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Allein unterwegs: Die soziale Isolation im Lockdown kann für viele Menschen psychisch sehr belastend sein. Bildrechte: Christin Pomplitz

Erste Corona-WelleBisher keine Belege für mehr Suizide durch harten Lockdown

05. Mai 2021, 14:48 Uhr

Es wird immer wieder als ein Argument gegen harte Lockdowns in der Pandemie-Bekämpfung bemüht: Die strengen Regeln würden psychisch Erkrankte extrem belasten, sodass es zu mehr Suiziden kommen würde. Ob das im ersten Lockdown vergangenes Jahr – also dem bisher strengsten – tastsächlich so war, hat eine internationale Studie mit Beteiligung der Universität Leipzig untersucht. Das Ergebnis: Es gab keine erhöhte Suizidsterblichkeit.

TriggerwarnungDieser Artikel beschäftigt sich mit dem Thema Suizid. Bei manchen Menschen kann dieses Thema negative Reaktionen auslösen und Traumata reaktivieren. Bitte lesen Sie nicht weiter, wenn das bei Ihnen der Fall sein könnte.

Hier finden Sie Hilfe bei Selbstmordgedanken

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, oder jemanden kennen, der suizidgefährdet ist, suchen Sie Hilfe. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Auch ein Kontakt per Chat und E-Mail ist möglich.

Die Ergebnisse einer Forschungsgruppe der Leipziger Universitätsmedizin widersprechen den Befürchtungen, die Therapeutinnen und Therapeuten sowie andere Fachleute schon früh in der Pandemie äußerten: Könnte die soziale Isolation durch den Lockdown zu mehr Selbstmorden führen? Zumindest in der ersten Lockdown-Phase konnten die Forschenden keine erhöhten Suizidraten feststellen. Sie lagen in der Frühphase der Pandemie im Bereich der Vorjahre. Die Untersuchung ist im Fachmagazin Epidemiology and Psychiatric Sciences publiziert worden.

Nur eine Momentaufnahme

Das Forschungsteam um Studienleiter Dr. Daniel Radeloff hat die Suizid-Zahlen in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Leipzig analysiert. Dazu haben sie die Sterbeziffern von März bis September 2020 mit den Daten aus den Vorjahren vergleichen. Außerdem seien Einflüsse wie saisonale Schwankungen der Suizidraten und der generelle Rückgang von Suiziden in Deutschland berücksichtigt worden.

Die Ergebnisse unserer Studie stellen eine Momentaufnahme mit regionalem Bezug dar. Aber auch die verfügbaren internationalen Daten belegen, dass das Suizidrisiko in der Frühphase der Pandemie nicht anstieg.

Dr. Daniel Radeloff, Universität Leipzig

Je länger die Pandemie dauert, desto belastender wird sie auch psychisch. Bildrechte: Colourbox.de

Doch der ebenfalls an der Studie beteiligte Psychiater Rainer Papsdorf bremst: Im Zuge der weiteren Entwicklung der Pandemie könne sich das durchaus ändern. Die Erkenntnisse aus dem ersten Lockdown sind also eine Momentaufnahme. Im Laufe der Pandemie könnten etwa Risikofaktoren weiter zunehmen. "Etwa in Form steigender Arbeitslosigkeit, erhöhten Suchtmittelkonsums, Vereinsamung oder höherer Prävalenzraten psychischer Erkrankungen", erläutert Psychiater Papsdorf weiter. Deshalb müsse die Entwicklung der Suizidraten weiter genau beobachtet und analysiert werden.

Suizidrate niedriger als zu Jahresbeginn

Besonders überraschend sei für die Forscher gewesen, dass es während des ersten Lockdowns sogar weniger Selbstmorde in Leipzig gegeben habe als in den Vormonaten der Pandemie. Die Gründe dafür seien zum einen relativ hohe Suizidraten im Januar und Februar 2020, aber auf der anderen Seite könnten auch schützende Faktoren eine Rolle gespielt haben.

Während des ersten Lockdowns hat es ja eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung gegeben, die Zahlen zu senken. Denn existenzielle Bedrohungen von außen wie die Corona-Pandemie führen dem Forschungsteam zufolge zu so einer kurzzeitigen Zunahme des gesellschaftlichen Zusammengehörigkeitsgefühls, was sich wiederum positiv auf Suizidgefährdete auswirkt. Gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl gelte als wichtiger schützender Faktor.

Ergebnisse decken sich mit internationalen Daten

Die Leipziger Suiziddaten-Studie ist auch Teil einer größeren, internationalen Untersuchung zur Suizidsterblichkeit in der Corona-Pandemie. Die Meta-Analyse von Daten aus 21 Ländern ist im Fachmagazin Lancet Psychiatry veröffentlicht worden. Aus Deutschland seien neben Leipzig auch Regionaldaten aus den Städten Frankfurt am Main, Köln sowie Leverkusen in die Untersuchung eingeflossen.

In der Pandemie sind einige Menschen psychisch sehr belastet. Bildrechte: imago images/Hans Lucas

Die Autorinnen und Autoren der Metaanalyse kommen darin zu demselben Ergebnis wie das Leipziger Forschungsteam: Auch international sind die Suizidraten in der Frühphase der Pandemie im ersten Lockdown stabil geblieben. Ob das so bleibt, wird im Rahmen des Forschungsverbunds International COVID-19 Suicide Prevention Research Collaboration (ICSPRC) untersucht. Der strebt ein Monitoring der Suizidraten an, das es ermöglicht, zeitnah aktuelle Daten zu bekommen, denn normalerweise liegen die Daten der Todesursachenstatistiken erst nach mehreren Monaten vor.

Menschen in psychischen Notlagen können sich während der Pandemie weiterhin an die psychotherapeutischen und psychiatrischen Einrichtungen wenden. Die Versorgung ist sichergestellt und in einigen Standorten um telemedizinische Angebote erweitert worden.

Dr. Daniel Radeloff, Universität Leipzig

(kie)

Hilfsnagebote zur SuizidpräventionIn Deutschland gibt es 104 Telefonseelsorgestellen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit anonym Beratung am Telefon anbieten. Unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 kann kostenlos angerufen werden.

Unter der Rufnummer 0800-111 0 333 finden sich bundesweit Beratungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, überwiegend vom Deutschen Kinderschutzbund.

Informationen über Selbsthilfegruppen erhält man über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) unter der Rufnummer: 030 / 89 140 19.

In jeder Gemeinde gibt es Sozialpsychiatrische Dienste, die Menschen in psychischen Krisen und bei psychiatrischer Erkrankung Beratung bieten und weitere Hilfen vermitteln. Meistens sind die Sozialpsychiatrischen Dienste bei den Gesundheitsämtern angesiedelt. In jedem Fall erfährt man die Adresse und Telefonnummer des nächsten Dienstes über die Gemeindeämter.

Für Kinder, Jugendliche und Eltern gibt es bei akuten Krisen Hilfe über Beratungsstellen der Jugendämter, Erziehungsberatungsstellen und Ehe-, Familien-, Lebensberatungsstellen in den Gemeinden.

Der Beratungsführer online von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB) listet mit einem guten Suchsystem unter www.dajeb.de ca. 12.000 Beratungsangebote auf.

Jede psychiatrische Klinik bietet stationäre Hilfe für Menschen, die einen stationären Hilferahmen benötigen. Nach einem Suizidversuch ist ohnehin immer die nächste Rettungsstation eines Krankenhauses aufzusuchen. Rettungsdienst über Notfallnummer rufen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS)

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