Wasserkraft in MontenegroDas schmutzige Geschäft mit grüner Energie
An abgelegenen Flüsschen in Montenegro bauen Geschäftsleute kleine Wasserkraftwerke und verdienen damit viel Geld. Wenig Nutzen bei großer Zerstörung, öffentlich subventioniert.
Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen – das wollen auch Balkanländer wie Montenegro. Setzen Regierungen Anreize, kommt die Energiewende schneller voran. So wird in Deutschland der Umstieg auf grüne Energie teilweise durch die EEG-Umlage finanziert. Auch in Montenegro zahlen Verbraucher mit einem Teil des Energiepreises eine Abgabe für erneuerbare Energien. Wer in Anlagen investiert, die erneuerbare Energie gewinnen, profitiert. Beispielsweise von vergünstigten Krediten und garantierter Stromabnahme durch die Energieversorger zu festen Preisen. Die wiederum aus den Abgaben der Verbraucher finanziert werden.
Das haben montenegrinische Geschäftsleute, die der Regierung nahestehen, verstanden und auch die Mafia witterte ein Geschäft. Und so sind in Montenegro, aber auch in den Nachbarländern Serbien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina viele kleine Wasserkraftwerke entstanden. Und noch mehr sind geplant. Der Haken an der Sache: Die Flüsse, an denen Geschäftsleute die erneuerbare Energie gewinnen, sind danach zerstört.
Großer Schaden für Mensch und Natur
Die kleinen Wasserkraftanlagen produzieren gerade einmal bis zu zehn Megawatt Strom. Sie bestehen unter anderem aus einem Becken, in dem eine Mauer das Wasser staut. Nach der Staumauer ist der Fluss dann kilometerweit in Röhren unter die Erde verlegt. Aus den Röhren fließt es in Turbinen und dann bestenfalls im Flussbett weiter. Oberhalb der Röhren bleibt aber allenfalls ein Rinnsal. Wenn allerdings mehrere Anlagen hintereinander installiert werden, bleibt nichts mehr vom Fluss übrig.
Das sei existenzbedrohend für Mensch und Ökosystem, sagt Irma Popović Dujmović vom World Wildlife Fund Adria (WWF Adria) in Zagreb im Videotelefonat mit dem MDR. Kleine Wasserkraftanlagen greifen ihrer Ansicht nach viel zu sehr in die Natur ein, vor allem gemessen daran, wie wenig Strom sie produzieren würden. So betrage der Anteil von aus kleinen Wasserkraftwerken gewonnenen Energie in keinem Land der Balkanregion mehr als drei Prozent an der gesamten Energiemenge.
Die betroffenen Menschen allerdings verlieren für so wenig Strom und das Privatinteresse Einzelner viel: das Wasser für ihr Vieh und ihre Felder, touristisches Potential sowie ihre Erholungsorte. Es gehe hier aber nicht nur um finanzielle Verluste, sondern auch um lokale Identität, meint Popović Dujmović. Und das in armen Gegenden auf dem Land, wo die Menschen ohnehin kaum mehr hätten als die Naturschönheiten, die sie umgeben. Im Jahr 2020 produzierten in Montenegro laut WWF Adria bereits 13 kleine Wasserkraftwerke Strom, 70 waren in Planung.
Geschäftsmodell kleine Wasserkraftwerke
Seit mehr als zehn Jahren gibt es eine regelrechte Welle solcher Bauprojekte in der Region. Mit anderen Quellen erneuerbarer Energien beschäftigt sich kaum jemand, da die kleinen Wasserkraftwerke ein funktionierendes Geschäftsmodell seien – für manche. Das geht so, erklärt Popović Dujmović vom WWF Adria: Als Betreiber profitiert man von günstigen Krediten für erneuerbare Energien und von der garantierten Abnahme von Strom zu Preisen weit über dem regulären Strompreis. Das alles werde subventioniert aus Abgaben, die jeder mit der regulären Stromrechnung bezahle: "Stellen Sie sich vor, jemand produziert Kartoffeln. Und in den nächsten 20 Jahren werden ihm seine Kartoffeln garantiert abgekauft. Für etwa zehn Jahre sogar für einen Preis, der nicht die marktüblichen 2,5 Euro beträgt, sondern fünf oder sechs oder sieben Euro. Wer würde denn in so ein Geschäft nicht einsteigen?" fragt Popović Dujmović. Außerdem würden Schmiergelder häufig nachhelfen, Auflagen und Genehmigungsprozesse zu umgehen und den Bauherren die Rückendeckung der Polizei zu sichern. Es gäbe viele Beispiele, in denen Polizisten auf Bürger eingeprügelt hätten, die sich friedlich den Baggern in den Weg gestellt hätten.
