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Von Herdenimmunität spricht man in der Epidemiologie, wenn ein hoher Prozentsatz einer Population gegen eine gefährliche Krankheit immun geworden ist. Bildrechte: imago images/Future Image

Magdeburger ImmunologinCorona: "Herdenimmunität basiert nicht nur auf Antikörpern"

17. August 2020, 15:03 Uhr

Die Herdenimmunität einer Bevölkerung gilt als erstrebenswerter Schutz gegen den Coronavirus. Eine Mehrheit von Slumbewohnern in Indien hat bereits Antikörper gegen Sars-Cov-2. Doch Antikörper allein garantieren noch lange keine Herdenimmunität, warnt die Magdeburger Immunologin Monika Brunner-Weinzierl. Sie und ihr Team forschen an einer therapeutischen Impfung auf der Basis von T-Zellen, die Coronaviren im Körper aufspüren und beseitigen.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wird weltweit über den besten Weg zur Eindämmung der Infektion mit dem Coronavirus Sars-Cov-2 diskutiert, der die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann. Ein Begriff, der dabei immer wieder auftaucht, ist die sogenannte Herdenimmunität. Von ihr spricht man, wenn ein Virusausbruch abklingt, weil ein hoher Prozentsatz einer Bevölkerung immun gegen den Erreger geworden ist, sei es durch eine vorangegangene Infektion oder durch eine Impfung.

Der schwedische Sonderweg

Das einzige Land in Europa, das ein baldiges Erreichen der Herdenimmunität zur Strategie erklärt hat, ist Schweden. Es gibt keine Maskenpflicht, keine Schul- und Lokalschließungen. Man setzt auf die Vernunft der Bürger bei Abstands- und Hygieneregeln.

Schwedens Chef-Epidemiologe Anders Tegnell setzt auf das baldige Erreichen der Herdenimmunität. Bildrechte: imago images / Bildbyran

Auf die Einwohnerzahl (10 Millionen) bezogen verzeichnete das Land fünfmal mehr Corona-Infizierte und auch eine höhere Zahl positiv getesteter Verstorbener als Deutschland. Allerdings wurde seit Juni in Schweden auch deutlich mehr getestet als hierzulande. Zudem scheint sich die Strategie der Skandinavier allmählich auszuzahlen. Ende Juni wurde ein deutlicher Rückgang bei Neuinfektionen und Sterbefällen verzeichnet. Dennoch ist die erhoffte Herdenimmunität in Schweden bislang ausgeblieben.

Herdenimmunität in Indien?

Hoffnungen auf ein Erreichen der Herdenimmunität gibt es hingegen in Indien. Dort waren Ende Juli bei einer Studie unter Bewohnern von drei Slums der Millionenmetropole Mumbai bei 57 Prozent Antikörper gegen den Sars-Cov-2-Virus festgestellt worden. Bei den Einwohnern wohlhabenderer Stadtteile, die nicht so einen engen Kontakt haben wie die Slumbewohner, waren es nur 16 Prozent. Ähnlich hoffnungsfroh klang das Ergebnis einer Massenstudie in Italiens Corona-Hotspot Bergamo. Dort waren Anfang Juni ebenfalls bei 57 Prozent von 10.000 getesteten Probanden Antikörper festgestellt worden. Unter den Einwohnern des österreichischen Corona-Hotspots Ischgl wurden Ende Juni bei 42 Prozent Antikörper ermittelt.

Positive Antikörper-Tests nicht ausreichend

Doch sind positive Antikörper-Tests gegen Sars-Cov-2 unter großen Bevölkerungsgruppen automatisch Belege für eine Herdenimmunität?

