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An der Spanischen Grippe erkrankte Patienten in einer Klinik im US-Bundesstaat Colorado 1918. Bildrechte: imago images/UIG

PandemienSaisonale H1N1-Grippe stammt direkt vom Erreger der Spanischen Grippe ab

11. Mai 2022, 10:33 Uhr

Forscher des Robert Koch-Institut haben das Genom von Viren entschlüsselt, die 1918 während der spanischen Grippe zirkulierten. Ein Ergebnis: Das saisonale Grippevirus H1N1 stammt direkt von der Spanischen Grippe ab.

Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie suchten viele Wissenschaftler und Journalisten nach Vergleichen und kamen so zur sogenannten "Spanischen Grippe", die 1918 ihren Lauf nahm. Gemessen an den historischen Zahlen ist Corona bislang mild ausgegangen. Während die WHO die Zahl der direkt oder indirekt an Covid-19 verstorbenen Patienten auf etwa 15 Millionen Menschen beziffert, forderte die damalige Influenza-Pandemie wohl zwischen 20 und 50 Millionen Todesopfern.

Deutsche Forscher isolieren erstmals Genome von 1918 genommenen Virusproben

Mit Spanien hatten die erst in den 1930er-Jahren identifizierte Erreger allerdings wenig zu tun. Der Name ist wohl auf eine Agenturmeldung zurückzuführen, die die Erkrankung des spanischen Königs vermeldete. In anderen Teilen der Welt bekam die Pandemie andere Namen.

Über den Ursprung und die Evolution des ursächlichen H1N1-Influenza-A-Virus ist seitdem viel geforscht worden. Doch die Wissenslücken sind immer noch groß, vor allem wegen des Mangels an gut erhaltenen Proben des Erregers. Insofern stellt die neue Studie der RKI Forscher Sébastien Calvignac-Spencer und Thorsten Wolff sowie ihrer Arbeitsgruppen eine kleine Sensation dar. Sie konnten aus in Museen konservierten Proben drei neue Genome von Viren isolieren, die 1918 in Berlin und in München zirkulierten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung berichten sie in der Fachzeitschrift Nature Communications.

Neues Bild zeigt Weg der transkontinentalen Verbreitung der Spanischen Grippe

Insgesamt konnten die Wissenschaftler auf 13 in Museen erhaltene Proben zugreifen. Sechs davon seien von sehr guter Qualität gewesen, so dass zwei Teilgenome von Viren isoliert werden konnten, die im Juni 1918 in Berlin zirkulierten und ein vollständiges Genom aus einer 1918 in München genommenen Probe.

Die neuen Funde ergänzen die bisher 18 bekannten Proben mit genomischer Information zum damaligen Pandemieerreger, von denen die meisten aus den USA und nur zwei aus London stammten. Vor dieser Arbeit waren lediglich zwei vollständige Genome bekannt. Das nun vorhandene Bild liefert Hinweise zur Ausbreitung des Virus, das bei verschiedenen Ereignissen von einem Kontinent zum nächsten gebracht wurde und dort neue Ausbrüche verursachte.

Warum wurde die spanische Grippe milder?

Die Forschenden fanden zunächst keine Hinweise darauf, dass verschiedene Viruslinien einander ablösten, wie das bei Sars-CoV-2 und seinen verschiedenen Varianten inzwischen mehrfach der Fall war. Und anders als bisher vermutet ist das von saisonalen Grippewellen bekannte H1N1-Virus auch kein Ergebnis der Kreuzung mehrerer Viruslinien sondern ein direkter Abkömmling der ursprünglichen Linie der Spanischen Grippe.

Offen ist allerdings, was genau dafür sorgte, dass das anfangs tödliche Virus im späteren Verlauf nur noch vergleichsweise milde Infektionen auslöste. Möglicherweise veränderte sich das Virus, möglicherweise war es aber auch die wachsende Immunität der Bevölkerung und die damit verbundene geringere Verwundbarkeit. Um das zu klären wären Proben aus den 1920er-Jahren notwendig, von denen bislang allerdings noch keine gefunden wurden.

Oberflächenproteine veränderten sich kaum

Beim näheren Vergleich der jetzt entdeckten Genome von 1918 zu dem bereits zuvor bekannten Proben aus den USA fielen Thorsten Wolff und seinen Kollegen insgesamt 51 veränderte Nukleotide (Grundbausteine von Nukleinsäuren, DNA und RNA) im Viruserbgut auf. Besonders auffällig: Das Hämagglutinin, ein zentrales Oberflächenprotein des Grippeerregers, das in seiner Funktion dem Spikeprotein von Sars-CoV-2 ähnelt, hatte sich über die verschiedenen Varianten kaum verändert. Die Unterschiede zwischen den in den USA und den in Deutschland festgestellten Viren seien geringer, als die zwischen verschiedenen saisonalen Varianten von H1N1, so Wolff.

Hauptunterschiede bei den Enzymen zur Virusvermehrung

Stattdessen betreffen neun der 17 Veränderungen die Polymerasen, also Enzyme, die die Gene des Virus bei dessen Vermehrung kopieren. Als sie die unterschiedlichen Versionen dieser Enzyme miteinander verglichen, stellten die Forschenden fest, dass die in den USA später genommenen Versionen effektiver waren. Das Virus hatte im Lauf seiner Evolution also wahrscheinlich seine Vermehrungsfähigkeiten verbessert.

Zudem fanden die Forscher eine Veränderung im Nukleokapsid, dem Protein, das das Viruserbgut schützt. Bekannt sei diese Mutation von Grippeviren von Vögeln, so Wolff. Ein Hinweis auf die Herkunft des plötzlich so tödlichen Grippevirus? Calvignac-Spencer und Kollegen wollen in den kommenden Jahren nach weiteren historischen Proben suchen, um dem Puzzle der Herkunft der spanischen Grippe weitere Teile hinzuzufügen.

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