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Müll in den MeerenLeipziger Forscher analysieren Plastik aus dem Pazifik

16. August 2019, 16:27 Uhr

Sechs Wochen war das Forschungsteam vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig auf dem Pazifik unterwegs: Auf dem Weg von Vancouver nach Singapur haben sie Proben vom Wasser und dem Meeresboden genommen und Plastik aus dem Meer gefischt. Fünf weitere Wochen hat es nun gedauert, bis der Container voller Material und Proben nun zurück in Leipzig ist. Jetzt geht die Arbeit für das Team erst so richtig los.

von Kristin Kielon

Expeditionsleiterin Annika Jahnke hatte schon Sorge: Drei Stunden dauerte es nämlich, bis der Zoll den großen blauen Schiffscontainer durchgewunken hat. Fünf Wochen hat es gedauert, bis er auf dem Seeweg aus Singapur schließlich in Leipzig angekommen ist. Singapur war nämlich das Ziel der Expedition MICRO-FATE unter Leitung der Leipziger Umweltchemikerin Annika Jahnke.

Ihr Team aus 19 Wissenschaftlern unterschiedlicher Institute hat innerhalb von sechs Wochen den Pazifik überquert - und das sogenannte Great Pacific Garbage Patch - den Nordpazifischen Müllstrudel. Der befindet sich circa auf 30 Grad Nord, erklärt Jahnke. "Das ist da, wo Ozeanströmungen sich treffen. Dadurch wird das Meer an der Oberfläche in eine Strudelbewegung versetzt, wo sich dann Plastik, was an der Oberfläche schwimmt, anreichern kann."

Ein bisschen Pazifik in Leipzig

Der Container hat das UFZ-Gelände nach fünf Wochen erreicht. Bildrechte: MDR / Hannes Beßler

Auf ihrer Reise hat das Team an insgesamt neun Stellen Proben genommen: An der Wasseroberfläche, in der Wassersäule - also den verschiedenen Wasserschichten - und vom Meeresboden. Das besonderes Interesse der Forscher gilt dabei dem Plastik: Jedes Jahr gelangen Millionen Tonnen Plastikabfälle über Flüsse, durch Wind oder Abwässer in die Ozeane. Der kleinste Teil davon schwimmt an der Wasseroberfläche. Doch was passiert mit dem Rest? Um das herauszufinden, hat das Team so viele Proben wie möglich genommen.

Und ein Teil davon steckt in dem blauen Schiffscontainer, der nun die große Lagerhalle im Umweltforschungszentrum erreicht hat. Er ist bis oben hin vollgepackt mit allerlei Holz- und Metallkisten in allen möglichen Größen und dem Material der Wissenschaftler. Deshalb heißt es für das Team zunächst: anpacken und ausladen.

Die UFZ-Forscher öffnen die luftdichte Verpackung der Plastik-Tonne aus dem Pazifik. Bildrechte: MDR / Hannes Beßler

Alle Proben sind aber noch nicht dabei, merkt Jahnke an. Sie seien aber schon in einem zweiten Container sicher angekommen in einem Partner-Institut in Wilhelmshaven. Da ist der Weg nach Leipzig natürlich nicht mehr ganz so weit. Ein paar besonders sensible Proben hatte das Team schon aus Asien per Luftfracht losgeschickt.

Unter all diesen "Mitbringseln" gibt es auch ein paar besondere Stücke: eine verwitterte blaue Plastik-Tonne zum Beispiel. Die schwamm wie viele andere große Plastikteile auch an der Meeresoberfläche. Mit vereinten Kräften hievte die Schiffscrew der SONNE das Teil aus dem Pazifik. Schwer ist die vermeintlich geschlossene Tonne gewesen, meint Jahnke. An Bord zeigte sich dann auch, warum:

Das war gar nicht so einfach die einzufangen. Die war so ungefähr halb voll mit Wasser und es waren vor allem ganz viele Fische drin, die dort einen neuen Lebensraum gefunden hatten. Die haben wir dann von Deck wieder ins Wasser entlassen.