Prof. Dr. Monika Brunner-Weinzierl, Immunologin an der OvGU Magdeburg. Bildrechte: Privat: Monika Brunner-Weinzierl

Die Immunologin Prof. Dr. Monika Brunner-Weinzierl von der Universitätskinderklinik Magdeburg warnt vor solchen Rückschlüssen. Von einer Immunität könne nur dann die Rede sein, wenn positiv getestete Personen auch eine "schützende Antikörper-Antwort" haben, sagt die Wissenschaftlerin MDR WISSEN. Ein positiver Antikörper-Test sage aber nur aus, dass das Immunsystem der betroffenen schon einmal mit dem Virus konfrontiert gewesen sei. "Das bedeutet in keinster Weise, dass man geschützt ist. Man muss nämlich bedenken, nicht jeder Antikörper gegen den Coronavirus ist schützend."

Ohne Neutralitätstests keine Beweise

Um einen derartigen Schutz nachzuweisen, so Brunner-Weinzierl, müsste durch Neutralitätstests belegt werden, dass die Antikörper tatsächlich verhindern, dass Sars-Cov-2 in die menschlichen Zellen eindringen kann. Solche Tests seien aber sehr aufwändig und kostenintensiv und für eine ganze Bevölkerung auch nicht machbar. "Deshalb wissen wir einfach nicht, ob eine schützende Immunität und deshalb auch eine Herdenimmunität vorliegt", so die Magdeburger Immunologin. Und solange man den Coronavirus nicht verstanden habe und auch nicht wisse, "wie eigentlich die optimale Immunantwort gegen den Virus aussieht, ist es ratsam, sich zu schützen."

Virus-Abwehr durch T-Zellen

Allerdings, so Brunner-Weinzierl weiter, gebe es neben den Antikörpern aus Sicht des Immunsystems noch ganz andere Möglichkeiten, den Virus abzuwehren. Eine sehr effektive Möglichkeit sei zum Beispiel, dass unser Immunsystem selbst virusinfizierte Zellen aufspüre: "Es ist ja so, der Virus selber lebt nicht. Er braucht unsere Zellen, um sich zu vermehren. Und wenn die Zellen sofort aufgespürt werden und von T-Zellen beseitigt werden, dann hat der Virus eigentlich verloren."

Eine Herdenimmunität, die gegen einen aggressiven Virus wie Sars-CoV-2 schützt, ist auf jeden Fall erstrebenswert. Aber Herdenimmunität basiert nicht nur auf Antikörpern.

Prof. Dr. Monika Brunner-Weinzierl, OvGU Magdeburg

Erstaunliche Laborergebnisse

Genau diese körpereigene Armee von T-Zellen, die durch das Blut patrouillieren, um Viren wie Sars-Cov-2 aufzuspüren, steht im Mittelpunkt der aktuellen Forschung von Brunner-Weinzierl und ihrem Team.

Wie wichtig der von ihnen verfolgte T-Zellen-Ansatz ist, zeigen die ersten Ergebnisse aus dem Labor der Universitätskinderklinik Magdeburg. Dort hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Proben von Genesenen aus Sachsen-Anhalt analysiert, die in der Vergangenheit positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

Das Ergebnis war alles andere als einseitig, wie Brunner-Weinzierl erklärt: "Und wenn wir uns die ersten Ergebnisse von den Genesenen ansehen, sehen wir, dass es wahrscheinlich zwei Gruppen von Genesenen gibt: Es gibt diejenigen mit neutralisierenden Antikörpern und es gibt diejenigen, die zwar keine Antikörper haben, aber eine sehr starke Virus-Abwehr durch T-Zellen. Und möglicherweise deutet das darauf hin, dass man für diese beiden Gruppen tatsächlich unterschiedliche Impfungen braucht."

Genau daran arbeite man in Magdeburg, erklärt Brunner-Weinzierl. Ziel sei es, in absehbarerer Zeit eine therapeutische Impfung zu entwickeln, mit der vor allem an Covid-19 erkrankten Risikopatienten individuell geholfen werden könne.

Probanden gesuchtFür ihre Studie sucht das Magdeburger Team aktuell vor allem gesunde Personen ab 55 Jahren, die bisher keine Symptome einer Sars-CoV2-Infektion hatten. Interessierte melden sich hier:
Forschungslabor Universitätskinderklinik Magdeburg
Telefon: 0391 6724081 oder 6724003

(dn/mdr/dpa)

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