Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung
Mitarbeiter in einem S4 Hochsicherheitslabor des Robert Koch-Instituts in Deutschland (Archivbild): Um gefährliche Krankheitserreger untersuchen zu können, müssen Forschende hohe Sicherheitsvorkehrungen einhalten. Bildrechte: imago/Ulli Winkler

Sars-CoV-2Riskante Forschung: Was Bostoner Coronavirus-Experimente gezeigt haben

20. Oktober 2022, 16:19 Uhr

In den USA wird über die Arbeit von Forschenden gestritten, die im Labor eine für Mäuse tödliche Variante des Coronavirus hergestellt haben. Doch der Hybrid aus Wildtyp und Omikron liefert wichtige Erkenntnisse.

Seit einem Jahr dominiert die Omikron-Variante des Coronavirus das Ansteckungsgeschehen bei Menschen. Auch wenn sich inzwischen zahllose Subtypen entwickelt haben, ist eines allen gemein: Das Virus scheint insgesamt weniger tödlich geworden zu sein. Doch woran liegt das? Bostoner Forscher wollten das im einem Experiment herausfinden, das aktuell in den USA für Streit sorgt.

Gain-of-Function: Künstliches Virus war für Mäuse tödlicher als Omikron

Ohne Zustimmung der zuständigen Behörde NIAID hatten die Wissenschaftler im Labor eine neue Variante des Coronavirus hergestellt. Dabei kombinierten sie ein Virus der ursprünglichen Wildtyp-Variante mit dem Spikeprotein von Omikron BA.1. Dann infizierten sie Mäuse mit der Chimäre, also dem kombinierten Virus und verglichen die Auswirkungen mit denen einer Infektion mit der unveränderten BA.1 Variante.

Während Ansteckungen mit der gewöhnlichen Omikron-Variante bei den Versuchsmäusen in der Regel nur milde, nicht tödliche Verläufe hervorrufen, starben 80 Prozent der Tiere, wenn sie mit der Chimäre angesteckt wurden. Kritiker der Versuche nennen die Untersuchung deshalb eine "Gain-of-Function" Studie, also eine Untersuchung, die die Gefährlichkeit des Virus künstlich erhöht habe.

Alles anzeigen

"Deltakron" – natürliche Evolution brachte ähnliche Corona-Kombinationen hervor

Die Forschenden halten dem jedoch entgegen, dass der eigentliche Wildtyp 100 Prozent einer vergleichbar großen Gruppe von Mäusen getötet hat, die Chimäre also weniger tödlich als das Ursprungsvirus war. Nicht an der Studie beteiligte Forscher wie Florian Krammer (Professor für Vakzinologie an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai/New York) wiesen jedoch darauf hin, dass dieses Ergebnis vorher nicht absehbar war und eine Zustimmung der NIAID zu den Versuchen deshalb unbedingt erforderlich gewesen wäre.

Auf der anderen Seite, so Krammer, sei es aber auch schon während der natürlichen Evolution des Coronavirus zur Bildung vergleichbarer Varianten gekommen. So hatten verschiedene Labore im Frühjahr Chimären von Omikron mit der früheren Delta-Variante entdeckt ("Deltakron"), die sich ungeplant in Infizierten gebildet hatten. Diese und andere Chimären mit den Bezeichnungen Omikron XD oder XE konnten sich jedoch nie durchsetzen und blieben Randphänomene.

Omikron: In Mäusen könnte das Virus wegen Ausbreitungsvorteilen milder geworden sein

Die wichtigste Erkenntnis aus dem umstrittenen, aktuellen Experiment lautet, dass die Veränderungen am Spikeprotein durch Omikron wohl für den Vorteil bei der Verbreitung des Virus gesorgt haben. Doch die geringere Mortalität wiederum habe wahrscheinlich eher mit Veränderungen zu tun, die innerhalb des Virus stattgefunden haben.

Dass Omikron nicht nur für Menschen, sondern auch für Mäuse deutlich ungefährlicher ist als der Wildtyp, ist wahrscheinlich kein Zufall. Eine neue Studie im renommierten Magazin PNAS erhärtet eine Vermutung, die bereits eine frühere Studie aufgebracht hatte. Demnach könnte Omikron in Mäusen entstanden sein, wo sie sich als mildere Variante besser ausbreiten konnte. (Durch die hohe Mortalität beim Wildtyp hatten sich Ausbrüche in Mäusepopulationen sehr schnell selbst begrenzt.) Laut der aktuellen Studie passen bestimmte Veränderungen des Omikron-Spikeproteins perfekt zum ACE-2 Rezeptor von Mäusen.

Laborhypothese: Wegen Chinas Weigerung nicht abschließend widerlegt

Kritik entzündet sich an dem Versuch vor allem auch deshalb, weil immer noch Theorien kursieren, wonach das Sars-Coronavirus-2 selbst seine gefährlichen Eigenschaften bei Laborexperimenten in China erhalten haben und dann aus dem Labor entkommen sein könnte. Zwar gehen viele Forschende inzwischen davon aus, dass eine andere Hypothese viel wahrscheinlicher ist. Demnach ist Corona wahrscheinlich von Fledermäusen über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergegangen. Bei diesem Zwischenwirt handelt es sich vermutlich um einen oder mehrere Marderhunde, deren Fleisch auf dem Wildtiermarkt in Wuhan gehandelt wurde.

Da aber China den Wissenschaftlern der Weltgesundheitsorganisation WHO bislang den Zugang zu vielen Daten und auch zu Einrichtungen des Wuhan Zentrums für Virologie verweigert, gibt es in dieser Debatte bisher keine abschließenden Antworten.

Quellen und Hintergründe

(ens)

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen