Das Altpapier am 19. Mai 2020Feministische Zeitung mit vier Großbuchstaben
Jokos und Klaas’ ProSieben-Aktion gegen Sexismus schlägt viele Wellen – und wird von den erstaunlichsten Seiten unterstützt. Ein Altpapier von Jenni Zylka.
Inhalt des Artikels:
Pussies für die Dickpickschicker
Dass Sie letzte Woche "Männerwelten" gesehen haben, entweder bei ProSieben oder irgendwo anders, davon gehe ich jetzt mal aus – der 15minütige Sexismus-und Misogynie-Erlebnisbericht inklusive Dickpics-Ausstellung und Chatbeleidigungslesung wurden allein auf Instagram über 18 Millionen Mal, und auf YouTube über 3,6 Millionen Mal angeklickt, im Fernsehen schauten angeblich zwei Millionen Haushalte zu.
Die Produktion, für deren Sendezeit das Komikerduo Joko und Klaas vorher ihren Haussender besiegt hatte, strahlte ProSieben zwei Tage später ein weiteres Mal aus. Auch der letzte Ignorant, der behauptet, ihm sei neu dass ungefragt und anonym verschickte Dickpics schon lange männliche Leserbriefe an Frauen zu ersetzen scheinen, müsste also jetzt endlich betreten schweigen. Und sich lieber mit der Frage beschäftigen, warum Frauen niemandem ungefragt Pussypics schicken. (Ich finde ja, man sollte jedem Dickpicschicker das Postfach mit einer viel effektiveren Form von Pussypics, Katzenbildern nämlich, vollspammen. Hier sind ein paar besonders ekelhafte, von der furchtbar schlecht gelaunt aussehenden, nackten UND unbehaarten Sphynx-Katze.)
Die schärfsten Kritiker der Elche...
Sämtliche Zeitungen haben über die – zumindest was die Reichweite betrifft – extrem erfolgreiche Joko+Klaas-Aktion berichtet, eigentlich durchweg positiv: "Es ist eine eindrückliche, wichtige Mini-Sendung über sexuelle Belästigungen, die Frauen widerfahren" schreibt die Zeit. Und weist darauf hin, dass die größten Kritiker der Elche früher selber welche waren. Zur Erinnerung: Joko hat vor acht Jahren aufgrund einer Fernseh-Wette mit Klaas einer unbekannten Frau auf einer Messe vor laufender Kamera ungefragt an die Brüste gefasst. Aufgefordert worden war er von Klaas mit den Worten "Fass ihr einmal an die Moppelklampen und zweimal an den Arsch". Klaas lies sich danach grinsend darüber aus, wie entwürdigt sich die Frau danach gefühlt haben müsse, und dass sie vermutlich stundenlang unter der Dusche heulen würde.
Auch die Bildzeitung hatte nach dem erfolgreichen Misogynie-Bashing der beiden neuentdeckten Feministen gefragt: "Wurde bei der Anti-Sexismus-Show nicht etwas vergessen?", und auf das Gegrapsche gegenüber der Messe-Hostess hingewiesen, für das sich die beiden zwar bereits entschuldigt haben, allerdings interessanterweise komplett ohne das Wort "Sexismus": "Wir haben kein Taktgefühl bewiesen und lustigen Quatsch mit fahrlässigem, beleidigendem Schwachsinn verwechselt", so werden die Spaßvögel von der Bildzeitung zitiert.
Rasierte Branche
Vorher, in ähnlichen Formaten, hatten Joko und Klaas ihre Wetten des Öfteren auf der Venus-Erotikmesse oder bei der Verleihung des "Porno-Oscar" durchgeführt. Klaas hatte Joko etwa dazu verdonnert, zur allgemeinen Gaudi ein Schamhaar zu besorgen – in einer untenrum größtenteils sphynxkatzenmäßig kahlrasierten Branche gar nicht so einfach.
Oder die beiden hatten in der Rubrik "Aushalten" zwei Erotikdarstellerinnen auf ihren Gesichtern Platz nehmen lassen, eine als "Facesitting" bekannte Technik, die im BDSM-Bereich oft mit dem Thema Asphyxie verbunden wird. Klaas verlor die Wette, weil er anscheinend doch kein waschechter Asphyxist ist, und unter den Frauenschenkeln Atemnot bekam.
Pimmelhumor ändert keine Machtverhältnisse
Der Pimmelhumor der beiden kleinen Jungs macht mir nichts aus – von mir aus können sie stundenlang versuchen, hartgesottenen Erotikdarstellerinnen auf den Zeiger zu gehen, und sich gegenseitig unter großem Schullandheim-Gegacker ihre Schamhaare ausrupfen – verklemmt kommen dabei immer nur die beiden rüber.
