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Das Altpapier am 19. April 2021Royaler Kummerbundorden

19. April 2021, 09:51 Uhr

Über die Gründe für das Interesse an der royalen Berichterstattung und über die Kritik am Regenbogen beim ZDF Magazin Royale. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Tschüss, Prinz

First things first: In der fünften und auch der finalen sechsten "The Crown"-Staffel wird Prince Philip von Jonathan Pryce gespielt! Yay! Wie toll ist das denn. Ob das den Verstorbenen gefreut, ob er sich gar geehrt fühlte, ist nicht mehr zu eruieren, das war es auch noch nie – die royale Familie hatte sich offiziell stets fürnehm-desinteressiert an der Netflix-Serie gezeigt. (Heimlich werden sie trotzdem geguckt haben, darauf verwette ich meinen Hosenbandorden. Wenn ich ihn finde, es ist mir irgendwie zwischen Hosenbund und Hosenband gerutscht.)

Und apropos: Über elf Millionen Deutsche haben am Samstag die Live-Übertragungen der Beerdigung des prominenten Hosenband-Mitglieds Prince Philip eingeschaltet. Natürlich auch, um sämtliche anderen Hosenbänder, zum Beispiel die Queen höchstpersönlich, Prince Charles, Prince William etc. etc. zu observieren, und wer denkt, Hosenband klänge nicht nobel genug, dem sei gesagt, dass eine genaue Übersetzung des "Most Noble Order of the Garter", wie er sich im Original nennt, eigentlich "Hochedler Orden vom Strumpfband" heißen müsste und ich bin nicht ganz sicher, ob dann nicht ein paar alberne Journalist:innen unangebrachte Witze darüber machen würden.

Jedenfalls lag das ZDF mit seiner, wie der Tagesspiegel voll des Lobes konstatiert, "nüchternen" Berichterstattung vorn: 4,4 Millionen Zuschauer:innen, 24% Marktanteil, so etwas gab es nicht mehr so ungefähr seit der Schwarzwald-Klinik-Folge "Die Schuldfrage" vom November 1985. Oder seit Fußball. Hier ein O-Ton aus dem Text im Tagesspiegel:

"Je ernster es wurde, desto wohltuender wirkte die nüchterne Konzentration des ZDF auf die reine Zeremonie."

bzw.

"Der Mut zu Momenten der Stille der ZDF-Moderatoren, während der Sarg auf den von Prinz Philip selbst entworfenen Landrover gehoben wurde, passte viel besser zu dem traurigen Ereignis."

Doch wem es ZU still wurde, und die regelmäßigen Kanonenschüsse, gewürzt mit den subtilen, durch die Maske bestimmt noch schwerer zu verstehenden Befehlen an die Sargträger zu bedrohlich, der konnte sich von RTL zuquatschen lassen: Über 3,4 Millionen Royalist:innen (oder schlicht Zeitinteressierte) fanden, dass Guido Maria Kretschmer zusammen mit dem "Adelsexperten" (wie wird man das??!!) Michael Begasse unter der moderatorischen Führung von Frauke Ludowig die Sache mit dem Sarg am besten und gefühlvollsten rockten, um das mal angemessen lax auszudrücken – bei einem Sender, der zum Ende der Zeremonie eine absurde Abstimmung darüber anbietet, ob "die Trauer Harry und William wieder zusammenbringt" (46% der Zuschauenden klickten ja, 44 % nein), darf doch wohl eine gewisser, sensationalistischer Hang zum Boulevardjournalismus gemutmaßt werden.

Hallo, Playmobil-Soldaten

Der Frage, wieso die Beerdigung als Medienereignis auf so viel Zuspruch stieß, und zwar erstaunlicherweise auch in der umschwärmten Zielgruppe der 14 bis 49jährigen Küken, die man normalerweise mit Dudelsackpfeifen, soldatischen Playmobil-Männchen-Bewegungen und Kleriker-Chören jagen kann, ist der Tagesspiegel allerdings noch nicht nachgegangen: Lässt sich das wirklich allein mit zuschauerischer Coronamüdigkeit erklären, mit dem Hunger auf andere Ereignisse? Inwiefern hat "The Crown" das Interesse an diesem pittoresken Blaublut-Haufen von der Insel verstärkt? Und inwiefern haben auch die Fernsehsender einfach Lust gehabt, mal wieder zumindest eine abgespeckte Art Großereignis zu zeigen – ein Anlass, auf den sie schließlich abonniert sind? (Wofür hat man die ganzen Drohnen...) Beim Thema "Blaues Blut, für Sie erklärt" fällt mir übrigens immer Julia von Heinz‘ großartiger absurder Dokumentarfilm "Standesgemäß" ein. (Wen das interessiert: Guckstu hier, Mylord.)

