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Fairbourne - noch malerisch an der Küste gelegen. Bildrechte: imago/Photoshot/Construction Photography

Geordneter RückzugForscher: Schluss mit dem Krieg gegen die Natur!

25. August 2019, 05:00 Uhr

Wir kämpfen gegen die Natur, statt uns mit ihr zu arrangieren, sagen US-Forscher. Dabei könnten wir uns viel Stress ersparen, wenn wir vom Kampfmodus auf langfristige Vermeidungs-Strategien setzen würden.

Dass ein Dorf umziehen soll, weil man an die Kohle darunter will: Dagegen kann man protestieren. Dass ein Dorf in Großbritannien aufgegeben wird, weil es in ein paar Jahrzehnten im Meer versinkt: Dagegen hilft zwar kein Protest, aber man kann sich darauf vorbereiten. Besonders dann, wenn die Behörden hier nicht mehr in Hochwasserschutz investieren wollen. Fairbourne ist dieses Dorf in Wales, es liegt nur knapp über dem Meeresspiegel und ist das, was uns in Europa die Folgen des Klimawandels drastisch vor Augen führt.

Auf der anderen Seite des Globus würde das 1.000-Seelen-Dorf vermutlich kaum noch für Schlagzeilen sorgen. Die UN listet inzwischen 52 Regionen auf, die unter anderen auch vom steigenden Meerespiegel bedroht sind. Orte, die in unseren Ohren nach Urlaub, Fernweh, Traumreisen klingen: Malediven, Kiribati, Vanuatu, Samoa, die Fiji- und die Marshall Inseln. Deren Bewohner leben längst mit steigendem Meerespiegel, immer häufiger mit Zyklonen und Sturmfluten. Und auch Millionenmetropolen wie Indonesiens Hauptsatdt Jakarta sind von steigendem Wasser bedroht.

Vanuatu

Bildrechte: imago images / Design Pics | imago/Xinhua

Strategie: Herausforderungen wählen, die sich gewinnen lassen

Dass die Behörden in England sich zur langfristigen Aufgabe eines Dorfes entschieden haben, ist genau die Strategie, die auch drei US-Forscher der Harvard University (Cambridge) in einem jüngst veröffentlichten Artikel im Fachmagazin "Science" fordern: Sie plädieren für einen geordneten Rückzug des Menschen aus Gebieten mit hohem Risikofaktor für Naturkatastrophen und einen generellen Blickwechsel im Verhältnis Menschen-Natur.

Wir müssen aufhören, unsere Beziehung mit der Natur als Krieg zu bezeichnen. Wir sind keine Gewinner oder keine Sieger, wir passen uns an die Änderungen in der Natur an. Wenn Wasserspiegel steigen, Stürme Überschwemmungsgebiete fluten, müssen wir zurückweichen.

Studienautorin A. R. Siders, Geologin und Spezialistin für Klima- und Katastrophenforschung

Im Angesicht der Katastrophe: Vorher agieren oder danach reagieren?

Blattläuse - manche Kleingärtner bekämpfen sie mit wahrer Inbrunst Bildrechte: colourbox

Geordneter Rückzug - das schmerzt den Menschen generell, der im Großen wie im Kleinen versucht, sich die Natur Untertan zu machen: Seien es die Häuslebauer mit ihren Stein-"Gärten des Grauens", die ihren Grund und Boden mit allen Mitteln beherrschen wollen. Jedes Kraut, jeder Halm, jeder Beiwuchs gilt als lästiges "Unkraut" und muss besiegt werden, da werden Giersch und Löwenzahn erbittert bekriegt, Buchsbaumzünsler und Engerling der Garaus gemacht, oder den Läusen im Apfelbaum, den Rosen oder im Salbei.

Der Krieg gegen die Natur steckt im Denken und der Sprache

Demselben kriegerischen Element begegnen wir auch im Großen, wenn es um die Katastrophen wie Hochwasser oder Überschwemmungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche geht.

Wir lesen und hören vom "Kampf gegen die Wassermassen", von Deichen "die gehalten" oder "aufgegeben werden müssen", von Zyklonen die Opfer fordern. Dahinter steckt der Gedanke, sich nicht der "Natur zu beugen", denn das würde ja bedeuten, nicht mehr Herr der Natur zu sein.

Ein Blick- und Haltungswechsel würde im Kleinen wie im Großen vieles vereinfachen, ob nun im Kleingarten oder nach der Sturmflut: Man kann ungeliebte Kräuter und Halme als Zeiger-Pflanzen begreifen, die sagen, was dem Boden fehlt. Oder bei den Borkenkäfer-Epidemien, die jahrzehntelange Forst- und Holzwirtschaft überdenken.

Aber warum erfolgt der Rückzug immer erst zu spät, unfreiwillig und unkoordiniert wie die Forscher schreiben, "als sei ein Rückzuck defätistisch", also ehrabschneidend, schändlich und feige? Genauso würden die Katastrophen-Nachwehen dann planlos und ineffizient gehandhabt. Oft gut gemeint, aber auf lange Sicht selten erfolgversprechend.

Deshalb fordern R.A. Siders, Miyuki Hino and Katharine J., dass wir umdenken, hin zu geplanten, strategischen und gesteuerten Rückzügen.

Wir können wählen: koordinierter Rückzug oder hektisch und chaotisch

Geordnete Rückzüge hatten den Forschern zufolge sogar positive gesellschaftliche Begleiterscheinungen und zwar für die weniger Reichen. Nämlich wenn bei einem begleiteten, geplanten Dorfumzug beispielsweise alle neu anfangen und nicht nur die Begüterten. Dann könnte das auf lange Sicht für mehr gesellschaftliche Stabilität sorgen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 20. August 2019 | 05:00 Uhr