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Das Altpapier am 09. August 2019Wenn Sie das schreiben ...

Eine neue Studie zeigt, wie Anwälte mit "presserechtlichen Informationsschreiben" Medienberichte verhindern wollen. Aktuelles Beispiel: Kollegah, der im Urlaub zur großen Medienkritik ausholt. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Die AutorinKathrin Hollmer

Am Donnerstag haben der Medienrechtler Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund und der Journalist Daniel Moßbrucker ihre Studie "Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!" vorgestellt, die sie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung und der Gesellschaft für Freiheitsrechte erstellt haben. Die gute Nachricht: Anwält_Innen gelinge es, so das Ergebnis der Studie, "(noch) nicht", "Berichterstattung im Vorfeld durch Drohschreiben unmittelbar zu unterbinden". Versuche, in die Berichterstattung einzugreifen, gibt es aber durchaus, vor allem von Prominenten und Unternehmen, die mit "presserechtlichen Informationsschreiben" verhindern wollen, dass Medien Informationen – selbst oder übernommen aus anderen Berichten – verbreiten.

Vor allem im Boulevardjournalismus werden solche Drohschreiben – Journalisten empfinden der Studie zufolge die Schreiben mehrheitlich als Drohung – eingesetzt und zeigen laut Studie dort "aus Sicht der Anwält:innen regelmäßig auch gewünschte Effekte". Der Boulevardjournalimus reagiere "noch häufig wie gewünscht auf die Schreiben", erklärte Moßbrucker im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Die in dieser Nische arbeitenden Redaktionen wögen allerdings nur ab, ob es sich lohne, eine Berichterstattung wirtschaftlich in Kauf zu nehmen."

 "Der von ihnen ausgehende Effekt gegenüber investigativ recherchierenden Medien ist (...) als gering einzustufen, weil sich die Journalist:innen in aller Regel nicht grundsätzlich abschrecken lassen. Vielmehr sind sogar gegenläufige Effekte feststellbar, sodass die Schreiben erst den Anstoß geben, um vertieft zu recherchieren",

heißt es in der Studie. Im Investigativbereich dagegen seien die Einschüchterungsversuche wirkungslos.

"Eher Entwarnung" attestiert darum die Taz der Studie ("Der Titel der Studie ist am dramatischsten").

Dabei sind allein Einschüchterungsversuche besorgniserregend, weil sie zeigen, wie Protagonisten mit Fakten umgehen, die ihnen nicht passen.

Aktuelles und prominentes Beispiel: Kollegah. Ein Rechercheteam von VICE und Buzzfeed News hat Ende Juli die Ergebnisse seiner Undercover-Recherche über das "Mentoring-Programm" ("Alpha Mentoring") von Kollegah veröffentlicht. Ihr Urteil, zu dem sie gemeinsam mit Experten kommen: Das Programm erinnere an "Gehirnwäsche-Coachings", von einer Teilnahme raten sie ganz klar ab. Buzzfeed und Vice, dem Bericht zufolge auch weitere Medien wie der Axel Springer Verlag und die Süddeutsche Zeitung, bekamen daraufhin teils präventiv Abmahnungen.

Daniel Drepper, Chefredakteur von Buzzfeed Deutschland, und die beiden Autoren Paul Schwenn und Johann Voigt haben dazu gestern einen weiteren Beitrag veröffentlicht, mit der langen, aber durchaus wirkungswollen Überschrift:

"Kollegah mahnt unsere Undercover-Recherche zum 'Alpha Mentoring' ab, aber wir lassen den Artikel online" 

Weiter heißt es in dem Beitrag, in dem es auch darum geht, ob der Geschäftsführer der Beratungsfirma, mit der Kollegah arbeitet, Philipp-Plein-Hemden trägt:

"Kollegah und seine Geschäftspartner haben in den vergangenen Tagen elf Abmahnungen an BuzzFeed News Deutschland und VICE verschickt. In den Abmahnungen behaupten Anwälte, unsere Undercover-Recherche zu Kollegahs ‚Alpha Mentoring‘ würde in Persönlichkeitsrechte eingreifen und wäre üble Nachrede und Diffamierung."

Kollegah selbst meldete sich bereits zwei Tage nach dem ersten Bericht mit einer Video-Botschaft aus dem Urlaub, in dem er den Bericht als "hetzerisch" bezeichnet und gleich generell zur großen Medienkritik ausholt. "Objektive Berichterstattung ist eine absolute Seltenheit und ein Wohlwollen der Presse ist eine Illusion", sagt er in dem knapp 40-minütigen Video. Beim Telefoninterview, das er 1Live gegeben hat, ließ er sich filmen. Den Mitschnitt veröffentlichte er und verglich das gesamte Gespräch mit den O-Tönen, die schließlich in der Sendung zu hören sind.

Die Auswahl relevanter Zitate ist halt nun mal Aufgabe von Journalisten und nicht der interviewten Personen, die Veröffentlichung der Telefonate dürfte sogar strafbar sein.

Aber zurück zur Studie, interessant ist auch, mit welch "subtilen" Möglichkeiten Anwält_Innen und die jeweiligen Klient_Innen versuchen, Berichterstattung in eine andere Richtung zu lenken, statt sie zu verhindern. In der @mediasres-Kolumne im Deutschlandfunk sagt Moßbrucker:

"Die Medienkanzleien werden viel freundlicher in den letzten Jahren. Sie bieten Hintergrundgespräche an, sie antworten auf Fragenkataloge deutlich ausführlicher als noch vor drei, vier Jahren. (...) Wenn man weiß: 'Okay, wir werden es nicht schaffen, diese Geschichte komplett zu verhindern, dann möchten wir ihr wenigstens so gut wie möglich unseren Spin mitgeben.' Das gehe sogar so weit, dass Kanzleien versuchen würden, Medien gegeneinander auszuspielen – indem Informationen an Konkurrenten weitergegeben und so durchgestochen würden, dass sie für die Mandantinnen und Mandanten am besten sind."

