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Das Altpapier am 26. Oktober 2022Schlange in Bremse

26. Oktober 2022, 08:44 Uhr

Der Streit um öffentlich-rechtliche Apps geht nach dem Urteil gegen die "Newszone"-App des SWR wohl weiter – fürs Erste aber muss man Informationen über die Influencer Julienco und Tanja anderswo suchen. Öffentlich-rechtliche Ruhegeldregelungen werden kritisiert. Und: ein Preis für eine Altpapier-Autorin. Ein Altpapier von Klaus Raab.

von Klaus Raab

"Newszone" down

Da will man sich als – verglichen mit dem ZDF-Zuschauerdurchschnitt – junger Mensch endlich mal die App "Newszone" des SWR herunterladen, um sich zu informieren, was "Smash" bedeutet. Und dann ist sie nicht mehr da. "Seit diesem Wochenende ist die SWR-App 'Newszone' nicht mehr verfügbar", heißt es seit Dienstagabend auf swr.de unter der ziemlich freshen Überschrift "Newszone-App down!". Intendant Kai Gniffke schrieb den Text sogar selbst, was auf die – wie sagt man’s möglichst jung? – Gravitas der Causa hindeutet.

Nun weigerte sich Gniffke als Chefredakteur in Hamburg nicht, auch mal was Kleines zu schreiben. Dass er selbst bloggt, ist also für ihn nicht so ungewöhnlich. Aber in diesem Fall geht es schon um etwas Größeres, das nur klein aussieht. Es geht exemplarisch um eine Zukunftsfrage (Altpapier vom 14. Oktober) – um die nämlich, was die Öffentlich-Rechtlichen tun dürfen und lassen müssen, nun, da sich die Medienlandschaft nicht mehr so einfach in Print und Rundfunk aufteilen lässt. Und dabei hat der SWR vor dem Landgericht Stuttgart eine Niederlage gegen die klagenden Verlage hinnehmen müssen, weil die Ausgestaltung der App an einem konkreten Tag zu textlastig und damit rechtswidrig gewesen sei (sueddeutsche.de). Nach ein paar Tagen Drüberschlafen hat er nun angekündigt, in die Berufung zu gehen (SWR-Pressemitteilung).

Gniffke schreibt in seinem Text:

"Es tut mir nicht nur als SWR-Intendant leid, dass die Newszone-App jetzt down ist. Vor allem als Staatsbürger bedaure ich, dass diese App zunächst ersatzlos vom Markt verschwindet und damit eine Chance vertan ist, junge Menschen an gesellschaftlich relevanten Themen teilhaben zu lassen".

Als Staatsbürger?! Nun, okay. Als Intendant muss man wohl regelmäßig im erweiterten Begriffsfeld "Demokratie" wildern. Aber als Nicht-Intendant ist man vielleicht dann doch angehalten, den Eindruck zu zerstreuen, dass es sich bei "Newszone" quasi um eine junge "Tagesschau"-App handeln würde. Kleiner Inhaltecheck am Dienstagabend: Im nicht vom Stuttgarter Urteil betroffenen "Newszone"-Bereich auf dasding.de wurde, von links nach rechts, gemeldet:

  • "Konstanz: Nach Unfall: Auto bleibt in zehn Meter Höhe am Baum hängen"
  • "Influencer: Julienco und Tanja: So lief ihr erster TV-Auftritt zusammen" (in einer ARD-Quizshow, übrigens)
  • "Budenheim: Schlange steckt in Autobremse fest"
  • "Stuttgart: Handy geortet, dann Festnahme – Vorwurf: Vergewaltigung"
  • "Twitch: FIFA-Turnier: Eli wirft Kumpfel MckyTV raus – was war los?"

Aber das macht Gniffkes Argumente für die Entwicklung öffentlich-rechtlicher Apps nicht falsch. Dieses Argument, zum Beispiel, ist nach Abwägung aller vorhandenen Dilemmata richtig: "Ein Medienhaus, das solidarisch finanziert ist, muss den Menschen dort ein Angebot machen, wo sie es erwarten." Und ob eine "signifikante Erlössteigerung bei Verlagen zu erwarten" wäre, "wenn wir alle Digitalangebote lassen würden", bezweifelt Gniffke auch nicht unbedingt zu Unrecht. Wobei man das natürlich nicht überprüfen kann, wenn es öffentlich-rechtliche Digitalangebote gibt.

