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Der Architekt Ulf Nguyen Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz

Jüdisch sein – Eine Frage der ÜberzeugungWarum Ulf Nguyen zum Judentum konvertiert

17. Mai 2022, 09:44 Uhr

Das Judentum missioniert nicht. Wer übertreten möchte, muss jahrelang lernen, sein Leben nach den jüdischen Religionsgesetzen ausrichten und schließlich eine Aufnahmeprüfung ablegen. Ulf Nguyen hat sich entschieden, diesen langen Weg zu gehen. Er möchte Jude werden.

Ulf Nguyen wirkt wie ein Mann, der weiß, was er will. Weckt eine Thematik sein Interesse, dann vergräbt er sich regelrecht darin. Ist er von einer Idee überzeugt, dann zieht er sie bis ins kleinste Detail durch. Eine Eigenschaft, die bei seinem Ziel sicherlich hilfreich ist: Ulf möchte Jude werden. Vor sieben Jahren hat er sich entschieden, zum Judentum zu konvertieren und sich damit auf einen langen Weg des Lernens begeben.

Der neue Glaube

Jeder Tag beginnt für Ulf mit einem Gottesdienst. Zwischen 8 und 9 Uhr folgt er den Worten von Zsolt Balla, dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Leipzig, coronabedingt via Live-Stream im Internet. Die Psalmen und Gebete werden alle in Hebräisch vorgetragen und mitgesprochen – eine Sprache, die Ulf erst erlernen musste. Das Hebräische Alphabet brachte er sich selbst bei. Für die Gottesdienste hat er ein Gebetsbuch mit deutschen Übersetzungen zu den hebräischen Versen.  Ulf wurde getauft, aber nicht christlich erzogen. Religion und Glaube spielten in seiner Familie keine wirklich große Rolle. Mit 18 Jahren trat er aus der Kirche aus. Sein Interesse für das Judentum wurde vor zehn Jahren geweckt, als ein Verwandter sich intensiver mit der Familiengeschichte beschäftigte und Hinweise auf jüdische Vorfahren entdeckte.

Der Glaube gibt mir Halt. Mit ein bisschen mehr Zuversicht sehe ich in jeder noch so abstrusen Veränderung die Möglichkeit, etwas daran besser zu machen.

Ulf Nguyen

Giur, der Konversionsprozess zum Judentum

Jüdisch ist, wer eine jüdische Mutter hat.

Das Judentum wirbt nicht aktiv um neue Mitglieder, schließt einen Übertritt aber auch nicht aus.

Der Konversionsprozess dauert mehrere Jahre. Um in den Konversionsprozess "Giur" aufgenommen zu werden, müssen Interessierte eine Gemeinde finden, die sie als Gäste aufnehmen und einen Lehrer, der sie unterstützt.

Im Konversionsprozess lernen die Schülerinnen und Schüler unter anderem die hebräische Sprache, studieren die Heilige Schrift "Tora" mit ihren 613 jüdischen Geboten und müssen sich eine jüdische Lebensweise aneignen, zu der beispielweise die koschere Ernährung gehört.

Für Männer gehört die Beschneidung zur Konversion. Hierbei erhalten sie auch ihren jüdischen Vornamen.

Das "Beit Din", ein aus drei Mitgliedern bestehenden Rabbinatsgericht, prüft am Ende des Prozesses die Beweggründe zur Konversion und das Wissen der Schülerinnen und Schüler.

Letztendlich wird man mit dem Untertauchen in der Mikwe, dem rituellen Bad, zu einem Juden oder einer Jüdin.

Einen Austritt aus dem Judentum gibt es nicht.

 

Gottesdienst am Morgen via Internet Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz

Die jüdische Religionszugehörigkeit wird matrilinear weitergegeben, heißt: Wer eine jüdische Mutter hat, ist Jude oder Jüdin. Ulf konnte keinen eindeutigen Beleg dafür finden, dass es in seiner Familie mal eine Jüdin gab. Er befasste sich aber dennoch immer intensiver mit dem Judentum, wodurch mit der Zeit der Wunsch entstand, dazugehören zu wollen: "In vielen Regeln und Umgangsformen habe ich mich einfach wiedergefunden", erzählt Ulf. Der Glaube gibt ihm Halt und seinem Alltag Struktur.

Die Gemeinde als Familie

Ulf Nguyen mit seiner Familie beim gemeinsamen Essen, die jüdische Gemeinde gehört für ihn jetzt auch dazu. Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz

Seine Arbeit kann sich der Architekt frei einteilen, sodass er morgens und abends Zeit für das Gebet hat. Am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, der am Freitag bei Sonnenuntergang beginnt und mit Eintritt der Dunkelheit am Samstag endet, arbeitet er gar nicht, holt Liegengebliebenes am Sonntag nach.

