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Das Altpapier am 16. Februar 2018Deniz Yücel kommt frei

Gegen "Pastewka" gibt es den "Verdacht der ungekennzeichneten Produktplatzierung". Die Diskussion über einen ARD-Film wurde von rechten Trollen gekapert. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bereitet das Erscheinen seines neues Buchs vor. Ein guter Tag: Deniz Yücel komme frei, sagt sein Anwalt. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Bewegung, endlich! Deniz Yücel komme frei, meldet Die Welt heute um halb zwölf. "'Endlich hat das Gericht die Freilassung meines Mandanten beschlossen', twitterte Anwalt Veysel Ok. Das Gericht in Istanbul verfügte die Freilassung für die weitere Dauer des Verfahrens. Es wurde keine Ausreisesperre verhängt. Yücel befindet sich einstweilen noch in einem Gefängnisgebäude."

Das ist der Stand um kurz vor zwölf.

Damit zu den weiteren Themen des Tages:

Der AutorKlaus Raab

Am Mittwoch ging es hier um den ARD-Film "Aufbruch ins Ungewisse". "So einen Film aber wie den, der 'Aufbruch ins Ungewisse' hätte sein können, so einen Film sollte dringend jemand mal machen", hieß es etwa über den Film, richtig gute Rezensionen bekam er wahrlich nicht.

Heute ist er Thema bei Übermedien – weil die Diskussion zum Film in den Social Media offensichtlich gezielt gekapert worden ist:

"Das rechtsradikale Troll-Netzwerk 'Reconquista Germanica' (RG) hatte sich darauf vorbereitet. Bereits am 11. Februar hatte es über die Chat-Plattform Discord zu einem gemeinsamen Online-Angriff aufgerufen."

Das hat, wie Übermedien mit dem Datenanalysten Luca Hammer untersucht hat, "ein Stück weit" funktioniert:

"Dass Familie Schneider in dem fiktiven TV-Drama ausgerechnet in Südafrika Zuflucht sucht, skandalisieren die Agitatoren als einen Gehirnwäsche-Versuch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. (…) Die erfolgreichsten, also am häufigsten retweeteten Tweets kamen Hammer zufolge von Accounts, die in Deutschland gesperrt und somit für den normalen Nutzer gar nicht sichtbar waren. Die 'Staatsfunk'- und 'Gehirnwäsche'-Anwürfe der Protagonisten waren dabei so bekannt wie erwartbar. Dennoch: Die Aktion von Mittwochabend ist ein erneutes Lehrstück dafür, wie organisierte Wut im Netz funktioniert."

Dass die Degeto, die den Film machte, von Christine Strobl geleitet wird, die CDU-Mann Thomas Strobls Frau und Wolfgang Schäubles Tochter ist, habe den Agitatoren "Munition geliefert", schreibt Übermedien – und dass man das "durchaus problematisch finden" könne. Andererseits: Soll sie sich vielleicht selbst zur Adoption freigeben?

Auch ein FAZ-Kollege nahm den Film zum Anlass, bei Twitter mal wieder über die "Staatsfernsehoberen" herumzuschwadronieren. Das erwähnen wir aber eigentlich nur deshalb, weil man beim NDR wiederum die KEF wegen "Staatsnähe" (u.a. DWDL) kritisiert. Wenn jetzt noch die KEF die FAZ eine Staatszeitung nennen würde, wäre der Kreis doch schön rund.

So ein Media Markt ist real

Frage nun aber an alle, die die aktuelle achte Staffel von "Pastewka" bereits gesehen haben: Auf dem Parkplatz welchen Unternehmens richtet sich Bastian Pastewka in seiner Rolle als Bastian Pastewka in seinem Wohnmobil häuslich ein?

Glaubt man der Süddeutschen Zeitung, weiß man es, wenn man Folge 4 gesehen hat – weil diese "über weite Strecken in einer Media-Markt-Filiale spielt", vor der Pastewka logiert. "Die Präsenz des Elektromarktes, inklusive gut lesbarer Logos und Werbefahnen, ist in der knappen halben Stunde nicht zu übersehen."

Ich würde sagen, dass man das so sagen kann. Eine Ahnung von der Präsenz des Marktes in der Folge gibt etwa das Behind-the-Scenes-Video ab Sekunde 29.


Es steht jedenfalls der "Verdacht der ungekennzeichneten Produktplatzierung" im Raum. Die Landesmedienanstalten hegen ihn, worüber die Süddeutsche Zeitung vor einer Woche bereits knapp berichtet hat und worüber nun die SZ ausführlich und epd Medien berichten.

Die Frage ist: Wurde die Marke Media Markt "gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung in der betreffenden Folge platziert", wie es die Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), Cornelia Holsten, in der SZ formuliert? Liegt also eine Produktplatzierung vor, "die als solche am Anfang der Folge gekennzeichnet hätte werden müssen"?

Bei der Produktionsfirma Brainpool sieht man das nicht so: "In der Serie gab es keine Produktplatzierung. Vereinzelt werden Produktionshilfen verwendet, bezüglich derer aufgrund ihres unbedeutenden Wertes allerdings keine Kennzeichnungspflichten bestehen."

