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StädtepartnerschaftenDeutsch-russischer Austausch leidet massiv unter dem Krieg

24. Februar 2023, 05:00 Uhr

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur in Europa. Nicht nur politisch und militärisch werden seit einem Jahr die Weichen neu gestellt. Der Krieg hat auch Auswirkungen auf die lange und traditionsreiche Zusammenarbeit deutscher und russischer Kommunen und Partnerschaften. Initiatoren erzählen, wie ihre Arbeit unter dem Krieg leidet – aber auch, was sie nach dem Krieg bewirken könnte.

Das Geschehen vom 14. Januar in Dnipro wird sich tief ins Gedächtnis eingraben: Ein mutmaßlich russischer Marschflugkörper trifft mitten in einen Plattenbau-Riegel, hinterlässt einen tiefen Einschlag und Gebirge aus Beton und Schutt. Dutzende Menschen sterben, und auch Tage später wird in den Trümmern noch nach Überlebenden und Leichen gesucht.

"Diese Bilder werden wir nie vergessen", sagt Martin Kummer mit Blick auf den Raketenangriff auf Dnipro. Er hat aber auch die Gräueltaten in und um Charkiw im Kopf und andere der vergangenen Monate. Kummer leitet die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft in Thüringen, pflegt seit Jahrzehnten Kontakte nach Russland, nach Belarus und auch in die Ukraine.

Das ist aktuell schon aus logistischen Gründen ein schwieriges Unterfangen. Aber auch in Zukunft, sollte dieser Krieg irgendwann einmal enden, wird seine Arbeit problematisch sein. "Den russischen Überfall auf die Ukraine und der ohne jegliche Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, auf Frauen, Kinder und alte Menschen fortgesetzte Angriffskrieg Russlands, wie aktuell in Dnipro oder Charkiw zu ertragen, wird die Arbeit von deutsch-russischen Vereinen und Organisationen in Deutschland auf lange Zeit belasten", sagt Kummer.

Eine Wiederannäherung könne gut eine Generation dauern: "Wenn der Krieg endet, ist das kein Ende des Krieges. Das wird eine Hypothek sein, die uns alle, unsere Beziehungen zu Russland, zu Belarus und zur Ukraine noch lange belasten wird."

Kommunen legen Städtepartnerschaften auf Eis

Nicht nur die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft ist derzeit in ihrem Handeln eingeschränkt, auch andere Vereine, Organisationen sowie Kommunen haben den Austausch mit Russland eingeschränkt. Fast alle der Kommunen, die laut Deutsch-Russischem Forum in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Städtepartnerschaft nach Russland haben, haben diese mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 eingefroren, wie aus einer Umfrage des MDR hervorgeht: Dresden, Chemnitz aber auch Gera, Halle, Jena, Mühlhausen, der Landkreis Schmalkalden-Meiningen, Suhl, Zeitz und die Stadt Anhalt/Zerbst.

Wenn der Krieg endet, ist das kein Ende des Krieges. Das wird eine Hypothek sein, die uns alle, unsere Beziehungen zu Russland, zu Belarus und zur Ukraine noch lange belasten wird.

Martin Kummer | Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft Thüringen

Jena pflegt demnach keine Städtepartnerschaft, jedoch eine Städtefreundschaft, an der die Stadt weiter festhält. Auch Bitterfeld-Wolfen hält den Kontakt zur russischen Partnerstadt Dzerhinsk weiter. Weil es ihnen um den Kontakt zwischen Menschen, der Kultur und den Sport gehe, sagt Oberbürgermeister Armin Schenk.

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Anders in Dresden und Chemnitz: "Offizielle Kontakte nach St. Petersburg gibt es seitens der Landeshauptstadt Dresden keine mehr", sagt ein Sprecher der Stadt. "Wir arbeiten auch nicht im Rahmen unserer Road Map 2018 bis 2025 an Projekten weiter. Besuche finden selbstverständlich nicht statt."

In Chemnitz gibt es nach Angaben der Stadt seit Kriegsbeginn keine aktive Zusammenarbeit zwischen Chemnitz und der russischen Partnerstadt Wolgograd. Wie ein Sprecher der Stadt mitteilte, wurden zwar keine konkreten Veranstaltungen abgesagt, aber angedachte Projekte werden nicht weiterverfolgt, "solange Russland sich im Krieg mit seinem Nachbarn befindet und sich Wolgograd davon nicht offiziell distanziert".

