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Orte des WissensOodi – die beste Bibliothek der Welt steht in Helsinki

10. März 2024, 05:00 Uhr

Was macht eine Bibliothek so besonders, dass sie von Ministerpräsidenten, Stadtentwicklungsbüros, Politikern und Bibliothekarinnen aus aller Welt besucht wird? Warum investiert der finnische Staat fast 100 Millionen Euro in eine Bibliothek? Wie funktioniert sie, die Bibliothek der Zukunft, die 2019 zur besten Bibliothek der Welt gekürt wurde? Eine Wunschliste der Stadtgesellschaft – Mitbestimmung als Prinzip.

Mitten im Zentrum, direkt gegenüber vom Parlament steht sie – die neue Bibliothek von Helsinki namens Oodi, was übersetzt "Ode" heißt. Eine Ode an das Lernen und auch eine Ode an eine Idee für das Zusammenleben im 21. Jahrhundert. Dabei hat es ein Jahrzehnt gebraucht, um diese neue Zentralbibliothek für Helsinki zu planen und zu bauen. Und vielleicht liegt in dieser langen Vorbereitungsphase der Schlüssel zum Erfolg. Denn bevor jemals der erste Spatenstich erfolgte, wurden die Bürger und Bürgerinnen der finnischen Hauptstadt gefragt: Was wünscht ihr euch von einer Bibliothek? Und gleichzeitig befragte die Stadtverwaltung auch die Bibliothekare und Bibliothekarinnen: Was braucht Ihr für ein gutes Arbeitsumfeld?

Ein Wohnzimmer für Helsinki – 7.000 Menschen kommen pro Tag

Und wenn man viele Menschen fragt, bekommt man auch viele Antworten. Antworten, die einander oft widersprechen: Groß und offen soll die Bibliothek sein, intim und leise.

Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Kinder sollen einen Raum zum Toben haben, Lesende ihre Ruhe bei der Lektüre. Und überhaupt: Die Bibliothek soll mehr sein als ein Ort zum Bücher ausleihen. Sie soll eine Art Wohnzimmer in der Stadt sein: ähnlich vertraut wie zu Hause und dazu noch Treffpunkt, Lernort, Marktplatz und sozialer Kommunikationsraum. Die Menschen wünschen sich ein vielfältiges Angebot, um Dinge einfach auszuprobieren. Sie wollen Playstation spielen, T-Shirts drucken, 3D-Drucker testen, im Musikstudio Songs aufnehmen, eine E-Gitarre leihen, Kochkurse besuchen, kleine Besprechungsräume mieten, nähen, stricken, Schach spielen, ein Fotostudio mieten oder einfach nur rumhängen. Und all das ist heute im Oodi möglich. Dass das Modell funktioniert, zeigt der rege Zuspruch: 7.000 Besucher und Besucherinnen kommen pro Tag ins Oodi.

Roboter als Bibliotheksmitarbeiter

Und die Bibliothekare und Bibliothekarinnen – was wünschten die sie sich? Sie wollten vor allem für die Menschen vor Ort da sein und weniger Bücher aus-, um- oder einsortieren. So überlegten alle gemeinsam: Welche Arbeit kann eine Maschine übernehmen? Wo braucht es Menschen?

Oodi: Helsinkis Bibliothek für viele Interessen

Ein optischer Eindruckl von außen: Eine Bibliothek wie eine Arche für gesammeltes Wissen Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images
Architektonisch ein spannender Bau Bildrechte: IMAGO / Schöning
Viel Holz, viel Glas vermitteln eine leichte Atmosphäre Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images
Die Bibliothek Oodi als Ort für alle Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images
Klassischer Bibliotheksbetrieb Bildrechte: IMAGO / agefotostock
Menschen an der Rezeption sorgen für Orientierung, während Roboter Bücher verteilen und sortieren Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images
Die Bibliothek bietet auch Rückzugsorte Bildrechte: Maarit Hohteri
Orte für gemeinsames Bücherlesen Bildrechte: Tuomas-Uusheimo
Aber auch Platz für verschiedene Interessen Bildrechte: Jonna Pennanen
An der Oodi gibt es regelmäßig Events - Vom Schachclub Open-Mic-Formate für Poesie, Digital-Kurse für Senioren,bis hin zum Tanzabend Bildrechte: IMAGO / Xinhua

Die Buchsortieranlage im Untergeschoss wird nun von drei Robotern unterstützt, welche eigenständig Regale befüllen, den Fahrstuhl benutzen und die Bücher von der Ausleihe in den Lesesaal zurückbringen. "Das funktioniert wunderbar", erklärt Harri Annala, einer der Bibliothekare im Oodi. "Die Roboter fahren zwischen den Besuchern und Besucherinnen hindurch und das ist gewollt. Die Menschen sollen sich an die Technik gewöhnen. Roboter werden in Zukunft einen großen Teil unseres Lebens ausmachen. Und die Leute mögen sie. Ich sehe oft, wie ein Lächeln über ihr Gesicht huscht, wenn Veera, Tatu oder Patu ihren Weg kreuzen."

Ja, die Roboter haben Namen, das macht sie unterscheidbarer. Und auch bei der Namensfindung war die Stadtgesellschaft von Helsinki involviert. Auf den Aufruf der Bibliothek gab es 250 Einsendungen mit Vorschlägen. Gewonnen hat die Idee eines 10-jährigen Mädchens. Sie schlug die Helden und Heldinnen ihrer liebsten Kinderbücher vor: Veera, Tatu und Patu.