Und ich glaube tatsächlich, dass Joko und Klaas heute sexuelle Belästigung als ProSieben-Unterhaltungssegment nicht mehr betreiben würden – nicht, weil sie sich für den Zusammenhang zwischen der Objektifizierung von Frauenkörpern, dem Zementieren von Gender-Machtverhältnissen und falschen Sexualitäts-Voraussetzungen, und der möglichen Traumatisierung interessieren, oder gar Empathie entwickeln. Sondern weil sie bauernschlau sind, und die Zeichen der Zeit erkennen.
Und dass die Zeichen der Zeit einen solchen Diskurs bei ProSieben zulassen, und dieser Diskurs es durch das große Social Media-Echo tatsächlich bis in sämtliche bürgerliche und nicht-bürgerliche Ecken schafft, das ist doch eigentlich prima. Daran hätte ich als alte, spaßfreie Emanze ja kaum noch zu hoffen geglaubt.
Bildzeitung ist empört
Allerdings finde ich, dass sich die Bildzeitung als feministisches Empörblatt nicht wirklich gut macht. Denn irgendwie hat sich doch nicht viel geändert: Unter dem Artikel, der Joko und Klaas einen Nasenstüber versetzen soll, kann man sich per Foto davon überzeugen, dass die "Brüste von Martina Big" jetzt soviel wiegen wie "ein Kasten Bier". Und dass das "Page Three Girl" seit zwei Jahren in Unterwäsche, und nicht mehr obenrum NACKT, uiuiui, fotografiert wird, ist für mich nur schwer als Einsicht zu verstehen.
Es gab bezüglich des legendären Sexismus’ im Blatt übrigens einst eine sehr erfolgreiche Kampagne, die zwischenzeitlich Teil der Womenrights-Watch-Organisation "Gender Equality Media" geworden ist - aber was "watcht" die Kampagne eigentlich momentan? Wird coronabedingt weniger gegrapscht, und mehr mit Abstand geschnalzt?
"Catcalls" nennt man übrigens die ungewollte Aufmerksamkeit alias "street abuse", den größtenteils Frauen erleben und erleiden, und es gibt auch dagegen schon einige Kampagnen, eine "kreidet" zum Beispiel das Thema in verschiedenen Städten an, richtig mit Kreide und auf dem Bürgersteig. Aber momentan kann man das Ankreiden schon mal mit den vielen Durchhaltekreidebotschaften verwechseln, die für Jubilare und Jubilarinnen von ihren Freund*innen auf dem Pflaster vor den Fenstern hinterlassen werden.
Abgesehen davon: Auch das Page Three Girl ist unter dem BH NACKT. Genau wie ich unter meiner bollerigen lila Latzhose, Joko unter seinem Anzug, die Perserkatze unter ihrem Plüsch, und die ekelige Sphynx-Katze ohnehin immer. Das kann einen ja ganz wuschig machen, uiuiui.
Altpapierkorb (Spiegel über KenFM, Verschworene Verschörungsmenschen, Urlaubsziele in Corona-Zeit, Pete Townshend)
+++ Der Spiegel berichtet, dass es eine Verbindung zwischen der von den Attacken gegen die ZDF-Berichterstattung betroffenen Fernsehproduktionsfirma und Ken Jebsen gibt – gruselig. Und hier nochmal im Spiegel TV vom Montag – mit einem kurzen O-Ton des ehemaligen NPD-Mitglieds Udo Vogt, der mit den Demonstrant*innen mitmarschiert, die sich über die Diktatur beschweren, die ihnen das Demonstrieren erlaubt. Und Attila Hildmann, dem von einem Zuhörer so doll applaudiert wird, dass man nicht mehr weiß, wie viele Tassen die Beteiligten im Schrank haben, oder ob da überhaupt irgendwelche Tassen stehen.
+++ Bei Xavier waren sie übrigens auch in der gleichen Sendung. Man würde, um nochmal über die Aluhüte zu sprechen, ja auch zu gern wissen, ob Til Schweiger immer noch hinter Naidoo steht.
+++ Ansonsten reden man überall nur über den Sommer und die Katastrophe mit dem ausfallenden Urlaub (hier zum Beispiel die ARD) – denn entspannen kann man sich ja ausschließlich an Stränden anderer Länder, in die man möglichst fliegen sollte, aber ohne Hotelbuffet ist das alles kein Spaß, ay caramba. Die Urlaubsinseln setzen sich jedenfalls für die Errichtung eines "sicheren Tourismuskorridors" ein. Ich plädiere wiederum dafür, dass alle bitte doch einfach nur im Heimatland herumfahren sollten! So hilft man der Wirtschaft, der Umwelt und der Virusbekämpfung.
+++ Und hier noch etwas Schönes: Pete Townshend wird 75, und ist damit nicht gestorben, bevor er alt wurde – andererseits kommt einem der energetische Mann tatsächlich nicht besonders alt vor. Vielleicht lässt sich sein Windmühlengitarrenspiel im Nachhinein noch im Sinne der Ökobewegung umdeuten? Ganz sicher ist das aber nicht – hier redet er etwas zweifelnd über Greta Thunberg...
Neues Altpapier kommt am Mittwoch.
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