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"Grundgesetz fürs Internet" und noch eins für Medienfreiheit. Dazu Skandale und Reformvorschläge. Die Medienpolitik steht vor vielfältigen Herausforderungen. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Kolumne: Der Altpapier-Jahresrückblick am 27. Dezember 2022Die Medienpolitik knirscht ...

27. Dezember 2022, 09:00 Uhr

Die RBB-Skandale zeigten glasklar, was bei der Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schlecht läuft. Deutsche Medienwächter haben erstmals "Public Value" definiert. Aufs "Grundgesetz fürs Internet" der EU folgt eins für die Medienfreiheit: 2022 wäre ein medienpolitisch hochspannendes Jahr gewesen – wenn es denn eine konsistente Medienpolitik gäbe. Eine Kolumne von Christian Bartels.

von Christian Bartels

Wer alles Medienpolitik macht

Auf drei Ebenen wird in Deutschland Medienpolitik betrieben, aber immer von anderen Ressorts nebenbei. "Nach dem Grundgesetz ist die Medienpolitik Aufgabe der Länder", heißt's im Auftritt der Rundfunkkommission der Länder (von der außer ihren Mitgliedern niemand genau weiß, wer ihr eigentlich angehört). Vor allem sind es die Staatskanzleien der Bundesländer-Ministerpräsidenten, die unter anderem Medienstaatsverträge entwerfen und so Medienpolitik in Form von bundesweit einheitlichem Landesrecht machen.

Der AutorChristian Bartels

Die Europäische Union greift über die EU-Kommission nicht nur mit dem Digitale-Märkte- (Digital Markets Act/ DMA) und dem Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act/DSA), die schon beschlossen sind, deren Umsetzung aber teilweise noch bis 2024 dauern wird, in die Medienpolitik ein. Ob das geplante Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act"/ EMFA) eine gute Idee oder bloß gut gemeint ist, ist umstritten.

Sache des Bundes ist Medienpolitik gerade nicht. Dennoch sind eine Menge Kompetenzen auf Bundesebene aufgelaufen, seit vor einigen Jahrzehnten alle Medien im Internet zusammenzuwachsen begannen – vom umstrittenen NetzDG bis zur Unterstützung der Zeitungsverlage bei Digitalisierung. Die hatte in der letzten Merkel-Groko das Wirtschaftsministerium geplant, aber nicht mehr hingekriegt. In der aktuellen Scholz-Regierung möchte sich um die noch immer unerledigte, schwierige Aufgabe wohl gar kein Ministerium kümmern

Baustelle Öffentlich-Rechtliche

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind seit je die wichtigste medienpolitische Baustelle. Auch weil sich den Bundesländer-Regierungen bei aller beteuerten Staatsferne viele Einflussmöglichkeiten bieten. Dass alle Landtage jeder Rundfunkbeitrags-Erhöhung zustimmen müssen und, falls es einer nicht tut, das Bundesverfassungsgericht einschreitet, zeigte sich 2020/21. Dass die Kontrolle der Anstalten durch ehrenamtliche Gremien-Mitglieder, die von Bundesländer-Regierungen bestimmt werden und aus der Politik kommen, krasse Fehlentwicklungen jahrelang verschlafen kann, zeigten 2022 die Affären beim RBB.

Eines der Probleme: Bis Medienstaatsverträge (was inzwischen oft eine Kurzform für "Medienänderungsstaatsverträge" ist) neue Regeln setzen, dauert es. Der im Herbst '22 unterschriebene 3. MÄStV beruht auf 2016 aufgenommenen Beratungen der Länder-Arbeitsgruppe "Reform des Auftrags und der Struktur". In Kraft treten wird er im Frühjahr 2023 – sofern alle 16 Landtage nochmals zugestimmt haben. Auf die im RBB zutage getretenen Probleme konnte der Vertrag also gar nicht reagieren. Auch wenn Heike Raab, die als rheinland-pfälzische Medien-Staatssekretärin zu den wichtigsten Medienpolitikern gehört, den MÄStV  für "zeitgemäß" erklärt, da schon lange geplant war, die Kontroll-Befugnisse der Gremien zu erweitern. Dafür müssten die bisherigen "Abnick"-Gremien allerdings ein anderes Selbstverständnis entwickeln als sie bislang zeigten.