Alle Beziehungen zwischen mitteldeutschen und russischen Städten im Überblick

Sachsen-AnhaltRusslandseit wann
Anhalt/ZerbstPushkin/St. PetersburgPartnerschaft seit 1994
Bitterfeld-WolfenDzerzhinskPartnerschaft seit 1996
HalleBaschkortostanPartnerschaft seit 1997
ZeitzKaliningradPartnerschaft seit 2010
Sachsen  
ChemnitzWolgogradPartnerschaft seit 1988
DresdenSt. PetersburgPartnerschaft seit 1961
Thüringen  
MühlhausenKaliningradFreundschaft seit 2016
MühlhausenKronstadtPartnerschaft seit 1995
SuhlKalugaPartnerschaft seit 1969
Schmalkalden/Meiningen (Landkreis)SlawgorodPartnerschaft seit 1998
JenaWladimirFreundschaft seit 2008
GeraPskowPartnerschaft seit 1969
GeraRostrow am DonPartnerschaft seit 1987

Die deutschen Kommunen wollen allerdings ihre Städtepartnerschaft nach einem möglichen Kriegsende wiederaufnehmen: "Um den Faden zwischen den friedliebenden Menschen nicht abreißen zu lassen", wie der Sprecher von Dresden erläutert. "Wir müssen uns immer der Tatsache bewusst sein, dass auch in St. Petersburg eine Vielzahl von Einwohnerinnen und Einwohnern mit dem kriegerischen Vorgehen des russischen Präsidenten absolut nicht einverstanden ist. Viele gehen auf die Straße und riskieren, für ihre freie Meinungsäußerung eingesperrt zu werden." Und um die Menschen zu verbinden, sagt der Chemnitzer Stadtsprecher. "Die Partnerschaft kann genutzt werden, um die Demokratie zu stärken. Somit kann diese Partnerschaft nach dem Krieg wichtig sein, um unsere Werte mit den Russinnen und Russen in Wolgograd zu teilen."

Warum die Vereine trotzdem weiterarbeiten

Auch Vereine, wie etwa Kummers Gesellschaft in Thüringen, geben nicht auf. "Wir machen mit dem weiter, was hier geht." Zum Beispiel organisiert die Gesellschaft zum 24. Februar eine Lesung mit Ignaz Lozo in Erfurt. Würden die zivilgesellschaftlichen Kontakte zu Russland und zu Belarus aufgegeben, dann "werden wir einen Konflikt vor uns hertragen, der unerträglich wird".

Die Partnerschaft kann genutzt werden, um die Demokratie zu stärken.

Stadt Chemnitz | über eine Zusammenarbeit nach dem Krieg

Oder wie die "Freunde Baschkortostans" in Halle. Sie musste nach Angaben von Sprecher David Horn zentrale Projekte wie einen siebenwöchigen Jugendaustausch mit Ufa aufschieben. Dennoch arbeitet der Verein weiter, allerdings ohne die Partner in Russland. "Die Kontakte sind privater geworden, aber vielleicht auch individueller – ich selbst habe deutlich weniger regelmäßigen Kontakt heutzutage in der Russischen Föderation als noch vor einem Jahr, unter anderem auch weil ich mir einfach unsicher bin und Freunde vor Ort nicht gefährden will", sagt Horn.

Die Maria-Pawlowna-Gesellschaft in Weimar verbindet keine Städtepartnerschaft, sondern die Erinnerung an eine russische Großfürstin mit der russischen Föderation. Die Gesellschaft pflegt das Erbe der Weimarer Wohltäterin und Kunstmäzenin. "Wir haben einen großen Bezug zu Russland, aber nicht nur", sagt Irina Tschistowskaja von der Maria-Pawlowna-Gesellschaft. Auch sie muss ihr wichtigstes Projekt anders angehen als geplant.

Zuletzt wollte die Gesellschaft die Pawlowna-Route als Kulturgut etablieren, eine Route, die die Reise der Großfürstin von St. Petersburg nach Weimar kunst- und kulturtouristisch nachzeichnet. "Das Auswärtige Amt hat Unterstützung signalisiert, und dann kam der Krieg", sagt sie. Tschistowskaja führte die Route der Großfürstin durch insgesamt sechs Staaten. Das sei momentan schwierig. "Wir entwickeln die Route jetzt von Weimar aus. Im vergangenen Jahr haben wir den Abschnitt zwischen Weimar und Leipzig organisiert und planen im Frühjahr eine Kutschenfahrt."

Wann es weitergehen wird mit den Städtepartnerschaften und der zivilgesellschaftlichen Arbeit vor Ort, das ist derzeit offen. Auch das Wie. Martin Kummer spricht von inzwischen unermesslich geschädigten Beziehungen. Er ist der Ansicht, die zivilgesellschaftlichen Kontakte dürften jetzt ruhen, komplett aufgeben sollte man sie aber nicht. "Sie werden die Grundlage für den Tag eins nach dem Krieg zu einer personell und politisch neu definierten Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Russland und in Belarus sein."

MDR (amu)

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