Hühner in einem Zuchtbetrieb. 9 min
Die Auswertung zeigt: 31 Prozent der konventionellen Hähnchenfleischproben sind mit antibiotikaresistenten Erregern behaftet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Multiresistente Keime Jedes dritte Hähnchen in konventionellen Betrieben belastet

25. März 2024, 05:00 Uhr

In jeder dritten Fleischprobe von Hähnchen aus konventioneller Haltung sind multiresistente Keime gefunden worden. Nach der Untersuchung im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe fordern Umweltschützer, den Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht zu reduzieren. Humanmediziner verlangen, dass keine Reserveantibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden.

Gegen multiresistente Keime hilft fast kein Antibiotikum mehr. Durch diese winzigen Bakterien sterben laut WHO jährlich etwa 1,3 Millionen Menschen. Sie stuft diese multiresistenten Keime als eine der zehn größten Bedrohungen für die Weltgesundheit ein. Nehmen die Antibiotikaresistenzen weiter zu, könnte das verheerende Folgen haben. Nun zeigt eine Untersuchung im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Deutschland, dass jede dritte Probe von Hähnchenfleisch aus konventioneller Haltung mit antibiotikaresistenten Erregern behaftet ist. Zu viel, kritisieren die DUH und andere Umweltschützer.

Die DUH hat im vergangenen Jahr Fleischproben von Hähnchen aus konventioneller Haltung und aus Biohaltung untersuchen lassen. Die Fleischproben wurden an der Universität Greifswald ausgewertet. Die Ergebnisse decken sich unter anderen mit dem Monitoring des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Dabei kam heraus, dass 31 Prozent der konventionellen Hähnchenfleischproben mit antibiotikaresistenten Erregern behaftet sind.

Reinhild Benning Deutsche Umwelthilfe

Eine Frau wird interviewt.
Reinhild Benning erklärt, dass im Biofleisch weitaus weniger Belastungen gefunden worden. Bildrechte: MDR exakt

"Dabei kam heraus, dass 31 Prozent der konventionellen Hähnchenfleischproben mit antibiotikaresistenten Erregern behaftet sind", sagt Reinhild Benning von der DUH. "Das bedeutet für uns Verbraucherinnen: Jedes dritte Hähnchen im Supermarktregal war in dieser Stichprobe kontaminiert." Im Biofleisch seien deutlich weniger Belastungen gefunden worden – in zwei von 30 Proben.

Einsatz von Antibiotika: Deutschland im europäischen Vergleich

Die DUH und andere Umweltschützer (BUND und Germanwatch) kritisieren, dass der Einsatz von Antibiotika in Deutschland nicht ausreichend geregelt sei. Zwar habe in den vergangenen Jahren die eingesetzte Menge pro Tier abgenommen. Das reiche aber nicht aus, vor allem nicht im europäischen Vergleich. Beim Einsatz von Antibiotika gerechnet auf das Tiergewicht steht Schweden mit 11,8 Milligramm Antibiotika pro Kilogramm Tierfleisch an der Spitze. Großbritannien liegt etwas dahinter bei 32,5 Milligramm und Deutschland eher im Mittelfeld. Hier sind es 89 Milligramm pro Kilo.

Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) weist die Kritik der DUH zurück. Erstens sei der Antibiotikaeinsatz in den vergangenen Jahren gesunken. Zweitens unterliege die Anwendung klaren Auflagen. "Grundsätzlich muss man dazu wissen, dass in der Tierzucht und natürlich auch in der Geflügelzucht Antibiotika nur ganz streng nach Diagnose und Indikationsstellung und Verschreibungen von Tierärztinnen und Tierärzten angewandt werden", sagt Ann-Kathrin Stoldt, die bei der ZDG für Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständig ist. Kurz: Antibiotika werden nur durch den Tierarzt verschrieben.

Kritisch: Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierzucht

Ein Mann in einem weißen Kittel
Stefan Moritz Bildrechte: MDR exakt

Allerdings: Besonders kritisch sehen nicht nur Tierschützer den Einsatz von sogenannten Reserveantibiotika. "Colistin ist in vielen Fällen mittlerweile unsere letzte Waffe, die wir noch haben, um Infektionen mit gravierend resistenten Erregern zu behandeln", sagt der Leiter der Klinischen Infektiologie am Uniklinikum Halle, Stefan Moritz. "Wir sehen es so, dass der Einsatz von Colistin in allen anderen Bereichen weitgehend vermieden werden muss." Darunter falle auch die Tierzucht. "Um dieses Antibiotikum für die letzten, kritischen Fälle vorzubehalten."

