt und anderen Thüringer Städten aktiv sein sollen. Bereits Anfang 2000 hatten das Bundeskriminalamt, das Thüringer Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Gera gegen eine Gruppe von Männern ermittelt, die im Verdacht standen, zur ‘Ndrangheta und ihrem Umfeld in Thüringen zu gehören. Im Rahmen der Operation mit dem Decknamen "Fido" gingen die Ermittler damals dem Verdacht des Drogenhandels und der Geldwäsche nach. Einige der damaligen Tatverdächtigen sollen auch in den aktuellen Ermittlungen von "Eureka" eine wichtige Rolle spielen.

Nachdem MDR und "F.A.Z." im Februar 2021 über das bis dahin geheim gehaltene "Fido"-Verfahren berichtet hatten, beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages mit dem Fall. Er prüft, warum trotz intensiver Ermittlungen damals alle operativen Maßnahmen aus bisher unbekannten Gründen eingestellt wurden. Zudem geht es um die Frage, ob Mitglieder oder Personen aus dem Umfeld der ‘Ndrangheta in Erfurt Kontakte in Politik, Justiz oder Verwaltung gehabt haben.

Mit Blick auf die Razzien haben Thüringer Politiker mehr Einsatz im Kampf gegen die organisierte Kriminalität gefordert. Es gebe enormen Nachholbedarf, außerdem müssten Ermittler besser ausgestattet werden.

Seit April 2021 setzt das Thüringer Parlament einen Untersuchungsausschuss zur Mafia im Freistaat ein. Bildrechte: MDR/Axel Hemmerling

Auftraggeber des "Weihnachtsmassakers" von 2006 gefasst

Aufgrund der Überwachungen im Rahmen der Operation "Eureka" konnten schon in den vergangenen Jahren mehrere gesuchte Kriminelle gefasst werden. Das bestätigten Ermittler MDR und F.A.Z. Unter ihnen: Francesco Pelle, der auf der Liste der gefährlichsten Verbrechers Italiens stand.

Er war als Auftraggeber des sogenannten "Weihnachtsmassakers" von 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Damals war bei einem Anschlag in San Luca die Ehefrau eines Clanbosses erschossen worden. Diese Tat war der Auslöser für die "Mafiamorde von Duisburg" im August 2007, bei denen damals auch eine Spur nach Erfurt führte.

Ermittler konnten Pelle, der 2019 aus seinem Hausarrest verschwand, im März 2021 in einem Krankenhaus in Lissabon verhaften, wo er wegen einer schweren Corona-Infektion stationiert war. Die Klinik ist nur wenige Hausblöcke von einem italienischen Restaurant entfernt, für das sich offenbar die Ermittler in der Operation "Eureka" interessieren.

Wer ist die 'Ndrangheta?

Die 'Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt und ist längst international über die Grenzen Italiens hinaus aktiv. Beheimatet ist sie in der Region Kalabrien, der Spitze des italienischen "Stiefels" auf dem Festland gegenüber der Insel Sizilien.

Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffenhandel, Geldwäsche und durch Korruption. Ihren Umsatz schätzen manche Experten auf mehr als 100 Milliarden Euro. Es gibt rund 160 Clans in Kalabrien mit schätzungsweise 6000 Mitgliedern. Der Begriff 'Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue. Die Mafia-Organisation soll sich in den 1860er Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der italienischen Regierung von der Insel verbannt wurde.

Die 'Ndrangheta hat auch in Deutschland ein festes Standbein. Clans der Organisation waren etwa für die Mafia-Morde von Duisburg verantwortlich, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden.

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MDR/dpa (jml)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 03. Mai 2023 | 07:00 Uhr