Aber vielleicht kann man ja doch ein bisschen schmunzeln, wenn eine Brainpool-Sprecherin, indirekt zitiert von epd, mitteilt, die Serie "lebe seit der ersten Staffel davon, die Realität so originalgetreu wie möglich abzubilden. Nach dieser Grundidee würden auch reale Unternehmen und Produkte in die Handlung eingebunden."

Genau. Und zwar in Einstellungen, die auch mal etwas länger als ein, zwei, drei, vier oder fünf Sekunden stehen bleiben können, weil: In der Realität gehen so überdimensionierte, Bildschirm füllende Elektromarktlogos ja auch nicht einfach plötzlich wieder weg.

Aus Brainpool-Sicht ergibt das Statement freilich Sinn, weil die Darstellung der Existenz von Media-Märkten tatsächlich erstmal nicht verboten ist. Johannes Kreile von der Produzentenallianz wird in der SZ zitiert:

"'Die Abgrenzung zwischen der Darstellung der natürlichen Umwelt, der verbotenen Schleichwerbung und der unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Produktplatzierung, die dann auch einer Kennzeichnung bedarf, ist im Einzelfall schwierig zu treffen' (…). Grundsätzlich gelte, 'dass die Darstellung der realen Umwelt keine Schleichwerbung darstellt und durch den verfassungsrechtlich geschützten Programmauftrag jeden Drehort erlaubt, der der Darstellung der natürlichen Umwelt entspricht.'"

Insofern wäre das Ganze dann womöglich eine Interpretationsfrage.

Umso interessanter ist es, dass Medienwächterin Cornelia Holsten für die Beantwortung der Fragen, die sie aufwirft, gar nicht zuständig ist. Durch den Wechsel von "Pastewka" von Sat.1 zum Streamingdienst von Amazon (Firmensitz: Luxemburg) ist nicht mehr eine deutsche Landesmedienanstalt, sondern die Autorité Luxembourgeoise Indépendante de l’Audiovisuel verantwortlich, die aber informiert ist.

Filter Clash, nicht Filter Bubble

Wo wir bei Regelungen des Medialen sind: Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler der Universität Tübingen, hat seine Vorstellungen, wie eine "redaktionelle Gesellschaft", wie er sie mit einem Begriff John Hartleys schon seit einer Weile nennt, aussehen könnte, ausgearbeitet. Am Montag erscheint sein neues Buch; die NZZ hat aus diesem Anlass ein Interview bekommen, und in der aktuellen Ausgabe der Zeit steht ein auf dem Buch basierender Essay von Pörksen, in dem er, "der föderalistisch zersplitterten Bildungslandschaft zum Trotz und in bewusster Ignoranz all der diffusen, von einer leblosen Floskelsprache infizierten Medienkompetenzdebatten, ein eigenes Schulfach an der Schnittstelle von philosophischer Ethik, Sozialpsychologie, Medienwissenschaft und Informatik" fordert. Gerade auch Plattform-Monopolisten will Pörksen in die Pflicht nehmen. In der Zeit schreibt er, sie

"müssen sich eigene, detailliert ausbuchstabierte Richtlinien und Ethikkodizes geben, die der öffentlichen Diskussion zugänglich sind und von ihr entscheidend mitgeprägt werden. Sie brauchen in jedem Land Ombudsgremien des Publikums. Sie benötigen Öffentlichkeitsredakteure, die den Dialog mit dem Publikum pflegen. Nötig ist zu diesem Zweck eine Art Plattformrat, angeregt vom Modell des Presserats. Diese Institution könnte als Schiedsrichter fungieren, der Diskurs- und Transparenzpflichten einfordert, Formen der Desinformation und des Missbrauchs offenlegt und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung dokumentiert."

Vor allem das NZZ-Interview funktioniert als Nacherzählung des Buchs recht gut. Darin geht es um den Übergang "von der Mediendemokratie alten Typs, gekennzeichnet durch klares Agenda-Setting und Gatekeeping von Journalistinnen und Journalisten, hin zu einer Empörungsdemokratie". Nicht exklusiv, aber doch prägnant ist Pörksens These, dass wir nicht etwa in abgeschottenen Filterblasen, sondern in einem Zustand der "Filter Clashs" leben. Er sagt:

"Vernetzung verstört, weil die Gesamtgeistesverfassung der Menschheit auf einmal in den eigenen Kommunikationsradius hineinrückt. Es ist die Bewusstseinslage eines fragilen Fundamentalismus, die so entsteht. Man lebt in seinem Selbstbestätigungsmilieu, man kann sich versichern: Ja, wir sind im Recht, und andere denken genauso. Gleichzeitig ist man konfrontiert damit, dass schon ein paar Klicks entfernt eine ganz andere Wirklichkeit beherrschend ist."

Zahlen, bitte!