Als die Aufmerksamkeit um den Skandal nachließ, fachte Tom Buhrows vielbeachtete Rede im Hamburger "Übersee-Club" (Altpapier) sie nochmals an. U.a. sagte der nochmalige ARD-Vorsitzende:

"Um etwas zu verändern, brauchen Sie die Einstimmigkeit der Länder. Aber gleichzeitig hat natürlich jedes Bundesland individuelle Interessen. Diese Interessen bestimmen den Blick jeder Staatskanzlei. Jede einzelne Staatskanzlei findet genau zwei Sender gut: Alle sind vom ZDF überzeugt. Denn jede Landesregierung entsendet eine Vertreterin oder einen Vertreter in die Aufsichtsgremien des ZDF. Sie weiß, was da passiert. Sie sieht, wie verantwortungsvoll dort mit Geld umgegangen wird. Die zweite Anstalt, für die man besonderes Verständnis hat, ist die eigene Landesrundfunkanstalt aus der ARD. Da ist man mindestens mit Beobachterstatus vertreten, man weiß auch, wie dort kontrolliert wird und wie die Budgets aussehen."

So sehr sich Buhrow vorwerfen lässt, als Intendant der größten ARD-Anstalt WDR sich lange Jahre für Reformen nicht interessiert zu haben, bleibt es ein Verdienst, die Diskussion 2022 vorangetrieben zu haben. Ohne dass die Bundesländer ihre interessengeleitete Medienpolitik ändern, wird es zu sinnvollen Öffentlich-Rechtlichen-Reformen nicht kommen. Im Weg steht  das Einstimmigkeitsprinzip. Im November ("FAZ") machten die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner und der Medienrechtler Karl-Eberhard Hain einen Vorschlag:

"Ein interföderaler Staatsvertrag sollte die Basis für die Umsetzung der Reform in den Ländern bilden. Damit Blockaden einzelner Länder aus Eigen- und Standortinteressen unterbleiben, wäre es sinnvoll, dass die Länder sich zuvor staatsvertraglich darauf einigen, für diese Reform vom Einstimmigkeitsprinzip abzuweichen und mit (qualifizierter) Mehrheit zu entscheiden. Möglich wäre dieser Weg. Viele Akteure und Kommentatoren werden indes sogleich reflexhaft abwinken. Dessen sind wir uns bewusst. Aber in dieser existenziellen Krise kann die Zukunft des für die freiheitliche Demokratie so bedeutenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gesichert werden, wenn alles beim Alten bleibt."

Anzeichen dafür, dass Länder sich darauf einlassen, gab es öffentlich nicht, eher Anzeichen fürs Abwinken. Hinter den Kulissen wird aber offenkundig gestritten. 

Die Landesmedienanstalten und ihre Baustellen

Regelmäßige Altpapier-Leser wissen es, für die breite Öffentlichkeit ist's erklärungsbedürftig: Landesmedienanstalten sind – anders als die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten – Behörden zur Medienaufsicht. Aber überhaupt nicht über öffentlich-rechtliche Medien, sondern über alle anderen. Als dieses Konstrukt entstand, hatte es seine Berechtigung. Seinerzeit in den 1980ern gab es das Internet noch kaum, und privater Rundfunk legte in Deutschland erst los. Dessen Kontrolle war und ist noch immer die Hauptaufgabe der Medienwächter. Die Rede war vom "Dualen System" privater und öffentlich-rechtlicher Sender. Das ist längst überholt: Konkurrenz etwa zwischen der ARD und dem privaten RTL interessiert kaum noch außerhalb der Programmdirektionen (die dann eine weitere Verflachung des Programms beschließen). Brisanter ist die Rivalität etwa zwischen ARD-Internetauftritten und Portalen privatwirtschaftlicher Presseverlage (die sich nicht immer zu Unrecht über die rundfunkbeitragsfinanzierte "elektronische Presse" beschweren). Noch viel brisanter ist die Rolle übermächtiger Plattformkonzerne. Google und sein Youtube, Facebook und sein Instagram sind einerseits faktisch Infrastrukturen. Wer dort kaum gefunden wird, erreicht große Teile des Publikums nicht. Praktisch sind es, andererseits, turbokapitalistische Konzerne mit Sitz meist in Kalifornien, die durch geschäftsgeheime Algorithmen auch in Deutschland Milliardengewinne erzielen und natürlich eigene Interessen verfolgen.

