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Junge Frau und Seniorin (Symbolfoto): Wie lange man nach Impfung oder Infektion immun ist gegen Corona, hängt unter anderem wohl vom Alter ab. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Covid-19Debatte um Auffrischungsimpfungen: Der Stand der Forschung

24. Juli 2021, 05:00 Uhr

Impfstoffhersteller wie Biontech und Moderna empfehlen eine dritte Impfdosis gegen Corona, vor allem wegen der Deltavariante. Unabhängige Forscher sehen das aber nicht bei allen Menschen als notwendig an.

von Clemens Haug

Wie sich Antikörperspiegel über die Zeit entwickeln, lässt sich am besten mit Blutproben von Menschen aus China studieren, die sich als erste mit dem neuen Virus angesteckt hatten. Auf solche Proben und die Daten darauf können Professor Mirko Trilling und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Universitätsklinikum in Essen zugreifen, denn sie kooperieren eng mit der Gruppe zweier Forscherinnen aus Wuhan.

"Was wir sehen, ist Folgendes: Sechs Monate nach der Infektion hat ein Großteil der Menschen noch neutralisierende Antikörper, die gegen Sars-CoV-2 wahrscheinlich sehr gut schützen. Nach einem Jahr hat noch etwa die Hälfte der Probandinnen und Probanden solche neutralisierenden Antikörper", sagt Trilling. Sein Team und er haben dann aber ein Jahr nach der Infektion genommene Proben mit der Beta-Variante des Virus konfrontiert, B.1.351 aus Südafrika, die bekannt ist dafür, dass sie der Immunantwort teilweise ausweichen kann. "Und da mussten wir leider feststellen: Ein Jahr nach einer natürlich durchgemachten Sars-CoV-2-Infektion hat nur ein relativ kleiner Teil der Probandinnen und Probanden neutralisierende Antikörper, die gegen die Beta-Variante schützen können."

B-Zellen können bei Bedarf neue Antikörper erzeugen

Bei wie vielen Geimpften oder Genesenen es durch nachlassende Antikörperspiegel aber wirklich (wieder) zu einer Ansteckung kommen kann, ist unklar. "Antikörper sind nur ein Teil des Immunsystems. Bei einer Virusinfektion wie Covid-19 spielen daneben T-Zellen eine ganz wichtige Rolle, weil sie virusinfizierte Zellen direkt abtöten können", sagt Fraunhofer-Forscher Dr. Sebastian Ulbert. "Aber die Menge der vorhandenen T-Zellen gegen ein Virus kann man nur mit sehr aufwendigen Experimenten messen." Die Daten von Trillings Kolleginnen aus China deuten darauf hin, dass die Zahl der T-Zellen erst nach 14 oder 15 Monaten langsam absinkt.

Neben den T-Zellen gibt es auch noch die B-Zellen, die auch Gedächtniszellen genannt werden. "Durch eine Infektion oder eine Impfung entsteht ein immunologisches Gedächtnis. Kommt man erneut in Kontakt mit dem Erreger, werden die Zellen des immunologischen Gedächtnisses aktiviert und erzeugen neue Antikörper", sagt Virologe Ulbert. Die Datenlage hier sei weit fortgeschritten. Eine Infektion löse ein sehr solides immunologisches Gedächtnis aus. "Ob es ein Leben lang hält, weiß man nicht. Aber das ist auch bei anderen Viren so."

Denn ein Schutz vor dem Virus bedeute nicht, dass man sich nicht anstecken könne. Das passiere zwar viel seltener. Aber geschützt sei man vor allem vor der schweren Erkrankung. "Aber man kann nicht ganz ausschließen, dass man für einen kurzen Zeitraum infiziert ist, es aber nicht merkt, und auch Viren ausscheidet", sagt Ulbert.

Schwere der Infektion entscheidet über die Immunität

Wie leicht sich Genesene mit der Deltavariante ein zweites Mal anstecken können, hängt auch davon ab, wie krank sie bei der ersten Covid-19 waren. Die Forscher sehen hier die Tendenz: je heftiger die Symptome, desto größer danach die Immunität. Umgekehrt haben asymptomatische Fälle wahrscheinlich nicht mehr genügend Schutz.