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In der Tonne sind allerlei größere Plastik-Teile, alle mehr oder weniger bewachsen mit Algen und anderen Organismen, nach Deutschland verschifft worden. Als Jahnke die luftdichte Verpackung rundherum öffnet, steigt ein beißender, salziger Geruch in die Höhe. In der Tonne liegt eine halb zerfallene Plastikwanne, mehrere Kanister, Bojen, Fischernetze und Nylonseile.

Das ist Material, das wir im Feld gefunden haben. So Große Teile sind da zum Teil, aber man findet alles - man findet auch Fragmente. Kleine Bruchstücke sind auch massenhaft dort zu finden. Irgendwann kann man auch nicht mehr erkennen, was das gewesen ist.

Einige der größeren Proben von der Meeresoberfläche Bildrechte: MDR / Hannes Beßler

Zahnbürsten, Wattestäbchen, Deckel - aber kein Müllteppich

Mitten im Pazifik schwimmen aber auch ganz normale Alltagsgegenstände, erzählt Jahnke - Zahnbürsten zum Beispiel, die Deckel von PET-Flaschen oder Q-Tips, also Wattestäbchen für die Ohren. Aber konzentriert sich all der Plastikmüll tatsächlich in einem zusammenhängenden Müllteppich, den sich viele Menschen beim Gedanken an das Great Pacific Garbage Patch vorstellen? Ganz so ist es nicht, meint Jahnke.

Im Feld ist es so gewesen, dass wir wirklich ständig Plastik gesehen haben, also mindestens alle paar Stunden - in den Anreicherungsgebieten eigentlich minütlich während der Fahrt. Es ist aber nicht so, wie man sich das vorstellt mit einem siebten Kontinent oder Inseln aus Plastik, auf denen man sozusagen laufen kann - das gibt es dann also doch nicht.

Das Team nimmt Material und Proben in Leipzig in Empfang. Bildrechte: MDR / Hannes Beßler

Für die Forscher ist das keine Enttäuschung, sondern es spricht im Prinzip sogar für die Annahme, mit der sie in See gestochen sind. Demnach schwimmt nur ein Prozent von dem Plastik, das in die Weltmeere transportiert wird, an der Oberfläche. Eine Hypothese ist, dass ein Großteil absinkt und sich entweder in der Wassersäule oder am Ozeanboden befindet, so Jahnke. Doch das ist nicht die einzige Forschungsfrage, der das Team nun nachgeht.

Wenn man von Vancouver kommt, durchfährt man erst ein Gebiet, wo relativ wenig Plastik zu finden ist. Dann sind wir ins Zentrum des Garbage Patches gefahren und von dort dann weiter in Richtung Singapur. Das heißt, in Gebiete, wo die Konzentration oder die Gehalte von Plastik wieder abnehmen sollten. Ob das so ist, wollen wir jetzt untersuchen.

Insgesamt hat das Team an neun verschiedenen Stellen Proben genommen, darunter an drei Punkten mitten im Great Pacific Garbage Patch.

Zwei Jahre Laborarbeit

Jetzt, da die Proben nach und nach alle in Leipzig eintrudeln, geht für Annika Jahnke und die anderen Wissenschaftler die Arbeit noch einmal richtig los. Denn vor allem im Bereich Mikroplastik konnten sie an Bord relativ wenig analysieren. In ihrem Leipziger Labor am UFZ haben sie dann aber die passenden Geräte, um die Proben und Daten zu analysieren. Dafür hat das Team nun zwei Jahre lang Zeit - so lange läuft das Forschungsprojekt noch.

Im Fall der großen blauen Tonne und ihres Inhalts werden die Wissenschaftler jetzt beispielsweise untersuchen, um welche Polymere es sich handelt, inwiefern die Verwitterung die Oberfläche verändert hat und welche Schadstoffe darin zu finden sind, erläutert Jahnke. Denn über die Zeit seien einige Gegenstände bestimmt schon viele Jahre in der Meeresumwelt gewesen und könnten auch Umweltschadstoffe aus dem Wasser aufgenommen haben. Ob das so ist, werden können jetzt die Analysen zeigen.

Dieses Thema im Programm:Das Erste | Mittagsmagazin | 05. Juli 2019 | 13:00 Uhr