Solche Herausforderungen sind den Medienanstalten, die in jedem Bundesland etwas anders ticken (deren Chefposten aber stets von den Landesregierungen nach politischem Gusto vergeben werden), inzwischen bewusst. Der erste MStV, der 2020 die RStVs ablöste (und so signalisierte, dass Rundfunk nicht mehr das einzige elektronische Massenmedium ist) hat

"Vorgaben für Intermediäre geschaffen und deren Durchsetzung in die Hände der Medienanstalten gelegt. Das ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert und wichtig: Erstens haben die Länder damit als Vorreiter in Europa die Bedeutung von Intermediären für die Meinungsbildung nicht nur erkannt, sondern die notwendigen regulatorischen Konsequenzen gezogen."

So loben sich die Medienanstalten selbst in ihrem "Vielfaltsbericht" 2022 (PDF, hier: S. 28). Offensichtliches Problem: Im echten Leben spricht niemand von "Intermediären". Gemeint sind die quasimonopolistische Suchmaschine Google, ihr Videoportal Youtube und Plattformen wie Facebook und  Tiktok, aber auch Angebote auf internetverbundenen, "smarten" Fernsehgeräten. 2022 bestimmten die Anstalten in einem "in Europa einmaligen Verfahren diejenigen Angebote, die in besonderem Maße zur Meinungs- und Angebotsvielfalt beitragen" und daher "Public Value" besitzen. Diese Angebote müssen künftig "auf Smart-TVs und anderen Benutzeroberflächen für Nutzerinnen und Nutzer leichter auffindbar sein". Was allerdings bei rund 250 "wertvollen" Angeboten, zu denen so gut wie alle privaten Sender zählen, nicht leicht ist. Zumal die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Angebote ja auch Public Value besitzen und auffindbar sein müssen.

Ob solch gut gemeinter, kaum praktikabler Aktionismus zu Konsequenzen führt, kann spannend zu beobachten sein. Auf das größte Problem machen die Medienwächter selbst aufmerksam:

"Ob der MStV in seiner jetzigen Form erhalten bleibt, wird nach der Verordnung über digitale Dienste in Europa abzuwarten sein. Letztlich werden vermutlich auch Gerichte in langwierigen Verfahren eine Entscheidung treffen müssen."

Wie praktikabel der deutsche MStV ist, ist die eine Frage. Die übergeordnete andere lautet: Wird EU-Recht medienpolitisch deutsches Länder-Recht ausstechen?

Baustelle DMA/DSA

Die erwähnten EU-Gesetze DMA und DSA, gerne pompös als "Grundgesetz für das Internet" bezeichnet, wurden 2022 vom EU-Parlament verabschiedet. Vollständig wirksam werden sie erst Anfang 2024. Ab dann wird sich zeigen, wie genau sie sich auswirken. Doch werden erste Weichenstellungen (netzpolitik.org) und 2023 gespannt erwartet. Nur zum Beispiel Antworten auf die gerade oft gestellte Frage, ob die EU die vom Eigentümer Elon Musk laufend neu erschütterte Plattform Twitter so zu fassen kriegt.

An der grundsätzlichen Richtigkeit der Idee lässt sich kaum zweifeln: Googles und Facebooks Angebote funktionieren fast auf der ganzen Welt. Das zählt zu ihren Reizen und macht ihre Marktmacht aus. Die EU als noch immer größter Binnenmarkt kann den abermilliardenschweren (und in vielen Belangen von der US-amerikanischen Regierung unterstützten) Konzernen viel eher entgegentreten als Anstalten deutscher Bundesländer, deren Prinzipien spätestens im Ausland kaum wer versteht. Bisher brauchten internationale Konzerne die deutschen Medienwächter schon deswegen kaum ernst zu nehmen, weil sie ihren EU-Hauptsitz fast alle in Irland haben, dessen Regierung sie mit Steuervorteilen und niedrigsten Datenschutz-Standards anlockte. Das Herkunftslandprinzip, dem zufolge für Unternehmen in der EU die Gesetze des Staates, in dem sie sitzen, gilt, zählt zu den EU-Prinzipien.

Baustelle EMFA

Nicht genug dieser beiden Acts. Die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen brachte 2022 noch einen Act auf den Weg: das Medienfreiheitsgesetz EMFA. Klingt gut, wer wäre gegen Medienfreiheit? Dass in Ungarn, aber auch in Polen (wo etwa ausländische Unternehmen, auch solche aus der EU, gedrängt wurden, ihre Zeitungen oder Sender an polnische Eigentümer zu verkaufen) Gefahren für die Medienfreiheit bestehen, liegt auf der Hand. Doch auch dieser Act muss auf den komplexen Wegen der EU-Gesetzgebung beschlossen werden. Gewähr dafür, dass eine Mehrheit die Lage so sieht wie Deutschland, besteht 2022 weniger denn je. Und dann muss der Act umgesetzt werden – voraussichtlich durch eine EU-Behörde mit Durchgriffsrecht in die Mitgliedsstaaten.

