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Die Ostantarktis umfasst den Südpol und das größte Eisvorkommen der Welt. Würde sie vollständig abschmelzen steigt der Meeresspiegel nach aktuellen Schätzungen um 52 Meter. Bildrechte: colourbox

Globales KlimaKann die Schmelze der Ostantarktis aufgehalten werden?

11. August 2022, 16:34 Uhr

Das ostantarktische Eisschild gehört als Teil des antarktischen Inlandeises zur größten Eismasse der Welt. Schmilzt es, steigt der Meeresspiegel um 52 Meter. Doch es gibt Hoffnung. Wie Forscher aus Großbritannien jetzt herausfanden kann das ostantarktische Eisschild gerettet werden – aber nur, wenn die globale Temperatur nicht auf mehr als zwei Grad steigt.

Das Schicksal des größten Eisschildes der Welt liegt noch in unseren Händen, wenn der globale Temperaturanstieg unter der im Pariser Klimaabkommen festgelegten Obergrenze gehalten wird. Das ist die Botschaft von Wissenschaftlern der Universität Durham in Großbritannien. In einer im Fachmagazin "Nature" veröffentlichten Studie fanden sie heraus, dass die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Ostantarktische Eisschild (EAIS) vermieden werden könnten – allerdings dürfen die Temperaturen dafür nicht mehr als um zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigen.

Die Antarktis umfasst das größte Eisvorkommen der Erde. Bildrechte: imago/blickwinkel

"Die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf weniger als die im Pariser Klimaabkommen festgelegte 2-Grad-Celsius-Grenze sollte bedeuten, dass wir die schlimmsten Szenarien vermeiden oder vielleicht sogar das Abschmelzen des ostantarktischen Eisschilds aufhalten und damit seine Auswirkungen auf den globalen Meeresspiegelanstieg begrenzen können", erklärte Professor Chris Stokes vom Geographischen Institut der Universität Durham und Hauptautor der Studie.

Antarktisches Eis entscheidend für Meeresspiegel

Nach dem jüngsten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) liegt die globale Erderwärmung aktuell bei etwa 1,1 Grad Celsius. Die Forschenden erklärten: Falls es gelänge, die Erderwärmung zu drosseln, bestünde die Möglichkeit, dass der EAIS den Meeresspiegel bis zum Jahr 2500 weniger als einen halben Meter ansteigen lässt. Andernfalls könnte der Meeresspiegel mehrere Meter steigen.

Größtes Eisvorkommen der Welt

Das ostantarktische Eisschild (EAIS) gehört zum antarktisches Eisschild, das auch als antarktisches Inlandeis bezeichnet wird, und das größte Eisvorkommen der Welt umfasst. Zu ihm gehört der Südpol. Im antarktischen Inlandeis und dem von diesem gespeisten Schelfeis sind fast 90 Prozent des Eises und 70 Prozent des Süßwassers der Erde gebunden. Ein komplettes Abschmelzen des EAIS würde zu einem Meeresspiegelanstieg von 52 Metern führen, schmilz die gesamte Antarktis könnte der Meeresspiegel sogar bis 58 Meter steigen.

Schicksal liegt in "unseren Händen"

"Eine wichtige Schlussfolgerung der Analyse ist, dass das Schicksal des ostantarktischen Eisschildes weiterhin in unseren Händen liegt", erklärte Erstautor Stokes. "Dieser Eisschild ist bei weitem der größte auf unserem Planeten und enthält das Äquivalent von 52 Metern Meeresspiegel, und es ist wirklich wichtig, dass wir diesen schlafenden Riesen nicht wecken."

Dieser Eisschild ist bei weitem der größte auf unserem Planeten.

Chris Stokes | Geographisches Institut der Uni Durham und Hauptautor der Studie

Temperaturen stiegen im Frühling um 30 Grad

Klimaforscher gingen lange Zeit davon aus, dass die Ostantarktis weniger anfällig für den Klimawandel ist als die Westantarktis oder die Arktis. Vor allem wegen ihrer geographischen Höhe und den gewaltigen Minustemperaturen von bis zu minus 85 Grad Celsius, glaubten die Wissenschaftler, dass die Erderwärmung der Antarktis weniger anhaben könnte. Diese Annahme wurde jedoch im Frühjahr erschüttert. Im März zerbrach eine riesige schwimmende Eisplatte von etwa der halben Größe des Saarlandes. Vorher lagen die Temperaturen mit minus 17 Grad Celsius um etwa 30 Grad höher als für die Jahreszeit normal ist.

Klimawandel bis in die Ostantarktis vorgedrungen

"Früher dachten wir, dass die Ostantarktis im Vergleich zu den Eisschilden in der Westantarktis oder in Grönland viel weniger anfällig für den Klimawandel sei, aber jetzt wissen wir, dass es einige Gebiete in der Ostantarktis gibt, die bereits Anzeichen von Eisverlust aufweisen", erklärt Stokes. "Satellitenbeobachtungen haben Hinweise auf eine Ausdünnung und einen Rückzug des Eises ergeben, insbesondere dort, wo die Gletscher, die den Haupteisschild entwässern, mit warmen Meeresströmungen in Berührung kommen."

Wie reagierte das Eisschild auf vergangene Warmzeiten?