Im Vergleich zu Probanden ohne Symptome zeigen Menschen, die in der initialen Phase der Infektion merkliche Symptome erlebt haben, mehr Antikörper gegen Sars-CoV-2 und behalten diese auch für eine längere Phase. Dies schließt auch die besonders wichtigen neutralisierenden Antikörper ein. In der Frühphase der Infektion durchgemachte Symptome scheinen also mit einer stärkeren Aktivierung des Immunsystems einherzugehen, so dass solche Menschen wahrscheinlich besser und länger geschützt sind.

Prof. Mirko Trilling, Universitätsklinikum Essen

Impfung hält bei Jüngeren Länger als bei Älteren

Wie lange eine Impfung vor dem Virus schützt, hängt unter anderem vom Alter der Geimpften ab. Peggy Riese arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig zur Immunität gegen das Sars-Coronavirus-2. "Natürlich können wir Unterschiede sehen. Nehmen wir zum Beispiel die Älteren, da ist bekannt, dass sie tendenziell nicht mehr ganz so gut auf Impfstoffe reagieren und dadurch teilweise eine schwächere Immunantwort aufweisen als Menschen zwischen 20 und 50 Jahren."

Ganz konkret erforscht Riese mit ihren Kollegen und einem Team des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main aktuell, warum es in einigen Seniorenheimen zu Corona-Ausbrüchen kam, obwohl viele Heimbewohner bereits beide Impfungen erhalten hatten. "Da wird aktuell älteren Menschen Blut abgenommen, die sich nach einer Corona-Impfung infiziert haben. Im Uniklinikum in Frankfurt/M. werden die Antikörper-Titer analysiert. Wir machen eine Analyse des Blutes, um uns die Unterschiede bei den Immunzellen im Detail anzuschauen."

Danach können die Forscher vergleichen: Wie sahen die Immunzellen aus bei denjenigen, die trotz Impfung angesteckt wurden? Und wie waren sie bei denen, die offenbar einen besseren Schutz hatten? Bis zum Herbst wollen Riese und ihre Kollegen Daten vorlegen. Gut möglich, dass Gremien wie die ständige Impfkommission (Stiko) dann zu dem Schluss kommen, dass bei Hochbetagten und anderen Hochrisikogruppen eine dritte Impfung sinnvoll sein könnte. "Bei jüngeren Menschen ist wahrscheinlich, dass der Immunschutz länger hält, weil die Impfung besser wirkt", sagt Sebastian Ulbert. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin JAMA stützt diese Vermutung. Hier hatten Geimpfte umso mehr neutralisierende Antikörper, je jünger sie waren.

Debatte über Drittimpfung in den meisten Fällen verfrüht

Der Essener Virologe Trilling hält die Diskussion über eine dritte Impfdosis für verfrüht. "Bei der gesunden Bevölkerung ist es jetzt erst einmal wichtig, dass die gesamte Bevölkerung ein Impfangebot bekommt und rasch zweifach geimpft wird", sagt er. "Bevor man sich darüber Gedanken macht, ob man die ersten Menschen schon zum dritten Mal impft, sollten außerdem alle Menschen, die eine natürliche Infektion durchgemacht haben, eine einzelne Impfung erhalten, um langfristig geschützt zu sein."

Zwei Impfungen böten auch vor der Deltavariante noch einen guten Schutz. Sei ein Teil der Menschen dagegen nur einfach geimpft, steige das Risiko, dass in dieser Situation das Virus weiter mutiert und womöglich noch gefährlicher wird. "Es ist deshalb sehr wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger die vollständige, zweifache Impfung erhalten, um auch gegen solche Varianten gut und lange geschützt zu sein."

Anders sei das allerdings bei bestimmten Risikogrippen, so Trilling. "Bei Menschen mit einem beeinträchtigten Immunsystem, die leider keine ausreichende Immunität nach der zweiten Impfung aufgebaut haben, ist eine dritte Impfung jedoch eine sinnvolle Maßnahme."

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