Nachvollziehbar, dass 2022 gerade aus Deutschland Kritik kam. Der Bundesrat, also die Bundesländer griffen zum ziemlich scharfen Schwert einer "Subsidiaritätsrüge" gegen die Kommissions-Pläne. "Der 'Media Freedom Act' fördert die Pressefreiheit nicht, er untergräbt sie", meinen die Presse-Interessenvertretungen wie der BDZV, die im deutschen Internet gerne belächelt werden, in der Sache aber oft recht haben. Und der emeritierte Medien-Professor Otfried Jarren brachte in "epd medien" (nicht online, vgl. Altpapier) auf den Punkt, dass die EU vor allem von "Diensten" spricht und journalistische Nachrichten-Medien neben allen anderen Internet-Angeboten gleichrangig mitmeint:

"Die Ökonomie, nicht die Publizistik, ist der Treiber für die EU-Aktivitäten."

Auch gut gemeinte EU-Gesetze können dauerhaft dem ursprünglichen Ansatz entgegengesetzte Folgen haben. Das zeigt noch immer die Datenschutz-Grundverordnung. Statt Nutzern Kontrolle über ihre Daten zu geben, nervt die DSGVO sie durch immer noch abenteuerlicher formulierte Consent-Kästchen. Entnervte Betreiber von Blogs gaben auf, während Datenkraken-Konzerne, die aus ihren Gewinnen teure Rechtsabteilungen bezahlen können, schon dadurch gestärkt  wurden, dass ihren AGB fast immer alle zustimmen. Wenn Gremien wie der EU-Datenschutzausschuss mit jahrelanger Verspätung Auswüchse mühsam korrigieren, hilft das begrenzt. Viel Anlass, medienpolitisch Vertrauen in die EU zu setzen, besteht leider nicht. In den blumig betitelten Ressorts der EU-Kommission ("Werte und Transparenz", "Wirtschaft und Währung") kommen die "Medien" gar nicht ausdrücklich vor.

Baustelle NetzDG

Und dann ist da noch die Bundesregierung. Kulturstaatsministerin Claudia Roth trägt zwar ein "für Medien" in ihrem Titel, kümmert sich aber eher noch weniger um sie als ihre Vorgänger. Der "Digital-Gipfel" erzeugte im Dezember kaum Echo.

Und doch betrifft besonders ein wichtiges Bundes-Gesetz die Nutzung digitaler Medien: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017, als Heiko Maas noch Bundesjustizminister war, wurde mehrmals nachgebessert. Viel Hoffnung wurde in die noch von der letzten Merkel-Regierung beschlossene, seit Februar 2022 aktive "Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" mit 200 Beamten beim Bundeskriminalamt gesetzt. Der müssen Plattformen mutmaßlich strafbare Inhalte melden, statt sie bloß zu löschen. "150.000 neue Strafverfahren" erwartete das BKA im Januar. Kürzlich stand in der "SZ":

"Das BKA teilt mit, bis Ende Oktober seien gerade einmal 3400 Inhalte gemeldet worden, in 1700 Fällen hätten Ermittlungen eingeleitet werden können."

Ein Grund: Google und Facebook hatten gegen die NetzDG-Novelle geklagt, unter anderem wegen der datenschutzrechtlich in der Tat höchst zweifelhaften Regel, dass außer womöglich strafbaren Inhalten auch die IP-Adressen derjenigen, die sie posteten, ans BKA übermittelt werden sollen. Das Verwaltungsgericht Köln gab den Klagen recht, allerdings mit Blick auf EU-Recht. Daraufhin schloss das Bundesamt für Justiz mit den Konzernen (und mit Twitter auch, wie der umtriebige Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun zutage förderte), ein Stillhalteabkommen bis zur weiteren rechtlichen Klärung. Ob eher durch höhere deutsche Instanzen oder durch künftig übergeordnetes EU-Recht – einstweilig unklar.

