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Kuss unter dem Mistelzweig: Wer eine Mistel gefunden hat, kann sich küssen lassen. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Misteln melden!Misteln: Nicht nur drinnen küssen, gern auch draußen zählen

28. Dezember 2022, 11:42 Uhr

Wer niemand zum Küssen unterm Mistelzweig hat, geht draußen Misteln zählen: Eine Umweltgruppe lädt zur Mistel-Zählung, weil man im Winter gut sieht, wo sich die schmarotzende Mistel ausbreitet.

Unterm Mistelzweig darf man sich nach altem Brauch küssen. Wer keinen Zweig hat oder niemand zum Küssen, geht raus in die Natur und hält nach Misteln Ausschau. Sie wissen doch: Stellt man sich irgendwo hin und starrt konzentriert auf was auch immer, stellen sich immer Menschen dazu und gucken mit. Vielleicht ist da auch wer zum Küssen dabei, oder zum Philosophieren über Glanzmisteln oder Zwermisteln und warum es überhaupt so spannend ist, wenn man welche entdeckt.

Wer jetzt sagt: "Mistelzweige kenn ich nicht, und Misteln auch nicht, und heißen die nicht eigentlich Mispeln?", lebt vermutlich mit der sogenannten Pflanzenblindheit. Das ist ein weit verbreitetes Phänomen, das dadurch entsteht, dass wir immer weiter von der Natur entfernt sind und dadurch immer weniger Pflanzen- oder Baumarten beim Namen kennen. Nicht schlimm, das lässt sich hier gleich mal ändern:

Aber jetzt zurück zur Mistel, die wir ja finden und melden sollen. Das gemeinnützige Netzwerk Naturgucker.de hat hier sogar eine Seite eingerichtet, auf der Mistel-Standorte eingetragen werden sollen.

Apropos Eingemachtes. Misteln gelten seit auch als Heilpflanze. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Aber warum eigentlich? Die Mistel ist nicht nur eine sogenannte Halb-Schmarotzer-Pflanze, sondern, wenn man es genau betrachtet eine Ampel, die im Winter hochrot leuchtet: Wenn wir ihre kugelrunden, grünen Blätterbüsche am ansonsten kahlen Baum sehen, wissen wir: Dem Baum geht's ans Eingemachte. Zum einen, weil die Mistel ihm Wasser und Nährsalze abzapft. Und wenn sie so groß ist, dass man die buschartigen Bälle im Geäst erkennt, heißt das, dass der Baum schon etliche Jahre mit der Mistel lebt.

Wie kommt die Mistel auf den Baum?

Ohne Misteln ist es Essig mit der Zauberkraft in Miraculix' Zaubertrank. Bildrechte: imago images/Mary Evans

Die Mistel und ihre immergrünen Blätter rauschen nun also in lichter Höhe, ihre Wurzeln hat sie tief und weit in den Baum eingebohrt. Aber wie kommt sie da eigentlich hin? Dahinter steckt mal wieder eine besonders clevere Verbreitungsstrategie der Natur: Sie verteilt ihre Samen über die Mistel-Beeren, die im Winter von Vögeln gefressen werden. Die enthalten eine Art klebrigen Schleim. Die alten Römer sollen den Schleim sogar als Klebstoff benutzt haben. In der nordischen Mythologie tötet Odins blinder Sohn Hödr seinen Bruder Baldur mit einem Mistelzweig, durch den Baldur stirbt. Und in der Comic-Saga um das aufständische Gallier-Dorf von Asterix und Obelix benutzt der Druide Miraculix Misteln für seinen Zaubertrank, der selbst die schwächsten und magersten Personen in unerschrockene Kraftprotze verwandelt.

Kommt nun ein Vogel und bedient sich an den Beeren, kleben oft auch weitere Beeren am Schnabel fest. Fliegt der Vogel nun weiter und wetzt sich am nächsten Baum den Schnabel sauber, hat der Mistel-Nachwuchs sein neues Zuhause erreicht. Mönchsgrasmücke und Wacholderdrossel sind vor allem an dieser Verbreitung beteiligt.

Mistel ist nicht gleich Mistel

Weltweit gibt es rund 1.100 Pflanzenarten, die zu den Sandelholzartigen zählen und die als "Misteln" bezeichnet werden. Davon haben wir etwa 30 in ganz Europa, in unseren Breitengraden kommen vor allem Viscum album (weissbeerige Mistel oder Laubholzmistel) vor und Viscum cruciatum (rotbeerige Mistel).

Die Mistel hat keine Eile

Misteln haben die Ruhe weg und keine Eile. Ihre Samen entwickeln sich langsam, und zwar am besten auf jungen Wirtszweigen, die noch eine dünne Rinde haben, oben in der Baumkrone.

Hier sieht man, wie die Äste, auf denen die Misteln sitzen, bereits recht dünn sind. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Dabei durchdringt die Mistel mit ihren Wurzeln zunächst die Rinde und setzt sich in der Bildungschicht, dem Kambium fest, schiebt sich dabei Stück für Stück im Ast unter der Rinde entlang und bildet dort neue Wurzelsenker, die tief ins Astinnere dringen. Je größer die Mistel, um so dünner wird der Ast, weil ihm die Mistel die Lebenskraft absaugt.

der Siedenschwazn verspeist gern Mistelbeeren Bildrechte: Colourbox.de

Etwa ab dem fünften Jahr beginnen Misteln im Februar, März zu blühen, die Blüten werden durch Insekten bestäubt, im November, Dezember reifen die Beeren. Hat sich eine Mistel erfolgreich häuslich auf einem Baum eingerichtet, kann sie immerhin 30 Jahre alt werden, wenn der Baum nicht vorher stirbt. Und wie immer in der Natur: Auch die Mistel ist zu etwas nütze, nämlich auch noch als Nahrung für Misteldrossel, Wacholderdrossel und Seidenschwanz. Die vertilgen die Beeren komplett und scheiden die Kerne wieder aus, die dann von anderen Vögeln, die diese Kerne brauchen, vertilgt werden.

Und warum sollen wir nun Misteln zählen?

Wo sich Misteln ansiedeln, weisen sie indirekt darauf hin, dass Bäume angeschlagen sind. Zum Beispiel durch extreme Trockenheit, Hitze, Insektenbefall und Schadstoffemissionen. Wenn Sie nun losziehen, die Mistel zu suchen: Erfolgversprechende Wirte für die Mistel sind Apfel- und Ahornbäume, genau wie Linden, Weiden, Weißdorn, Robinien, Birken und Pappeln. Also sollten Sie nach denen Ausschau halten.

Im Frühjahr ist es dann wieder schwieriger, Misteln zwischen den blühenden, grünen Zweigen zu entdecken Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

lfw

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