Quo Vadis, Freizeitrevue

Und jetzt nochmal apropos: Eine unterhaltsame Abrechnung mit der Yellow Press und deren Noble News hat Jan Böhmermann gestartet. In seiner Show "ZDF Magazin Royale" kündigte er am Freitag den "Deep Dive in die Medienwelt des letzten Jahrhunderts" an, mit einer Analyse von reißerischen und inhaltlich komplett erfundenen Überschriften aus Friseurblättchen wie "Freizeitrevue" ("exklusive Promi-Geschichten, Reise und Genuss") "Freizeitwoche" und so weiter. Das war natürlich sehr spaßig, wenn auch etwas vereinfacht – ich bin nicht ganz überzeugt davon, dass das Erstarken der Begriffe Lügenpresse und die Fakenews-Vorwürfe der letzten Jahre tatsächlich zu einem messbaren Teil dem skrupellosen Verhalten jener Burda-und-Bauer-Verlagsmenschen zu verdanken ist. Zumindest würde ich gern mal eine echte Freizeitwoche-Leserin (laut Mediadaten ist 71% der Leserschaft weiblich) dazu hören – und sie fragen, ob der schon seit Jahren bekannte Fall mit den Fake-Schauspieler:innen-Interviews (hier ein Artikel im Spiegel dazu von 2016, Sandra Bullock wusste nämlich gar nichts von angeblichen Gesprächen with the German Sparetimeweek) sie überhaupt kratzt.

Indem man diese Klatschblätter mit ihren Helene Fischer- und Graf von Faber Castell-Push-Märchen ins Ziel von Björn Höckes Lügenpresse-Geschossen stellt, gibt man ihnen mehr Bedeutung, als sie verdienen. Andererseits: Klar, die sind dämlich, haben kaum etwas mit Journalismus zu tun und ziehen alten Damen den Sparpfennig aus dem selbstgestrickten Sparstrumpf. Und dass sie sich, wie Böhmermann berichtet, dennoch auf Presseprivilegien wie Quellenschutz berufen, dabei allerdings die Pressepflichten ignorieren, ist unverschämt. Diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, und die Unverfrorenheit der Macher:innen bloßzustellen, ist also richtig. (Hier ein aktueller Podcast bei Übermedien dazu – die haben Böhmermann unterstützt beziehungsweise stammt der Großteil der Expertise von ihnen. Hier erklären sie das nochmal, und geben praktische Anweisungen, hihi:

"Wie wär’s zum Beispiel mit einer Runde Schlagzeilenbasteln? Dabei geben wir Ihnen eine Nachricht – und Sie versuchen, daraus eine freizeitmagazinwürdige Überschrift zu stricken."

Hurra, Kate ist Bi-Color

Aus "Herzogin Kate hat einen grauen Haaransatz" wird so nämlich "Hurra, das 4. Baby!" – die "Neue Post", auch so ein Blättchen, deren Name allein schon zeigt wo der Hammer hängt und vor allem wann er aufgehängt wurde, hatte so tollkühn wie falsch gefolgert, dass der Verzicht aufs Nachfärben des adeligen Schopfes an den in Haarfarbe enthaltenen Chemikalien liegt, die einem Embryo schaden könnten. (Das heißt dann wohl, dass ich eher in die Redaktion des Friseurmagazin "Top Hair" gehöre – meine Überschrift der Wahl wäre: "Kate ist Bi-Color!" Daraus ließe sich aber bestimmt auch noch etwas Tollkühnes ableiten…)

Dennoch: Irgendwie macht man sich mit dem Regenbogenpressebashing auch ein bisschen über die Leser:innen lustig, denen der Unterschied zwischen Zeitung und Käseblatt wahrscheinlich klarer ist, als man denkt. Und diese Wochenzeitungen sind eh nur der Bodensatz. Weiter geht es mit Gala und Bunte, die nicht nur aus heißer Luft plus alten Michael Schumacher-Fotos Fake-Schlagzeilen mixen, sondern tatsächlich Paparazzibilder kaufen und abdrucken, und sich daneben mit scheinheiliger Anteilnahme über Gewichtsveränderungen und Stimmungsschwankungen von Schauspieler:innen auslassen. Kann man da nicht auch mal intervenieren? Aber wahrscheinlich haben die die fähigeren Anwält:innen.

PS: Das von Böhmermann anlässlich seiner Sendung einmalig herausgegebene "Freizeitmagazin Royale" mit "Qualitätstragödien, Schocknachrichten und Horrordiagnosen" über die Macher:innen aus den jeweiligen Verlagen ist übrigens fast überall ausverkauft.


Altpapierkorb (... mit dem Trump-Slump-Bump, Streaming-Plattformen, den Grünen bei ProSieben und dem großen Duzen)

+++ Hier analysiert Peter Weissenburger in der taz nochmal den Zusammenhang zwischen dem abnehmenden Interesse an den Nachrichten in den USA, seit Biden Präsident ist. – man nennt es Trump Bump und Trump Slump.

+++ Wie Streaming-Plattformen von der Krise profitieren, weist die taz hier nach. Ist ja keine Überraschung, aber die Zahlen sind dennoch aussagekräftig.

+++ Dass sich die Spitzenkandidat:innen der Grünen bei ProSieben den Fragen zweier Moderator:innen stellen, berichtet der Tagesspiegel hier. Soll wohl so eine Art Politikoffensive des Privatfernsehens sein, wir sind gespannt.

+++ Die FAZ kommentiert hier das große Duzen im Fernsehen, und sieht einen Zusammenhang zu einer Familienillusion, die mangels Außeneinfluss durch das Fernsehen und sein Programm erstarke. Ich glaube das aber nicht so ganz – und auch der Ikea-Duz-Trend blieb m.E. im Katalog. Außerdem sieze ich prinzipiell alle in meiner Familie, inklusive die feinen Herren Söhne.

Das nächste Altpapier gibt es am Dienstag.

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