Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung
Ein Kohlekraftwerk nördlich der chinesischen Metropole Shanghai. Bildrechte: imago images/Nature Picture Library

Unsägliches menschliches Leid drohtTausende Wissenschaftler rufen den Klima-Notfall aus

05. November 2019, 18:07 Uhr

Wie weit kommen Staaten mit der zugesagten Verringerung der Klimagase voran? Eine Studie zeigt: Drei Viertel der Länder tun zu wenig. 11.000 Forscher warnen vor dem Klima-Notfall.

von Clemens Haug

Gegenwärtig erhitzt sich das Weltklima immer schneller. Schuld daran sind Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid, kurz CO2. Im Pariser Klimaabkommen haben sich fast alle Staaten der Welt auf Maßnahmen geeinigt, wie der CO2-Ausstoß verringert werden und das Klima stabilisiert werden kann. Demnach sollen bis 2030 die Emissionen weltweit um 40 Prozent reduziert werden. Aber reichen die aktuell beschlossenen Pläne wirklich aus?

Forscher haben das in einer neuen Studie überprüft und kommen zu einem beunruhigenden Ergebnis. Drei Viertel der 184 Zusagen zur Verringerung der Treibhausgase seien unzureichend, schreiben die fünf Autoren, von denen vier schon für den Weltklimarat IPCC gearbeitet haben. Gerade einmal die 28 Staaten der EU sowie sieben weitere Länder seien auf dem richtigen Kurs, schreiben die Forscher. Zugleich veröffentlichte eine andere Gruppe von Forschern eine von 11.000 Wissenschaftlern unterzeichnete Erklärung, wonach der Menschheit akut der Klima-Notfall drohe.

Chinas und Indiens Klimaemissionen wachsen

"Die Zusagen sind schlicht viel zu wenig und zu spät", sagt Robert Watson, einer der Autoren des Papiers. "Sogar wenn alle freiwilligen Klima-Zusagen voll umgesetzt werden, erreichen sie nur die Hälfte dessen, was notwendig ist, um die Beschleunigung des Klimawandels im nächsten Jahrzehnt zu begrenzen", so der Forscher, der bis 2002 im Vorstand des Weltklimarats war.

Sorgen machen Watson und seinen Kollegen vor allem China, Indien, USA und Russland, die zusammen für die Hälfte der weltweiten Klimaemissionen verantwortlich sind. China, das Land mit den meisten Menschen auf der Welt, verursacht allein 27 Prozent der Klimagase. Zwischen 2005 und 2018 wuchsen die chinesischen Emissionen um 80 Prozent. Aufgrund der wachsenden chinesischen Wirtschaft nimmt der Ausstoß weiter zu.

Photovoltaik-Anlage in China: Bislang hat das Land zu wenig Zusagen gemacht, um die Klimaziele von Paris erreichen zu können. Bildrechte: imago images / Xinhua

Zugesagt hat das Land aber nur, dass die Klimagase nicht in der gleichen Geschwindigkeit wachsen sollen, wie sein Bruttoinlandsprodukt, also die Leistung seiner Volkswirtschaft. Ähnlich ist die Regelung für Indien, das sieben Prozent der globalen Treibhausgase verursacht.

USA kündigen Klimavertrag, Russland tut nichts

Die USA, verantwortlich für 13 Prozent der CO2-Emissionen, haben sich inzwischen ganz aus dem Pariser Abkommen zurückgezogen. Außenminister Pompeo sagte, man habe die Kündigung eingereicht. Den Ausstieg hatte US-Präsident Donald Trump eingeleitet. Russland, verantwortlich für fünf Prozent der Klimagase, hat laut den Studienautoren noch gar keine Pläne eingereicht.

Auf Kurs sind laut den Forschern die 28 EU-Staaten, die zusammen neun Prozent der globalen Treibhausgase verursachen. Ihr CO-2 Ausstoß könnte bis 2030 rund 58 Prozent unter dem Wert des Jahres 1990 liegen. Daneben seien nur noch die Maßnahmen von Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen, Moldawien, der Schweiz und der Ukraine ausreichend. Bei den Plänen von 126 weiteren Staaten sei problematisch, dass die Umsetzung stark von internationalen Finanzhilfen und Technologie abhängig sei. Von der zusagten internationalen Unterstützung sei bislang nur wenig in der Wirklichkeit angekommen.

11.000 Forscher warnen vor dem Klima-Notfall

Im Endeffekt seien laut den Studienautoren die Maßnahmen von insgesamt 130 Staaten zu gering, um das 50-Prozent-Reduktionsziel bis 2030 zu erreichen, das betreffe unter anderem vier der fünf größten Emittenten. Das 50-Prozent-Ziel sei aber nötig, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Andernfalls schätzen die Forscher die möglichen Schäden durch klimabedingte Unwetter ab 2030 auf bis zu zwei Milliarden Dollar weltweit – und zwar jeden Tag.

In einer Erklärung, die im Journal BioScience veröffentlicht wurde, warnen seit Montag 11.000 Wissenschaftler vor dem globalen Klimanotfall. Wenn es keine grundlegende Reduktion der Treibhausgase gebe, sei "unsägliches menschliches Leid" nicht mehr zu verhindern. "Wissenschaftler haben eine moralische Pflicht, die Menschheit vor jeglicher katastrophaler Bedrohung zu warnen", sagte Ko-Autor Thomas Newsome von der University of Sydney. "Aus den vorliegenden Daten wird klar, dass wir einem Klima-Notfall gegenüberstehen." Die Forscher fordern, Landwirtschaft und Verkehrsträger umzustellen, Biodiversität und Ökosysteme zu schützen und die Energieversorgung umzustellen.

Unter den Unterzeichnern sind auch rund 900 Forscher aus Deutschland, darunter Malte Jochum vom Zentrum für integrierte Biodiversitätsforschung iDiv in Leipzig. Er hofft, dass dieser neue, weltweite Appell, den Druck auf die Politik weiter erhöht, endlich weitere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. "Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist, die Daten aufzuzeigen und Alarm zu schlagen", sagte Jochum.

Wissenschaftler empfehlen Kohleausstieg

Im Klimaabkommen von Paris hatten sich fast alle Staaten der Welt das Ziel gesetzt, die Klimaerhitzung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Aktuell liegt das Weltklima bereits ein Grad über diesem Niveau. Geht der bisherige Ausstoß ungebremst weiter, rechnen Forscher mit bis zu drei Grad Erderwärmung bis 2100. Bereits jetzt ist klar, dass dadurch weltweit Küstenregionen gefährdet und Milliarden Menschen obdachlos werden könnten.

Doch es gebe Möglichkeiten, diese Schreckensszenarien noch abzuwenden. Die Autoren des Reports über Klimazusagen empfehlen, die Energieerzeugung zügig auf erneuerbare Energien umzustellen. Bis 2030 müssten rund 2.400 Kohlekraftwerke weltweit geschlossen und die Kohlenutzung um 70 Prozent verringert werden. Aktuell seien hingegen noch 205 zusätzliche Kohlekraftwerke im Bau.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 05. November 2019 | 05:40 Uhr