Sonstige Baustellen

Im Februar verkaufte es Innenministerin Nancy Faeser als Erfolg, dank Googles und/oder Apples Appstore E-Mail-Kontakt zu Telegram in Dubai bekommen und etwa die Löschung des Kanals von Attila Hildmann erreicht zu haben. Die erste NetzDG-Fassung hatte schlicht nicht vorausgesehen, dass Telegram sich vom Messengerdienst auch zu einer Plattform mit Kanälen wandelte. Das Internet entwickelt sich wesentlich dynamischer als die Gesetze. 

Was der Innenministerin gelang: den Cybersicherheitsbehörden-Chef Arne Schönbohm loszuwerden – unter unklaren Umständen, zu denen eine von ZDF-Entertainer Böhmermann breit publik gemachte Kampagne gehörte. Ein von Schönbohm unterstützter Verein soll problematische Kontakte zu Russland unterhalten haben. Belegen ließ sich das nicht. Insofern geht das Loswerden zu Lasten der Steuerzahler, die das stark erhöhte Gehalt Schönbohms auf seinem neuen Posten tragen müssen. Ob Kritik Schönbohms an den EU-Plänen zur "Chatkontrolle" (vgl. den von Reportern ohne Grenzen, Chaos Computer Club u.v.a. unterstützten Aufruf "Chatkontrolle Stoppen! Kinderschutz statt Massenüberwachung") ihm Faesers Gegnerschaft einbrachte, dürfte sich 2023 deutlich zeigen.

Natürlich spielten Russland-Fragen im Jahr des Angriffskriegs gegen die Ukraine eine Rolle. So wurden die russischen Propaganda-Sender RT/ Russia Times gleich doppelt verboten – vor Kriegsbeginn von der Berlin-Brandenburger Landesmedienanstalt aus formalen Gründen, die MEDIEN360G hier erklärt (und die zur Folge haben könnten, dass französisches Auslandsradio, weil es inzwischen direkt aus Steuern statt durch Rundfunkgebühren finanziert wird, ebenfalls untersagt werden müsste, wie dem "Tagesspiegel" auffiel). Wirkungsmächtiger war das Verbot nach Kriegsbeginn durch die EU –  allerdings nicht sehr wirkungsmächtig. Wie leicht RT-Inhalte noch im November zu erreichen waren, zeigte correctiv.org und machte der Bundesnetzagentur (die trotz ihres Namens bislang wenig mit den Medien zu tun hat, sondern 2022 vor allem durch Aktivität rund um die Gasnetze Aufmerksamkeit erhielt) Vorwürfe.

Gewiss hatten russische Staatspropaganda vor allem 2021 überproportionalen Einfluss, der dann zurückging – vor allem, weil Youtube, dessen Algorithmen die geschickt darauf ausgerichteten RT-Inhalte zuvor häufig vorgeschlagen hatten, RT-Kanäle in Deutschland und EU-Europa sperrte. Das war aber schon 2021, unabhängig von anderen Verboten, auf Grundlage von Googles AGB, aus Corona-Gründen geschehen.

Ausblick

Medienprofessor Jarren schrieb im erwähnten Text:

"Von einer positiven Mediengrundordnung - wie vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den Rundfunk verlangt - zur Gestaltung des sich etablierenden digitalen Kommunikationssystems ist Deutschland weiter entfernt denn je. ... Die mit der Digitalisierung und Plattformisierung verbundenen Veränderungsprozesse werden in ihren demokratiepolitischen Folgen zu wenig beachtet und bearbeitet."

Dieser finsteren Analyse hinzufügen lässt sich, dass die Dysfunktionalität 2023 noch zunehmen dürfte, weil erst mal geklärt werden muss, wer genau die neuen EU-Gesetze in Deutschland umsetzt und wie sie sich zu älteren, den medialen Entwicklungen oft hinterherhinkenden deutschen Gesetzen verhalten. Es wird noch so manche jahrelangen Prozesse geben. Zwar haben längst nicht alle Betroffenen die Geduld und das Geld, sich auf den Rechtsweg durch die Instanzen zu begeben. Aber gerade die US-amerikanischen Plattformkonzerne (und womöglich das chinesische, in der EU ebenfalls in Dublin ansässige Tiktok) haben sie. Viel Grund für Vertrauen in die Medienpolitik gibt es gerade nicht – außer vielleicht einem: Eine Gemengelage aus teils ziemlich alten, teils noch halbgaren neuen Gesetzen, die von unterschiedlichen Ebenen erlassen wurden und so oder so durchgesetzt werden sollen, könnte unabhängigen, innovativen Medien mehr Möglichkeiten zur Entfaltung bieten als perfekte staatliche Regulierung aus einem Guss.