Colistin ist in vielen Fällen mittlerweile unsere letzte Waffe, die wir noch haben, um Infektionen mit gravierend resistenten Erregern zu behandeln.

Stefan Moritz Uniklinikum Halle

"Die Bundesregierung hat angekündigt, die Reserveantibiotika in der Massentierhaltung strenger zu regulieren", sagt Benning von der DUH. Sie fordert: "Das muss nun erfolgen. Hier erwarten wir eine Verordnung, die das klar reguliert."

Im Bundeslandwirtschaftsministerium von Cem Özdemir (Die Grünen) will man das offenbar nicht. MDR Investigativ erhält auf Anfrage als schriftliche Antwort: "Es ist unbestritten, dass es Wirkstoffgruppen gibt, die der Behandlung schwerer Infektionen des Menschen vorbehalten bleiben müssen, damit ihre Wirksamkeit in der Humanmedizin auch künftig erhalten bleibt. […] Ein völliges Verbot dieser Wirkstoffklassen für die Veterinärmedizin stünde jedoch im Widerspruch zum Tierschutz, denn kranke Tiere müssen behandelt werden können, notfalls auch mit solchen Tierarzneimitteln."

Antibiotika weitaus häufiger in der Geflügelhaltung eingesetzt

Am Bundesinstitut für Risikobewertung befassen sich Wissenschaftler mit Risiken für die menschliche Gesundheit und geben Empfehlungen, wie damit umzugehen ist. Bernd-Alois Tenhagen erforscht unter anderem, wie multiresistente Erreger entstehen. Der Anteil der Tierhaltung daran sei deutlich geringer als der der Humanmedizin. Dennoch sollten weniger Antibiotika in den Ställen eingesetzt werden, meint er.

"Wichtig ist, dass wir zusätzliche Barrieren aufbauen, damit diese Substanzen einfach viel seltener eingesetzt werden", sagt Tenhagen. "Weil wir darüber natürlich den Selektionsdruck und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass Resistenzen in größerem Umfang auftreten, vermindern können." In den vergangenen Jahren habe es einen Rückgang der Antibiotikamenge in der Tierzucht gegeben. Doch in der Geflügelhaltung werde nach wie vor weit mehr eingesetzt als etwa bei Kälbern oder Schweinen.

Erkrankt ein Tier, bekommen alle Antibiotika

Biobauer Peter Meister hat in seinem Betrieb bei Gera im Schnitt rund 2.500 Legehennen und 500 bis 1.000 Masthähnchen. Antibiotika setze er nur in absoluten Notfällen ein: "Dies ist höchstens erforderlich, wenn die Tiere eine schwere Erkrankung haben." Es werde nur eingesetzt, wenn der Tierarzt sage: Rettung gehe nur mit Antibiotika. "Weil das Tierwohl ist an erster Stelle."

Meister setzt vor allem auf gute Vorsorge. Denn: Erkrankt auch nur ein Tier, müssen Antibiotika über das Tränkewasser verabreicht werden und alle Hühner des Bestandes – auch die gesunden – würden diese bekommen. In der konventionellen Haltung könnten das in einem solchen Fall auf einen Schlag 40.000 bis 60.000 Tiere sein. "Wir haben viel kleinere Herden als zum Beispiel im konventionellen Bereich. Wir starten so bei 300 bis 500 Tiere pro Herde", sagt der Bio-Geflügelzüchter.

Studien, auch die der Deutschen Umwelthilfe, zeigen, dass Tiere aus Biohaltung deutlich weniger resistente Keime haben als die aus der konventionellen Haltung. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat Mastputen und Hähnchen sowohl im Bio- als auch im konventionellen Bereich bei der Schlachtung untersucht. "Da sehen wir deutliche Unterschiede. Nicht in der Zahl der resistenten Keime, die auf dem Fleisch noch vorhanden sind, sondern in der Resistenz dieser Bakterien – zugunsten der Biobetriebe."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 13. März 2024 | 20:15 Uhr

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