Bis die Angelegenheit juristisch geklärt ist, muss nun freilich wohl wieder "Tagesschau"-Sprecherin Susanne Daubner, 61, für uns junge Leute die Kohlen aus dem Feuer holen.

(Siehe zum Thema "Newszone" auch das Interview, das die Altpapier-Kollegin Annika Schneider für "@mediasres" vom Deutschlandfunk gestern mit Gniffke geführt hat).

Großzügig bis üppig

Am heutigen Mittwochabend steht wieder eine Sendung des NDR-Medienmagazins "Zapp" auf dem Programm, in der es auch wieder um eine ARD-Krise gehen soll. Diesmal steht der Ankündigung zufolge allerdings nicht der NDR im Mittelpunkt, sondern mal wieder der RBB.

Nicht für die Sendung im Fernsehen, für das man bekanntlich bewegte Bilder braucht, scheint dagegen eine Recherche des "NDR-Rechercheteams" (an dem unter anderem auch "Zapp" beteiligt ist) eingeplant zu sein. Sie betrifft das Ruhegeld für die Chefs öffentlich-rechtlicher Sender, das wahlweise als "großzügig" (tagesschau.de vom NDR, "Süddeutsche Zeitung") oder "üppig" (FAZ.net, welt.de) charakterisiert wird.

"Mit sechsstelligen Summen pro Jahr sichern laut NDR einige öffentlich-rechtliche Sender ihre Intendanten und Direktoren für den Fall ab, dass deren Verträge vor Eintritt ins Rentenalter nicht verlängert werden. In manchen Fällen gelte das lebenslang",

so fasst die FAZ in einer Meldung zusammen, was bei tagesschau.de und in einer Agenturnachricht von "epd Medien" ausführlicher steht. Es geht nicht um alle öffentlich-rechtlichen Sender, aber um einige (darunter, neben dem RBB, auch der MDR, bei dem das Altpapier erscheint). Und Christine Adelhardt und Marcus Engert vom NDR-Rechercheteam schreiben:

"Ob die Summen bei ARD und ZDF im Einzelfall angemessen oder überhöht erscheinen, lässt sich nicht immer pauschal beantworten. Zwar blicken Führungskräfte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk häufig auf jahrzehntelange Karrieren zurück und haben so bereits als Hauptabteilungsleiter, Studioleiter oder Chefredakteure hohe Versorgungsansprüche erworben. In der Regel bestehen diese Ansprüche allerdings erst mit dem Eintritt in den Ruhestand."

Man muss also differenzieren, was bekanntlich eh nie schadet. Aber dass die Ruhegeldregelungen einiger Anstalten, die schon für die Zeit vor dem Ruhestand gelten, die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen befördern: Das kann man denen, die sie nun üben wollen, schwerlich krumm nehmen. Zumal zu den neueren Wendungen der Debatte seit der Schlesinger-Affäre gehört, dass solche Kritik verstärkt aus den journalistischen Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen selbst kommt. Um the next aufgeblasenen Umweltsau-Quatsch handelt es sich also nicht.

Im Text von Engert und Adelhardt findet sich ein Hinweis darauf, dass innerhalb der Anstalten Ungerechtigkeits- und Machtfragen im Zentrum der Debatte stehen – in einem Absatz, in dem erst die Privilegien eines RBB-Direktors aufgezählt werden, um sie dann mit denen von Freien zu vergleichen:

"Sogar hinzuverdienen dürfen die rbb-Spitzen. Und werden sie krank, gibt es noch für sechs Monate volles Gehalt, ganz anders als bei frei Mitarbeitenden, die mitunter schon nach wenigen Tagen Einbußen hinnehmen müssen, oder Angestellten, die nach sechs Wochen ins Krankengeld fallen."

Tausendsassa-Preis für Altpapier-Autorin

Marcus Engert hat am Dienstagabend für eine andere Recherche, in der es um Machtfragen ging, einen Preis bekommen – die Besondere Ehrung des Bert-Donnepp-Preises für Medienpublizistik, der vom Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Instituts vergeben wird. Er erhielt ihn zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Juliane Löffler, Katrin Langhans und Daniel Drepper – das ehemalige Investigativteam der Zeitungsgruppe Ippen, das mittlerweile anderweitig untergekommen ist – "für ihre Recherche zum Fall Julian Reichelt bei der Bild-Zeitung, deren Veröffentlichung sie gegen den Widerstand von Verleger Dirk Ippen durchsetzten" (Altpapier). Deshalb ehemaliges Investigativteam der Zeitungsgruppe Ippen.

