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Vitali KlitschkoUkraine: Der nächste Komiker im Präsidentenamt?

07. Dezember 2020, 09:50 Uhr

Lange hatte sich Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko bemüht, seriös aufzutreten. Mit mäßigem Erfolg. Nun versucht er, seine rhetorischen Schwächen in Stärken umzumünzen: mit einem Buch seiner beliebtesten Versprecher. Beobachter vermuten, dass sich Klitschko mit dieser Aktion als Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 empfehlen will.

von Denis Trubetskoy, Kiew

Vitali Klitschko bei der Präsentation seines Buches "Wer es nicht hört, wird es sehen". Bildrechte: Bürgermeisteramt der Stadt Kiew

Mit 50,52 Prozent der Stimmen hat Vitali Klitschko unlängst zum dritten Mal die Bürgermeisterwahl in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gewonnen. Doch der 49-jährige Ex-Boxweltmeister will ganz nach oben. Klitschko träumt offenbar davon, ukrainischer Präsident zu werden. Einmal schon war er dicht dran. Während der Maidan-Revolution 2013/2014 galt Klitschko als Favorit für das höchste Amt. Doch sein fehlendes rhetorisches Talent ließ ihn nicht gut aussehen. Und so lieferte Klitschko mit Sätzen wie "Ich habe mich mit vielen Polizisten und Demonstranten getroffen, die ums Leben gekommen sind", zwar reichlich Stoff für lustige Memes, Präsident wurde seinerzeit jedoch Petro Poroschenko.  

"Olexander, wie heißen Sie?"

Sein Ziel verlor Vitali Klitschko allerdings nicht aus den Augen. Und so mühte sich der Kiewer Bürgermeister lange Zeit, staatsmännisch aufzutreten. Tatsächlich aber produzierte er weiter Versprecher am laufenden Band. Seit einiger Zeit fährt Klitschko nun eine andere Strategie: Er versucht, aus seinen Schwächen politisches Kapital zu schlagen: Er gibt sich selbstironisch, humorvoll und volksnah. Seit dem Frühjahr trägt Klitschko beispielsweise oft T-Shirts mit Botschaften wie "Quentin Karantino" (Eine Anspielung auf den Corona-Lockdown) und zeigt sich in TikTok-Videos als Mensch wie Du und ich. So konnte man dem Kiewer Bürgermeister dabei zusehen, wie er sich während des Corona-Lockdowns im Frühjahr selbst die Haare schnitt. Die nächste Stufe seiner Imagekampagne startete Klitschko vor einigen Tagen, als er in Kiew ein illustriertes Buch mit seinen 16 beliebtesten Versprechern vorstellte.

Karrikatur zum Klitscho-Versprecher "Ich habe zwei Stellvertreter, vier davon liegen bereits seit einem Monat im Büro." Bildrechte: Bürgermeisteramt der Stadt Kiew


"Olexander, wie heißen Sie?", fragte Klitschko einst einen Hörer, der sich während einer Radiosendung zuvor als Olexander vorgestellt hatte. Kultstatus genießt auch dieser Spruch, einst bei einem öffentlichen Auftritt gemacht: "Ich habe zwei Stellvertreter, vier davon liegen bereits seit einem Monat im Büro." Sehr beliebt ist zudem sein Satz "Es ist Zeit, sich auf die Erde vorzubereiten". Eigentlich sollte man sich ja auf den Winter vorbereiten. Doch Erde (Semlja) und Winter (Syma) kann man im Ukrainischen schon mal verwechseln. Und noch ein Klitschko-Klassiker: "Um das kalte Wasser warm zu machen, muss es erwärmt werden." Illustriert werden die Klitschko-Zitate im Buch "Wer es nicht hört, wird es sehen", mit Karikaturen. So sieht der Leser zum Beispiel den lachenden Klitschko mit einem Handy oder einer Schaufel in der Hand.

Großer Andrang: Nach der Lesung stehen die Leute Schlange, um sich das Klitschko-Buch vom Autor signieren zu lassen. Bildrechte: Bürgermeisteramt der Stadt Kiew

Sticheleien gegen Präsident Selenskyj

"Es ist ein helles, fröhliches, positives Buch. Ich bin jemand, der über sich selbst und über gute Witze lachen kann", betonte der 49-Jährige während der Buchpräsentation. "Also nicht über solche, die Kwartal 95 macht." Kwartal 95 ist die ehemalige Produktionsfirma des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die überwiegend politische Satiresendungen produziert.

Finanziert wurde das Buch von Klitschko selbst, gedruckt wurden vorerst 3.000 Exemplare. Die Einnahmen sollen an eine gemeinnützige Stiftung gehen. Ein zweites, größeres Buch sei bereits geplant.

Bei vielen Ukrainern konnte Kiews Bürgermeister mit seiner Charmeoffensive punkten. "Ein Chef mit Sinn für Humor ist hierzulande eine Seltenheit", so der Tenor der Kommentare in den sozialen Netzwerken. Vermutet wird allerdings auch, dass das Buch den Auftakt einer langen Präsidentschaftskampagne zur Wahl 2024 ist. Tatsächlich ist intern aus dem Lager Klitschkos zu hören, dass eine Kandidatur in Erwägung gezogen wird. Bei einer aktuellen Umfrage der unabhängigen Rating Group zum Vertrauen, das ukrainische Politiker im Lande genießen, landete Klitschko auf Rang zwei, hinter dem amtierenden Präsidenten Selenskyj. Doch das muss nicht viel bedeuten, denn andere Analysen zeigen, dass sich viele Ukrainer aufgrund der bisher durchwachsenen Bilanz von Präsident Selenskyj, dem ehemaligen Komiker, eher mehr Seriosität als noch mehr Comedy wünschen. Ob Klitschkos Strategie also tatsächlich mehr als nur kurzfristige Sympathie erzeugen kann, bleibt abzuwarten.

Vitali Klitschko als Produzent spaßiger Versprecher. Im Hintergrund sein verunglückter Kommentar, nachdem in Kiew eine Brücke teilweise zusammengerochen war: "Die Brücke ist müde." Bildrechte: Bürgermeisteramt der Stadt Kiew

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 25. Oktober 2020 | 00:30 Uhr

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