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Zweifel an Chloroquin-ArtikelnCorona: Warum es so schwierig ist, Fehler in medizinischen Studien zu finden

04. Juni 2020, 16:54 Uhr

Aktuell sorgen Zweifel an zwei Artikeln zu Medikamenten gegen Covid-19 in renommierten medizinischen Journalen für Aufruhr in der Wissenschaft. Dabei wird es in der Corona-Krise auch aus Zeitgründen zunehmend schwieriger, Gutachten zu erstellen.

Eine der beiden Studien (zur Wirksamkeit des Medikaments Chloroquin bei Covid-19) erschien in "The Lancet", die zweite (über die Verbindung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Covid-19) im "New England Journal of Medicine" - beide gehören zu den angesehensten medizinischen Fachzeitschriften weltweit.

Dennoch mehrten sich bald Zweifel an ihnen wegen der genutzten Datensätze, die jeweils von der US-Firma Surgisphere stammten. Letztlich mussten beide Magazine einen offiziellen "Expression of Concern" publizieren, eine Warnung, dass es im Zusammenhang mit Veröffentlichungen Bedenken gibt.

Mehr Tote als gemeldete Fälle

Bei der "Lancet"-Studie fielen nach der Veröffentlichung Ungereimtheiten bei den Zahlen auf. So wurde eine höhere Anzahl von im Krankenhaus verstorbenen Covid-19-Patienten in Australien angegeben als in Australien tatsächlich insgesamt gemeldet wurden. Auch die Zahl von angeblich 4.402 Patienten in Afrika, deren Daten ausgewertet wurden, wirkt wenig wahrscheinlich, da wohl nicht so viele Krankenhäuser auf dem Kontinent überhaupt detaillierte Gesundheitsakten zur Verfügung stellen können.

Bei der Studie aus dem "New England Journal of Medicine" wurde die Kritik neben den ebenfalls teils unwahrscheinlichen Zahlen an der Firma Surgisphere an sich laut. Diese habe u.a. einen unvollständigen Web-Auftritt und zu wenige qualifizierte Mitarbeiter. In einer Replik darauf erklärt Surgisphere, dass die erhobenen Daten nicht überinterpretiert werden sollten und ihre Beschränkungen klar offengelegt wurden.

Corona zeige Probleme wie unter einem Vergrößerungsglas

Insgesamt zeigt dieser Fall beispielhaft, dass das Begutachten von wissenschaftlichen Artikeln in der Corona-Krise noch schwieriger geworden ist, als es zuvor schon war. "In Zeiten einer Pandemie, in der Wissenschaftler und Journale versuchen, unter extremem Zeitdruck zu publizieren, ist der Review-Prozess, der dann unter dem gleichen Zeitdruck steht, noch weniger in der Lage Fehler und Manipulationen zu erkennen", sagt Prof. Dr. Ulrich Dirnagl dazu. Laut dem Direktor der Experimentellen Neurologie an der Berliner Charité gelte derzeit eher das Motto: "Schlechte Daten sind besser als keine Daten."

Prof. Dr. med. Ulrich Dirnagl von der Berliner Charité. Bildrechte: imago/Wolf P. Prange

Wie unter einem Vergrößerungsglas und zeitlich komprimiert führe uns die Corona-Krise gerade vor, wie wichtig Qualitätssicherung in der Wissenschaft sei, so Dirnagl. Manche Forscher meinten, es derzeit mit den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis nicht ganz so genau nehmen zu müssen - dabei sei das Gegenteil der Fall: Die Daten müssten umso verlässlicher sein, je größer die Tragweite der Entscheidungen ist, die auf dieser Basis getroffen werden.

Auch "Big Data" nicht die perfekte Lösung

Dirnagls Kollege Dr. Stefan Lange, vom Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, erklärt, dass Betrug angesichts von ehrenamtlicher Gutachterarbeit in der Wissenschaft kaum zu entdecken sei. Auch "Big Data", also die massenhafte Nutzung von Daten sei hier keine perfekte Lösung, was sich auch in diesem Fall gezeigt habe, weil Surgisphere seine Arbeit offenbar nur mithilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen bewältigen konnte.

Fehler in der Datenerhebung seien im Gutachtenprozess extrem schwer zu erkennen, meint zudem Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer der an der Uniklinik Köln die Infektiologie leitet: "In der Regel ist das nur dann möglich, wenn die präsentierten Daten in sich unschlüssig oder grob unplausibel sind."

Mit weiteren fehlerhaften Corona-Studien ist also zu rechnen. Etwas Positives kann Dr. Serge Horbach von der niederländischen Radboud-Universität aus der aktuellen Diskussion immerhin ziehen:

Sie zeigt auch, wie Wissenschaft betrieben wird, indem sie die Menschen über den wissenschaftlichen Prozess und die ihm innewohnenden Unsicherheiten informiert.

Serge Horbach, Wissenschaftstheoretiker

cdi