Um die Empfindlichkeit des EAIS zu beurteilen, untersuchten die Wissenschaftler, wie der Eisschild auf vergangene Warmzeiten reagierte und glichen diese Ergebnisse mit den aktuellen Veränderungen ab. Anschließend analysierten sie eine Reihe von Computersimulationen aus früheren Studien, um die Auswirkungen der Treibhausgasemissionen und Temperaturen auf den Eisschild in den Jahren 2100, 2300 und 2500 zu untersuchen.

Bedrohung von Millionen Menschen in Küstengebieten

Das Ergebnis zeigte klar: Wenn die Erwärmung über das Jahr 2100 hinaus anhält und weiter durch hohe Emissionen unterstützt wird, schmilzt die Ostantarktis weiter und lässt den Meeresspiegel in den kommenden Jahrhunderten um mehrere Meter ansteigen. Dies würde sich den Forschenden zufolge zum Abschmelzen des Eises in Grönland und der Westantarktis summieren und Millionen von Menschen weltweit bedrohen, die in Küstengebieten leben.

Konkret berechneten die Forscher bei weiterhin hohen Emissionen einen Anstieg des Meeresspiegels allein durch die Ostantarktis bis 2100 um etwa einen halben Meter, bis zum Jahr 2300 um etwa ein bis drei Meter und bis zum Jahr 2500 um zwei bis fünf Meter.

Anstieg von nur wenigen Zentimetern ist noch möglich

Gelingt es jedoch die Erderwärmung zu drosseln und die Treibhausgasemissionen drastisch zu verringern, sei es laut der Studie möglich, dass die Ostantarktis "nur" etwa zu einem Anstieg des Meeresspiegels von zwei Zentimetern bis zum Jahr 2100 beitragen könnte. Das ist viel weniger als der erwartete Eisverlust in Grönland und der Westantarktis. Tatsächlich zeigen einige Untersuchungen, dass der Schneefall über der Ostantarktis in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Halte dieser an, könne der Eisverlust in der Antarktis vielleicht sogar ausgeglichen werden, schreiben die Wissenschaftler.

Vergangene Warmzeiten – Anstieg um 25 Meter

Beim Blick auf vergangene Warmzeiten stellten die Wissenschaftler fest: Die Erde erwärmte sich in der Vergangenheit über einen viel längeren Zeitraum und wurde größtenteils dadurch verursacht, dass sich die Art und Weise, wie die Erde die Sonne umkreist, veränderte.

CO2-Konzentration das letzte Mal vor drei Millionen Jahren so hoch

Die Wissenschaftler erklärten: "Das letzte Mal, dass die Kohlendioxidkonzentration den heutigen Wert von 417 Teilen pro Million überstieg, war während des sogenannten mittleren Pliozäns vor etwa drei Millionen Jahren." Die Temperaturen seien damals nur um zwei bis vier Grad Celsius höher gewesen als heute, mit ähnlichen Temperaturschwankungen. "Aber der globale mittlere Meeresspiegel stieg schließlich um zehn bis 25 Meter an. Besorgniserregende Hinweise aus Meeresbodensedimenten um die Ostantarktis deuten darauf hin, dass ein Teil des Eisschildes zusammenbrach und während des mittleren Pliozäns zum Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter beitrug."

Nur kleines Zeitfenster, um Ostantarktis zu retten

Professor Nerilie Abram, eine Mitautorin der Studie von der Australian National University in Canberra, sagte: "Eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit ist, dass der ostantarktische Eisschild selbst auf relativ bescheidene Erwärmungsszenarien sehr empfindlich reagiert. Er ist nicht so stabil und geschützt, wie wir einst dachten. Wir haben jetzt ein sehr kleines Zeitfenster, um unsere Treibhausgasemissionen rasch zu senken, den Anstieg der globalen Temperaturen zu begrenzen und den ostantarktischen Eisschild zu erhalten."

Wir haben jetzt ein sehr kleines Zeitfenster.

Nerilie Abram | Mitautorin der Studie von der Australian National University in Canberra

Würden die Treibhausgase drastisch gesenkt und die Erderwärmung gedrosselt, würde dies nicht nur die Ostantarktis, "sondern auch das Abschmelzen anderer großer Eisschilde wie Grönland und der Westantarktis verlangsamen, die noch anfälliger und stärker gefährdet sind". Abram erklärte weiter: "Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Länder ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen einhalten und verstärken."

UN-Klimakonferenz 2015 in Paris

Auf der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und die Anstrengungen zur Begrenzung des Anstiegs auf 1,5 Grad Celsius fortzusetzen.

Links/Studien


Die Studie: Climate change: The Arctic is warming nearly four times faster than the rest of the world
Die Forschungsarbeiten wurden von der Universität Durham in Zusammenarbeit mit dem King's College London und dem Imperial College London (Vereinigtes Königreich), der Australian National University, der University of New South Wales, der University of Tasmania und der Monash University (Australien), der Université Grenoble Alpes (Frankreich), der University of Colorado Boulder, dem NASA Goddard Space Flight Center und der Columbia University (USA) geleitet.

Das Projekt wurde finanziert von: dem britischen Natural Environment Research Council, dem Australian Research Council Special Research Initiatives im Australian Centre for Excellence in Antarctic Science und Securing Antarctica's Environmental Future, dem Centre for Southern Hemisphere Oceans Research, der Australian Antarctic Program Partnership, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union und der National Aeronautics and Space Administration.

(kt)

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