Bei unerfahreneren oder freien Journalisten sollen die Warnungen "ihre beabsichtigte Wirkung" erzielen, heißt es in der Studie.

Die Taz relativiert:

"Die Studie fand auch keine Belege für die These, dass gerade freie Journalisten nicht mehr wagen, heikle Recherchen gegen finanzstarke Akteure anzupacken. Der Grund hierfür ist aber banal: Freie Journalisten werden in der Regel so schlecht bezahlt, dass sie sich aufwendige investigative Recherchen eh nicht leisten können."

Das werden sie auch nicht, wenn sie mit Drohungen und Gerichtskosten rechnen müssen – gegen finanzstarke Unternehmen und Prominente. Das gilt auch für kleine Verlage. Im Tagesspiegel wird dazu Sarah Lincoln vor der Gesellschaft für Freiheitsrechts zitiert:

"'Wenn Verlage klein beigegeben, anstatt presserechtliche Streitigkeiten vor Gericht anzufechten, ist das gleich zweifach fatal.' (...) Zum einen gefährde dies die kontinuierliche kritische Berichterstattung, zum anderen komme es zu einer Verschiebung des Presserechts zulasten der Pressefreiheit."

Altpapierkorb (Medienstaatsvertrag, Pressefreiheit in Fretterode, Gebührenüberschüsse und Täterherkunft):

+++ Bis heute können sich die Länder zum zweiten Entwurf des Medienstaatsvertrags von Anfang Juli (siehe Altpapierkorb von letzter Woche) äußern, der bis Ende des Jahres beschlossen werden soll. Umstritten unter den Ländern ist die sogenannte "Plattformregulierung". In der FAZ schreibt Helmut Hartung, Chefredakteur von Medienpolitik.net, dazu in einem Gastbeitrag:

"Die Regulierung von Medienintermediären (wie Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken, Anm.) ist unter den Ländern weiter umstritten. Vor allem ist man sich nach den Erfahrungen mit dem neuen EU-Urheberrecht des schmalen Grats zwischen der Sicherung der Meinungsvielfalt und der Einschränkung der Informationsfreiheit bewusst. Den Vorwurf, Zensur auszuüben, wollen die Länder um jeden Preis vermeiden. So sind keine Upload-Filter geplant."

Bei Medienpolitik.net selbst meldet sich Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender von eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. zu Wort – der, wie mehrere Wirtschaftsverbände, mit dem Entwurf nicht zufrieden ist.

+++ "In Fretterode stand (...) nichts weniger als die Demokratie auf dem Spiel", schreibt Alexander Nabert in der Taz. Dort haben Polizisten Journalisten bedroht, statt sie gegen Rechtsextreme, die sie bei der Arbeit behindern wollten, zu verteidigen. "Eine Katastrophe", kommentiert Nabert.

+++ Trotz eines Überschusses von 25,6 Millionen Euro fordert der BR höhere Beiträge. Wie das zusammenpasst, erklärt mit Albrecht Frenzel, Vorsitzender der ARD-Finanzkommission, im Tagesspiegel.

+++ Ob man die Herkunft von Tätern nennen soll, darf oder muss, ist gerade wieder häufig Thema in den Medien (siehe Altpapier), in ihrer Kolumne Heimatkunde bei Spiegel Online schreibt Ferda Ataman (die sich wundert, auf welche Fragen Claus Kleber so kommt): "Zur 'Wahrheit' gehört die ethnische Zugehörigkeit aber offenbar nur bei straffälligen Migranten – bei kriminellen Volldeutschen nicht. Oder haben Sie schon mal gelesen, 'christliche Deutsche geben sich als falsche Polizisten aus und zocken Rentner ab'?" Die meisten würden vermutlich sagen: Was hat das damit zu tun? Genau. Nichts. Warum sollte das bei Ausländern anders sein?"

+++ Im Altpapier von gestern war die Sperrung des regierungskritischen Portals Bianet schon Thema, die SZ updatet heute auf der Medienseite, dass Bianet laut eines Gerichtsdokuments bloß "irrtümlich" gesperrt worden sei.

+++ Im aktuellen Journalist beschäftigt sich Andreas Maisch mit Journalisten, die über Entwicklungshilfe berichten und sich von Organisationen einladen lassen, um über entsprechende Projekte zu berichten – ohne das als Pressereise kenntlich zu machen. Glaubwürdigkeit werde damit aufs Spiel gesetzt.

+++ Zwei Wochen nach dem Interview von Thomas Seitel, dem neuen Lebensgefährten von Helene Fischer, mit dem Zeit Magazin (€) hat Mats Schönauer bei Übermedien eine Presseschau über die Reaktionen der Klatschpresse auf das Interview zusammengestellt. Spoiler: "Auf die Schamlosigkeit der Klatschmedien ist Verlass."

+++ Im Interview mit DWDL erklärt Sat.1- Geschäftsführer Kaspar Pflüger, wie Big Brother (jetzt auf dem Campingplatz statt im Container oder Haus) den Vorabend retten soll.

+++ Mit dem Einstieg der New Yorker Investmentfirma KKR in den Springer-Verlag (wenn man ihn noch so nennen will, denn: "Der Springer-Verlag ist längst kaum mehr ein 'Verlag'. Schließlich hat er die meisten gedruckten Medien verkauft (...)") und dem System Bild-Zeitung beschäftigt sich Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Medienkolumne auf Evangelisch.de.

Neues Altpapier gibt’s am Montag. Schönes Wochenende!