Lernort der Zukunft: die Bibliothek der Dinge

Mit der Vielfalt seiner Angebote hat das Oodi neue Standards für Bibliotheken gesetzt. Früher ging es in einer Bibliothek um den gleichberechtigten Zugang zum Wissen für alle in Form von Büchern und Zeitschriften.

Bildrechte: Jonna Pennanen

Diese Funktion haben heute Smartphones übernommen. Was eine Bibliothek heute und in Zukunft leisten soll, ist, einen physischen Raum zu bieten, der als Plattform dient für menschliche Interaktion – für Diskussionen, für Lernen, für Lesen. Bekannt ist das Prinzip auch als Bibliothek der Dinge. So manche Bibliothek in Deutschland folgt bereits diesem Prinzip: in Dresden beispielsweise kann man Instrumente oder eine Slackline ausleihen, in Berlin Kunstwerke, in Lüneburg VR-Brillen und in Halle gleich ein Heimplanetarium. Die Idee dahinter: Dinge kostenlos ausleihen, ausprobieren und benutzen, statt sie zu kaufen und später wegzuwerfen.

Kostenlos ein E-Auto mieten – mit dem finnischen Bibliotheksausweis

So radikal wie Finnland aber hat noch niemand sein Bibliothekskonzept gedacht – 36 Bibliotheken gibt es insgesamt in Helsinki, mehr als 800 im ganzen Land. Und jede Bibliothek hat ihre Besonderheit – in Turku beispielsweise kann man sogar E-Autos ausleihen.

Doch egal, ob E-Auto, Musikstudio oder 3D-Drucker – alles ist kostenlos, dank der finnischen Bibliothekskarte. Auch die gibt es für alle Finnen und Finninnen kostenlos und damit können sie alle Bibliotheken im gesamten Land benutzen. Bezahlt werden muss lediglich das Material. Wer eine Nähmaschine, ein Tonstudio oder einen Plotter benutzen will, mietet einen Zeitslot im Vorfeld übers Internet. Schnell sein, heißt oft die Devise, denn die Ton- und Fotostudios sind oft wochenlang vorher ausgebucht.

Öffentliche Toiletten als architektonische Herausforderung  

Viel Aufmerksamkeit haben die Architekten den Toiletten geschenkt. Bildrechte: MDR/ Claudia Hempel

Zahlreiche Preise hat das Büro ALA Architects mit Sitz in Helsinki für den Bibliotheksbau bekommen; als "Schaufenster der finnischen Architektur" wird es gar bezeichnet. Danach gefragt, worüber er und sein Team sich die meisten Gedanken gemacht haben, muss Architekt Antti Nousjoki nicht lange zögern. Die Antwort ist kurz und überraschend: "Die Toiletten". Er lacht und erklärt: "Das vergessen die meisten Menschen, Toiletten sind ein wichtiger Design-Aspekt. Dazu kommt, dass wir einen Ort schaffen wollten, der für alle Menschen offen und sicher ist. Die Großmutter mit ihren Enkelkindern soll hier genauso sicher sein wie der Obdachlose und die Flaschensammlerin. Sie alle sollen sich mit Respekt und ohne Angst auf der Toilette begegnen können."

"Tolle Architektur. Unbedingt im Keller aufs Klo gehen!"

So lautet die Bewertung von Christina O. aus einem touristischen Helsinki-Führer im Internet. Wenn Touristinnen die Toiletten in ihre Bewertung einschließen, muss das Architekturbüro etwas richtig gemacht haben. Klar, die Bibliothek als öffentliches Gebäude muss öffentliche Toiletten anbieten. Da das Oodi nur wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt liegt, kommen natürlich auch viele Menschen ins Gebäude, die gar nicht die Bibliothek benutzen, sondern einfach mal schnell auf Toilette wollen.

Doch wie erschafft man einen Ort, der sauber und sicher zugleich ist? Um genau das zu erreichen, wandten die Architekten gleich mehrere Tricks an: Die Toiletten sind unisex, der Waschraum ist hell, klar und gut überschaubar. Die Türen der Toiletten sind aus Milchglas. Dahinter ein heller Lichtkegel. Sobald jemand die Toilette betritt, sieht man den Schatten noch als Kontur. Erst wenn die Person einen Schritt weiter geht, bleibt einfach der helle Lichtkegel. Das alles fördert die soziale Kontrolle und gibt den Menschen Sicherheit.

Ein Must-See für Touristen und Touristinnen

Es heißt: Wer Finnland verstehen will, muss ins Oodi gehen. Unter den Top-Sehenswürdigkeiten Helsinkis ist die neue Bibliothek überall auf Platz 1. So wundert es nicht, dass unter den 7.000 Menschen, die jeden Tag im Oodi weilen, auch zahlreiche Touristen und Touristinnen sind. Viele von ihnen bleiben im 1. Stock des Gebäudes stehen und fotografieren eine kleine Tafel. Auf der steht:

Jeder hat das Recht, in der Bibliothek zu sein. Herumhängen ist erlaubt, ja sogar erwünscht. Rassismus und Diskriminierung haben in dieser Bibliothek keinen Platz. Oodi ist unser gemeinsames Wohnzimmer.Tafel im 1. Stock der Bibliothek zum Selbstverständnis dieses Ortes

Bildrechte: Tuomas-Uusheimo

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Dieses Thema im Programm:3sat | Nano | 26. Februar 0024 | 18:36 Uhr

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