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Auch in Gummistiefeln steckt das vielseitige und flexible Polyurethan. Bei der Entsorgung entstehen giftige Stoffe. Lässt sich das Material anders abbauen? Bildrechte: Colourbox.de

Forschung aus LeipzigBio-Recycling: Bakterie zerlegt Plastikmüll

17. August 2020, 16:28 Uhr

Polyurethan - kurz PU - ist ein Kunststoff-Tausendsassa: Er steckt in der Kleidung, in Gummistiefeln, Sportschuhen, in der Beschichtung von Regenjacken und Spülschwämmen, er ist Grundstoff für Matratzenschaum, für Polstermöbel, oder in der Baubranche als Dämmstoff. So vielseitig er verwendbar ist - so schwierig ist er zu entsorgen. Deutsche Forscher haben einen Bakterienstamm entdeckt, der ein erster Baustein zum Abbau des Stoffes sein könnte.

von Annegret Faber

Können Bakterien Plastik fressen? Diese Frage stellten sich Umweltforscher in Leipzig und begaben sich auf die Suche nach der seltenen Spezies. An einem Ort, wo viel Plastikmüll lag, wurden sie fündig. Die Bakterien, die sie fanden, seien ganz wild auf Reinigungsschwämme, so die Forscher, egal ob grün, gelb oder rot.

50 Jahre Kunststoffherstellung und jede Menge Müll

350 Millionen Tonen Kunststoff  werden pro Jahr weltweit produziert. Acht bis 10 Millionen Tonnen landen jedes Jahr im Meer. Und viele Tonnen werden gleich nach der Nutzung einfach weggeschmissen. Kaffebecher, Teller, Plastikbesteck, Mülltüten. Vieles landet nicht direkt im Müll, sondern im Wald, auf der Wiese, im Wasser und  bleibt da Jahrzehnte, oder gar Jahrhunderte liegen. "Im Prinzip eigentlich ewig", sagt Dr. Hermann J. Heipieper, leitender Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Wie lange es dauert, bis sich Plastik zersetzt, wisse niemand so richtig, da das Material ja erst seit 50 Jahren hergestellt wird, so der Umweltmikrobiologe.

Bei Styropor weiß man, dass das ewig existiert, das wird gar nicht abgebaut. Bei Polyurethan ist es ein bisschen besser, in Anführungsstrichen.

Dr. Hermann J. Heipieper, UFZ


Manche Plastiksorten sind hartnäckiger als andere, sagt UFZ-Forscher Heipieper, der die Plastik verspeisenden Bakterien mit entdeckt hat. Die Forscher wurden in Leipzig Paunsdorf fündig, an einem Ort, wo viel Plastik rumliegt. Sie nahmen ein paar Bodenproben mit, präparierten sie fürs Labor, peppten sie dann noch mit etwas mehr Plastik auf und warteten. Sie  wussten – in der Mischung überleben nur die Bakterien, die Plastik fressen, alle andern würden verhungern. "Und so selektiert man dann solche 'Abbauer' aus", erklärt Heipieper.

Pseudomonas ist ganz wild auf Haushaltsschwämme

Der Name der Plastik-Abbauer, die die Forscher fanden, lautet Pseudomonas-Bakterien, Pseudomonas sp. TDA1, um ganz genau zu sein. Die seien ganz wild auf bunte Haushaltsschwämme und die bestehen aus Polyurethan.

Und die Schuhe sind mittlerweile aus Polyurethan. Da darf man keine Namen nennen, aber viele dieser aufgeschäumten Sneakers, das sind Polyurethane.

Dr. Hermann J. Heipieper

Auch Dämmstoffe werden aus dem Material gefertigt. Das Bakterien in der Lage sind solche Materialien zu verspeisen, ist für den Umweltmikrobiologen der Beweis für eine "extreme evolutionäre Kraft". Denn evolutionär gesehen gibt es Kunststoffe erst sehr kurze Zeit, und in dieser kurzen Spanne haben Bakterien gelernt, sie zu verstoffwechseln. Und nun? Was passiert mit ihnen, werden sie in Müllhalden angesiedelt, damit sie dort unsere alten Hausschwämme auffressen? Mit Sicherheit nicht, sagt Heipieper.

Der Hinweise, oder der wichtigste Input ist nachzuprüfen, welche Kunststoffe überhaupt biologisch abbaubar sind, um dann dem Gesetzgeber, oder der Gesellschaft, die EU ist da natürlich sehr wichtig, Hinweise zu geben, Ratschläge zu geben, welche Kunststoffe langfristig gesehen wirklich durch besser biologisch abbaubare ersetzt werden sollten.

Dr. Hermann J. Heipieper

Das Ziel sei ein grundlegender Umstieg auf gut abbaubare Kunststoffe. Für Bakterien würde das heißen, dass in den Fabriken zukünftig nur noch das produziert wird, was sie besonders gerne fressen.

Wie geht es technisch weiter?

Und was die Forscher jetzt auch noch klären wollen: Was passiert nach dem Fressen? Kann man das für die Produktion von Biokunststoffen nutzen? Hier kommt die synthetische Biologie ins Spiel. Sie könnte zum Beispiel Bakterien genetisch verändern und dadurch zu Mini-Fabriken machen. Die würden dann chemische Verbindungen auf Ölbasis in biologisch abbaubare Verbindungen umwandeln - und so werden Kunsstoffe plötzlich öko. Heipieper zufolge ist dafür noch mehr "grundlegendes Wissen" wie das in der aktuellen Studie gesammelte erforderlich, bevor die Wissenschaft diesen technologischen und kommerziellen Sprung machen könne. Aber ein erster Schritt ist getan.

EU Projekt P4SBDie Forschung ist Teil eines wissenschaftlichen Programms der Europäischen Union mit dem Namen P4SB ("From Plastic waste to Plastic value using Pseudomonas putida Synthetic Biology"). Ziel: Nützliche Mikroorganismen finden, die Kunststoffe auf Ölbasis in vollständig biologisch abbaubare Kunststoffe umwandeln können. Wie der Name schon sagt, hat sich das Projekt auf ein Bakterium namens Pseudomonas putida konzentriert. Neben Polyurethan testet das P4SB-Konsortium, zu dem auch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gehört, auch die Wirksamkeit von Mikroben beim Abbau von Kunststoffen aus Polyethylenterephthalat (PET), das in Plastik-Wasserflaschen weit verbreitet ist.

Hier können Sie die komplette Studie lesen.

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