Für seine Familienangehörigen waren die vielen Umstellungen im Alltag nicht ganz so einfach: Eine koschere Ernährung, feste Zeiten für Gebete und andere Feiertage als die christlichen – diese alltäglichen Änderungen konnten noch ganz gut in die Familie integriert werden. Ulfs damalige Lebensgefährtin stand aber irgendwann vor der Frage: Trete auch ich zum Judentum über? "Ich habe mich mit verschiedenen Rabbinern unterhalten, mit jüdisch Gläubigen, mit Konvertierten", erzählt Doreen Sinner, "aber in meinem Leben spielt es nicht so eine intensive Rolle, wie das für die Konversion nötig wäre." Vor zwei Jahren ist sie mit den gemeinsamen Kindern in eine eigene Wohnung gezogen.

Ich habe mich wohlig warm aufgenommen gefühlt in Dresden. Die jüdische Gemeinde dort ist für mich ein Stück Familie geworden.

Ulf Nguyen

In seiner Heimatstadt Pirna kennt Ulf keine weiteren Menschen jüdischen Glaubens, es gibt keine Gemeinde, keinen Gebetsraum. Verlassen möchte er Pirna aber nicht. Stattdessen fährt er zwei bis drei Mal die Woche nach Dresden, geht dort in die Synagoge und sucht den Kontakt zu anderen Gläubigen. In der Gemeinde fühlt er sich wohl, bezeichnet sie als Familie. Außerdem lernt er dort weiter, was es bedeutet, ein jüdisches Leben zu führen.

Jüdisch sein – Eine Frage der Überzeugung Einblicke in Ulf Nguyens Alltag

Ulf Nguyen in seinem Morgengottesdienst Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz
"Der Glaube gibt mir Halt. Mit ein bisschen mehr Zuversicht sehe ich in jeder noch so abstrusen Veränderung die Möglichkeit, etwas daran besser zu machen", sagt Ulf Nguyen. Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz
Dreharbeiten in der Küche: Ulf Nguyen kocht gemeinsam mit seinen Töchtern. Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz
Ulf Nguyen beim gemeinsamen Abendessen mit seiner Familie Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz
Da es in Pirna keine jüdische Gemeinde gibt, macht sich Ulf Nguyen auf den Weg mit dem Zug nach Dresden. Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz
Ulf Nguyen besucht seinen langjährigen Freund Elmar Vogel. Den Steinmetz hat er über ein gemeinsames Bau-Projekt kennengelernt. Über die Zusammenarbeit entwickelte sich eine Freundschaft. Bildrechte: MDR/Fabienne von der Eltz

Die Prüfung und ein neuer Name

Sein Lehrer ist Akiva Weingarten, Rabbiner der Dresdner Gemeinde. Er kennt viele Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen konvertieren wollen: um zu heiraten oder nach Israel auszuwandern beispielsweise. Ulf begleitet und unterrichtet er inzwischen seit zwei Jahren. Bei ihm hat er erkannt, dass er aus einer tiefen Überzeugung konvertieren möchte. Er ist schon viele Schritte auf dem Weg zum Judentum gegangen, wie Akiva Weingarten findet: "Ulf kommt zu allen Gottesdiensten, spricht Hebräisch, war schon in Israel, jetzt fehlt nur noch der formale Teil."

Dieser so genannte formale Teil ist eine Prüfung durch ein Rabbinatsgericht: Vor drei Rabbinern muss Ulf seine Motivation für den Übertritt erklären und beweisen, dass er ein jüdisches Leben führt. Anschließend folgt das Ritualbad in der Mikwe. Wenn Ulf Nguyen aus diesem Bad aufgetaucht ist, wird er offiziell ein Jude sein und bekommt auch einen hebräischen Namen. Den hat er sich schon ausgesucht: "Zeʾev – das bedeutet Wolf auf Hebräisch. Denn Ulf kommt ja aus dem Skandinavischen und heißt der Wolf." 

Daten & Fakten• Die jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland haben 94.771 Mitglieder (Stand 2019). Die Mitgliederzahlen sind seit 1990 immer weiter gestiegen, sinken seit 2006 aber wieder leicht.

• Der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Sachsen hat 2.440 Mitglieder (Stand 2019)

• In Sachsen gibt es drei jüdische Gemeinden: die Jüdische Gemeinde Chemnitz, die Jüdische Gemeinde zu Dresden und die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig

• Drei Synagogen werden in Sachsen genutzt: die Brodyer Synagoge in Leipzig, sowie die Neuen Synagogen in Dresden und Chemnitz

• Die jüdische Gemeinde in Dresden hat 707 Mitglieder (Stand 2019) der Gemeinderabbiner ist Akiva Weingarten
• Die Gemeinden in Leipzig und Chemnitz haben 1.196 und 537 Mitglieder (Stand 2019)

• Die Zahl der Menschen, die in Deutschland zum Judentum konvertieren variiert von Jahr zu Jahr. Für 2020 schätzt die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland sie auf etwa 25.

Quellen: Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ZWST, Zentralrat der Juden in Deutschland, Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland

 

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