Der Donnepp-Preis wurde der Altpapier-Autorin und -Kollegin Jenni Zylka verliehen, was, in aller Befangenheit gesprochen, eine schöne Sache ist, auch fürs Altpapier. (Wobei der Preisbegründung zu entnehmen ist, dass sie den Preis auch für andere Tätigkeiten bekommt, nämlich für insgesamtes Tausendsassa-Dasein: "Ob profunde Filmkritik, Konzertreportage oder Medienjournalismus: Jenni Zylka ist immer an der Schnittstelle von Kultur und Gesellschaft unterwegs".)

Aber damit der Journalistenpflicht nachgekommen und ein wenig gemeckert ist: Es gab keine Liveübertragung von ARD, ZDF, Phoenix, Sat.1 und RTL. Mit Jenni Zylkas Garderobe ("Die Kategorie 'overdressed' kenne ich nicht") lässt sich das nicht begründen.


Altpapierkorb (Studie zu geschlechtsspezifischer Fernsehgewalt, ARD Kultur, "Ramstein"-Film, fehlende Perspektiven in der Ukraineberichterstattung, Diskussion mit Precht/Welzer, "Wer weiß denn sowas?")

+++ Helmut Hartung hat für die "FAZ"-Medienseite mit MDR-Intendantin Karola Wille über ARD Kultur (zuletzt Thema im Altpapier vom Dienstag) gesprochen: Was läuft und warum, inwiefern ist Zusammenarbeit mit dem ZDF noch angedacht, und wird’s – weil in Weimar – "ostlastig"?

+++ Bevor dort der Donnepp-Preis verliehen wurde, wurde in der Deutschen Kinemathek in Berlin im Rahmen einer Veranstaltung des Grimme-Instituts über "geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen" diskutiert. Die Basis bildete eine von Ufa und MaLisa-Stiftung geförderte Medieninhaltsanalyse der Hochschule Wismar von acht Sendern, derzufolge in knapp einem Drittel der untersuchten Programme geschlechtsspezifische Gewalt vorkam. Was es nicht gebe: Triggerwarnungen (wie sie in US-basierten Streamingdiensten üblich sind), Hinweise auf Hilfsangebote für Betroffene, Beschreibungen der gesellschaftliche Rahmenbedingungen und eine stärkere Einbeziehung der Betroffenen-Perspektive.

Auf dem Podium saß unter anderem Maria Furtwängler, Mitgründerin der Stiftung und Darstellerin der "Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm. Sie, sagte, Lindholm und die Aktivistin Furtwängler seien "nicht immer konfliktfrei", aber sie könne die Aktivistin "nicht abstellen". Heute könne sie ein "Unbehagen, das ich vielleicht auch schon vor 20 Jahen empfunden hatte, besser verbalisieren und traue mich auch eher, das Problem zu benennen: Deswegen habe ich mit dem Drehbuch an der Stelle ein Problem."

+++ Darüber, welche Perspektiven in der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine fehlen – etwa diplomatische und afrikanische Sichtweisen –, sprachen Vera Linß und Marcus Richter bei "Breitband".

+++ Besprochen wird heute vor allem der ARD-Film "Ramstein – Das durchstoßene Herz", der " kein Katastrophenfilm im üblichen Sinn" sei ("Tagesspiegel"), dessen drastische Szenen allerdings eine "Herausforderung für sensible Zuschauer" darstellen könnten. "Dramaturgische und andere Emotionalisierungskniffe meidet er, Sentimentalitäten gönnt er sich nicht", meint Heike Hupertz in der "FAZ". Und auch Stefan Fischer in der "SZ" ist eher angetan, auch wenn er den Film anfangs "überfrachtet und unentschlossen" findet.

+++ Stefan Niggemeier arbeitet bei "Übermedien" seine Diskussion mit Harald Welzer und Richard David Precht nach.

+++ Alexander Krei bespricht für dwdl.de die 25-stündige Ausgabe von "Wer weiß denn sowas?" (Genau: die mit Julienco-Julian und Tanja!).

(Für die Transparenz: Ich bin Mitglied einer Grimme-Jury.)

Das nächste Altpapier erscheint am Donnerstag.

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