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Der Planet leidet unter der Überlastung. Bildrechte: Colourbox.de

Wissenschaftlicher DiskursErdüberlastung: Der schwierige Weg zur wissenschaftlichen Definition

15. September 2023, 18:00 Uhr

Weniger Artenvielfalt, zu viele Chemikalien und Kunststoffe, zu intensive Abholzung: Sechs von neun planetaren Grenzen sind Forschenden zufolge bereits überschritten. Die Widerstandskraft der Erde schwinde. Ein anderes Forschungsteam kam in einer Untersuchung auf acht Erdüberlastungsgrenzen, von denen sieben bereits überschritten seien. Ist das ein Widerspruch?

Das Konzept der planetaren Grenzen ist nicht neu. Eine 28-köpfige Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Erdsystem- und Umweltwissenschaften hat es entwickelt und im Jahr 2009 erstmals veröffentlicht - unter Leitung vom heutigen Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström. Es beschreibt die ökologischen Grenzen der Erde, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems auf dem ganzen Planeten gefährdet und damit auch seine Widerstandsfähigkeit.

Planetare Belastung: Mit der zweiten Aktualisierung alle Grenzen bestimmt

Nun legte das Team ein Update vor: Mit der aktuellen Publikation hat es das Konzept nach einer ersten Aktualisierung im Jahr 2015 ein zweites Mal überarbeitet. Dabei hat es viele neue Forschungsergebnisse aus den vergangenen Jahren aufgegriffen, sagt Mitautor Wolfgang Lucht. Er leitet die Forschungsabteilung für Erdsystemanalyse am PIK.

Die neun planetaren Grenzen seien immer noch dieselben wie schon 2009, erklärt er. Doch das Konzept sei jetzt viel feiner. Einige der Grenzen seien etwa in Teilbereiche unterteilt worden. "Beim Klima haben wir zwei verschiedene Dimensionen, die wir uns anschauen, und auch bei der Biosphäre haben wir zwei", so Lucht. Bei der Biosphäre etwa schaue das Team sich einerseits die Biodiversität mit der Aussterberate an und zum anderen auch die Funktionen der Ökosysteme im Erdsystem. Auch die Metriken, in denen gemessen wurde, seien in einigen Fällen angepasst worden.

Außerdem seien 2009 einige der Grenzen zwar benannt, aber noch nicht bestimmt. Damals habe dafür die Grundlage gefehlt, sagt Lucht. "Und in der jetzigen Veröffentlichung wurden zum ersten Mal alle Grenzen bestimmt." Während das Team damals also das Konzept der planetaren Grenzen überhaupt erstmal "auf den Tisch gelegt" habe, sei die Analyse jetzt sehr viel tiefer und auf dem neuesten Stand der Forschung.

Wie viele Grenzen hat die Erde? Ein zweites Team mit personellen Überschneidungen

Doch erst Ende Mai hatte eine ganz ähnliche Publikation im Fachmagazin Nature für Aufsehen gesorgt: Hier hieß es, es seien sieben von acht Grenzen des Erdsystems bereits überschritten worden. Unter den Autorinnen und Autoren gibt es außerdem noch Überschneidungen, an beiden Untersuchungen war etwa PIK-Direktor Rockström beteiligt. Das kann für Verwirrung sorgen, räumt Erdsystem-Forscher Lucht ein. Doch bei dieser Untersuchung handle es sich trotzdem um ein anderes, ein zweites Forschungsteam, das sich mit der Gleichen Thematik auseinandersetzt.

Und das sei auch genau so gewollt. Das Forschungsteam, das das Konzept der planetaren Grenzen entwickelt hat, rufe genau dazu auf, so Lucht, dass sich internationale Wissenschaftsgruppen, dieser Thematik annehmen und ihrerseits Analysen vorlegen sollten. "So könnte man später vielleicht in einer Synthese wie beim Weltklimabericht einen Welterdsystembericht über den Zustand der gesamten Erde und nicht nur das Klimas produzieren", sagt der PIK-Forscher.

Das zweite Team nenne seine definierten Grenzen auch nicht planetare Grenzen, sondern Erdsystem-Grenzen. Der Rahmen, in dem sich die Untersuchung bewege, sei aber derselbe. Es sei aber ganz normal, so Lucht, dass andere Forschungsgruppen manchmal auch zu etwas anderen Definitionen und Schwerpunkten kämen. So sei in dieser Analyse etwa auch die Frage der Gerechtigkeit analysiert worden, erläutert Lucht. "Also welche Grenzen müsste man einhalten, damit es gerechter auf der Welt wird", erklärt er. "Während wir bei den planetaren Grenzen nur den Zustand der Erde anschauen."

Erdsystem und planetare Belastung: Hoffnung auf weitere Analysen

Der PIK-Forscher sieht in den Publikationen keinen Widerspruch. "Wir arbeiten alle am Verständnis des Erdsystems und freuen uns, dass solche anderen Gruppen das aufgenommen haben", sagt er. Tatsächlich hofften die Forschenden sogar darauf, dass noch mehr Analysen dazu kommen. Dann müsse irgendwann geschaut werden, ob man zu einer gewissen Einheitlichkeit gelange, damit die Dinge vergleichbar würden. "Zunächst mal ist es aber gut, dass überhaupt daran gearbeitet wird", so Lucht.

Der Forscher verweist auf die Klimaforschung. Da gebe es ja auch nicht nur ein Klimamodell. Auf der Welt gebe es fast 30 verschiedene Modelle, die auch nicht alle gleich seien. "Und das ist aber eine Stärke, weil man dann eben alles zusammenlegen kann", so Lucht. Und dann habe man eine breite Basis für das Wissen und könne den Stand der Dinge dann in einem Überblicksbericht synthetisieren.

Link zur Studie

(kie)

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 14. September 2023 | 17:00 Uhr

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