Erneuerbare EnergienWindkraft stagniert (noch), Photovoltaik auf dem Vormarsch
Das "Osterpaket" von Wirtschaftsminister Habeck soll den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Wie viel ist davon schon zu spüren? Eine Bestandsaufnahme.
Das erste Halbjahr 2022 ließ noch keine große Aufbruchstimmung erkennen, was den Ausbau von Windkraftanlagen angeht. Der Bauboom von 2015 bis 2018 ist vorbei. Seitdem geht es nur schleppend voran. All das wusste man natürlich auch schon, als das "Osterpaket" ausgearbeitet wurde bzw. war all das ein Grund für das Paket.
Deutlich besser geht es mit dem Ausbau der lange Zeit etwas vernachlässigten Photovoltaik voran. Das erste Halbjahr 2022 erzielte einen Rekordwert, Zubau mit einer Nennleistung von mehr als dreieinhalb Gigawatt.
Das Marktstammregister der Bundesnetzagentur bietet einen tieferen Blick in diese Materie. Wenn man sich dort umschaut, fällt auf, dass die Photovoltaik sehr stark von kleinen Anlagen lebt. Jedes einzelne Solardach fließt mit ein. Insgesamt wurden 2022 laut Marktstammregister bislang mehr als 200.000 Photovoltaik-Anlagen in Betrieb genommen. Aber nur 212 davon sind größere Anlagen (mit mindestens zwei Megawatt Nennleistung), die in ihrer Leistung mit Windkraftanlagen vergleichbar sind.
Auf der folgenden interaktiven, zoombaren Karte können sie sich anschauen, wo 2022 in Deutschland (nach Kreisen zusammengefasst) wie viele große Anlagen ans Netz gegangen sind. Es fällt auf, dass bei der Verteilung der Windkraft ein Nord-Süd-Gefälle herrscht, während neue große Photovoltaik-Anlagen etwas gleichmäßiger verteilt sind. Beim Klick auf ein farbiges Kreisgebiet, wird ihnen angezeigt, wie viele Anlagen dort 2022 in Betrieb genommen wurden. Im gelben Kasten über der Karte können Sie zwischen Windkraft und Photovoltaik wechseln.
Schon 2021 hat die Photovoltaik die Windkraft an Land überholt, was die Gesamtleistung aller installierten Anlagen angeht. Dieser Vorsprung ist nun noch größer geworden. Ein anderes Problem der Windkraft fällt dabei auch auf: Auf dem Meer ist 2021 und 2022 keine einzige neue Windkraftanlage gebaut worden. Auch das soll durch das "Osterpaket" der Bundesregierung anders werden.
Stromerzeugung
Eine weitere Stagnation wird sichtbar beim Blick auf die Zahlen, welche Energiemengen durch erneuerbare Energien zur Stromerzeugung genutzt werden. Zwar sind die Zahlen fürs erste Halbjahr 2022 besser als ein Jahr zuvor, aber der bis 2020 anhaltende Immer-mehr-Trend ist erst einmal gestoppt. Was die Photovoltaik seit 2020 zugelegt hat, hat die Windkraft verloren.
Wie stark Windkraft und Solarenergie in den Strommix einfließen, hängt aber natürlich auch vom Wetter ab. Die Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik vom Umweltbundesamt hat das für Januar bis Mai 2022 ausgewertet. An den Kurven ist zu erkennen, wie der Strommix saisonbedingt funktioniert: Wenn Wind und Sonne ausbleiben, müssen mehr fossile Energieträger, also Kohle, Öl und Gas her.
Schon im Jahr 2030 sollen laut Zielen der Bundesregierung 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. (Bis 2035 soll dann sogar eine "nahezu treibhausgasneutrale" Stromerzeugung erreicht sein.) Wo stehen wir da? Stand Ende 2021 bei 41,1 Prozent. Acht Jahre sind eine kurze Zeit, um diesen Wert zu verdoppeln. Und andererseits ist Strom ja nicht die einzige Art, Energie zu verbrauchen. Wenn man den gesamten Energieverbrauch betrachtet, machen die Erneuerbaren erst knapp 20 Prozent aus.
Planungen und Genehmigungsverfahren
Doch zurück zum "Osterpaket". Ein wichtiger Punkt darin ist, dass die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen beschleunigt werden sollen. In welcher Größenordnung das eine Rolle spielen könnte, zeigen erneut die Zahlen des Marktstammregisters der Bundesnetzagentur. Wenn man sich dort nur die großen Anlagen anzeigen lässt, die zwar geplant, aber noch nicht in Betrieb sind, bekommt man ein Gespür, warum es gerade bei der Windkraft so stagniert. 2.126 große Anlagen sind da noch in der Warteschleife, manche seit drei Jahren. 2.018 dieser geplanten Anlagen haben einen bekannten Standort. Wir haben sie in der folgenden Karte wieder zu Kreisen zusammengefasst, damit man sehen kann, wo besonders viel geplant, aber noch nicht realisiert wurde. Zum Vergleich können Sie sich auch die bislang nicht über den Planungsstatus hinausgekommenen großen Photovoltaik-Anlagen ansehen, das sind aber insgesamt "nur" 190.
Und dennoch lässt sich auch an den Windkraftanlagen in der Warteschleife eine gewisse Aufbruchstimmung durch das "Osterpaket" erkennen, wenn man genauer hinschaut, nämlich bei den Neuregistrierungen von geplanten großen Anlagen. Da gab es von Januar bis Mitte Juli dieses Jahres durchschnittlich etwa zwei pro Tag. Doch seit Mitte Juli, als das "Osterpaket" beschlossen wurde, sind es durchschnittlich sechs pro Tag. In der folgenden Kurve ist dieser steile Anstieg deutlich zu erkennen.
Mehr Sonnenschein
Die Dürre, die in diesem Jahr herrschte, hat viel Schlechtes gebracht. Aber für die Photovoltaik war 2022 bislang ein Rekordjahr, was ihr "Futter" angeht. Noch nie hat in Deutschland von Januar bis Juli so oft die Sonne geschienen wie in diesem Jahr. Und wenn man sich die vergangenen fünf Jahre anschaut, könnte das durchaus ein Klimawandel-Trend sein und bleiben.
(rr)