Proteste gegen Miniwasserkraftwerke regen sich
Oft bekommen die Menschen in den betroffenen Regionen vom Bau der Miniwasserkraftanlagen erst etwas mit, wenn der Bagger kommt, berichtet die WWF-Frau Popović Dujmović weiter. So war es im Sommer 2020 auch im Dorf Kraljske Bare im bergigen Norden Montenegros. Sofort waren die Einwohnerinnen und Einwohner vor Ort und blockierten die Bauarbeiten. Der Bürgermeister des Dorfes Milovan Labović sagte bereits zu Beginn: "Wenn man die Flüsse in Rohre verlegt, können wir hier nicht mehr leben." Fast jede Woche demonstrieren die Dorfbewohner seitdem an der Baustelle mitten im Wald zwischen Stapeln von mächtigen schwarzen Röhren und anderem Baumaterial. Detailliert haben sie nachgewiesen, was im Prozess der Genehmigung für das Wasserkraftwerk an ihrem Flüsschen Čestogaz schief gelaufen ist und haben sich damit an die Behörden gewandt.
Initiativen gegen kleine Wasserkraftwerke auf dem ganzen Balkan
Initiativen wie im Dorf Kraljske Bare gibt es überall auf dem Balkan. Vor allem über die Online-Netzwerke bekämen die Menschen längst auch über Ländergrenzen hinweg mit, was an anderen Orten vor sich ginge, berichtet Irma Popović Dujmovi. Etwa ab 2017 hätten sich die Initiativen auf dem Balkan enger miteinander verbunden. Erst diesen Sommer gründete sich im bosnischen Sarajevo ein regionales Bündnis unter dem Motto "Lasst uns die Balkanflüsse verteidigen" (Odbranimo r(ij)eke Balkana). Auch Initiativen aus Montenegro waren bei dem Treffen dabei.
Umdenken bei Montenegros Regierung?
Offenbar haben die Proteste in Montenegro bereits etwas bewirkt. Noch 2019 begann die damalige Regierung, die dem Langzeitherrscher Milo Đukanović nahestand, bereits bestehende Konzessionen zum Bau von kleinen Wasserkraftwerken aufzulösen. Die seit Ende 2020 amtierende neue Regierung versprach dann, sie werde keine weiteren Genehmigungen erteilen und darüber hinaus laufende Projekte stoppen.
Aus Angst vor Klagen der Investoren scheue sich die Regierung jedoch noch davor, Verträge aufzulösen und Konzessionen zu entziehen, schätzt Popović Dujmović vom WWF Adria die Lage ein. Das sei ein Fehler, denn die montenegrinische Regierung könne das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik auf diese Weise stärken. Das lohne auf jeden Fall, denn viel Vertrauen hätten die Menschen in die Politik nicht.
Ernüchterung und Hoffnung
Bisher sind die Ankündigungen der neuen montenegrinischen Regierung in den Augen der Leute im Dorf Kraljske Bare aber lediglich Lippenbekenntnisse. Auf einem Facebook-Video ist zu sehen, wie Bürgermeister Milovan Labović nach 15 Monaten des Protests auf einer weiteren Kundgebung spricht. Im Hintergrund liegen immer noch die Stapel schwarzer Rohre, in denen das Flüsschen Čestogaz verschwinden soll: "Leider stellen sich die zuständigen Institutionen taubstumm," fasst der Bürgermeister die bisherigen Reaktionen der staatlichen Stellen zusammen.
Dem Aktivisten Denis Mekić von der Initiative "Sačuvajmo rijeke Crne Gore" (Lasst uns Montenegros Flüsse bewahren) in der Hauptstadt Podgorica macht unterdessen eines Hoffnung: Genau zwei Jahre sei es her, dass die Regierung den Vertrag für eine geplante Wasserkraftanlage nahe seiner Heimatstadt Bijelo Polje im Norden Montenegros aufgelöst hat. "Wir werden weiter protestieren," sagt Mekić. Und an Regierung und Behörden gerichtet: "Wir sind fest entschlossen, so lange weiter zu machen, bis sie endlich ihre Arbeit machen. Das ist alles."
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Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm:MDR Fernsehen | 12. September 2021 | 09:30 Uhr