Da sind wir insofern auch bei der MeToo-Debatte, als dabei Wahrnehmungen aufeinander stoßen, die doch, sagen wir, sehr unterschiedlich sind. Es ist eine polarisierte Debatte, in der Grautöne, die es ja haufenweise gibt, bisweilen untergehen, weil in den Überschriften zu eigentlich differenzierten Beiträgen dann doch noch Aufschaukelungsschlagworte wie "Meinungsdiktatur"untergebracht werden.

Auf der einen Seite scheinen dann die zu stehen, die MeToo mittragen, auf der anderen Seite die, die die Freiheit der Kunst bedroht sehen. Heute, am Tag nach dem Beginn der Berlinale, wird die Debatte wieder in vielen Facetten weitergeführt. Und Susan Vahabzadeh hat im SZ-Feuilleton die irre Idee, die Dinge in ein Zahlenverhältnis zu setzen:

"Wir leben in einer Konsensgesellschaft, in der es kaum noch jemand aushält, eine gegenteilige Meinung einfach mal stehen zu lassen. Das wird sichtbar, wenn Frauen verlangen, Matt Damon wegen einer absolut vernünftigen Anmerkung zum Unterschied zwischen Belästigung und Vergewaltigung aus dem Film 'Ocean’s 8' herausschneiden zu lassen. Es haben sich allerdings nur 28000 Leute diesem Ansinnen anschließen mögen – weltweit."

Anders gesagt, es ist nicht so, dass die Hälfte der Welt die Anliegen des MeToo-Kollektivs gegen die Freiheit der Kunst ausspielt – das sind letztlich vielleicht doch nur ein paar Leute, deren Forderung medial nur besonders stark wahrgenommen wird. Die mediale Nachbereitung der Debatte wird insofern womöglich dereinst nochmal interessant.

In die Medienressorts schafft es heute reihenweise eine im engeren Sinn mediale Geschichte rund um MeToo: Das ZDF hat "erklärt, es gebe keine neuen Hinweise für sexuelle Übergriffe durch Dieter Wedel bei 'Der große Bellheim' und anderen Produktionen des Hauses" (Spiegel Online, siehe auch Zeit Online, tagesspiegel.de oder faz.net). Ein Teil der Akten sei aber nicht mehr vorhanden. (Siehe zur Vorgeschichte etwa dieses Altpapier.) Und damit zum…

Altpapierkorb (Deniz Yücel, Glashaus-Blog, FPÖ und ORF, Sexismus-AG im Spiegel, "hauptstädtischer Männerjournalismus")

+++ Die Berichterstattung von heute, vor der vermeldeten Freilassung Deniz Yücels: Deniz Yücel, zuletzt gestern hier Thema, ist heute erneut eines: Der Freitag widmet ihm das Titelthema. Vor allem von Interesse dürfte aber die aktuelle Entwicklung sein: Angela Merkel habe im Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Yıldırım "zum wiederholten Mal" betont, dass der Fall des deutsch-türkischen Korrespondenten "für uns eine besondere Dringlichkeit hat". Man erwarte ein "schnelles und rechtsstaatliches Verfahren". Der verwies auf die Zuständigkeit der türkischen Justiz und rechtsstaatliche Prinzipien, sprach aber davon, dass es Aufgabe der Politik sei, den Gerichten, die Arbeit "zu erleichtern". Die Justiz habe wegen der vielen Verfahren nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 eine hohe Arbeitsbelastung. Er erwarte aber "in kurzer Zeit" ein Ergebnis. Einer der neuen Inlandsressortleiter der taz, Tobias Schulze, schreibt, Yıldırım habe die Hoffnungen damit enttäuscht. Die Atmosphäre im Kanzleramt sei eher kühl gewesen. In der SZ derweil geht es auch um die Lesung mit Yücel-Texten vom Mittwoch.

+++ Das ZDF wolle mehr Frauen in Schlüsselpositionen bringen und im Programm die weibliche Perspektive stärken (Tagesspiegel). Der Spiegel plant, mit einer 30-köpfigen Arbeitsgruppe Sexismus im eigenen Haus aufzuarbeiten (Morgenpost).

+++ In der Sache FPÖ gegen ORF (Altpapier) fragt die FAZ heute: "Wer hat hier wen auf dem Kieker?" – und berichtet, außer von den absurden Lügenvorwürfen gegen ORF-Moderator Armin Wolf durch den FPÖ-Vizekanzler, von drei "Sündenfällen"; die "dem Vorwurf der Voreingenommenheit gegen die neue Regierung, besonders gegen die FPÖ, durchaus Nahrung gegeben" hätten. Der Tagesspiegel berichtet ebenfalls.

+++ Wenn die Berlinale startet, fordert die Produzentenallianz Dinge. Bei DWDL gibt es einen hübschen Bericht über den Deutschen Produzententag, aus dem man erfährt, dass RBB-Intendantin Patricia Schlesinger so wenig wie ihre Tochter "vorm linearen TV zu finden seien" und für neue Kooperationsmodelle à la "Babylon Berlin" plädierte  – "warum nicht auch mit Amazon?"

+++ Übermedien wundert sich darüber, wie wenige Beiträge im Glashaus-Blog von Zeit Online stehen. Juliane Wiedemeier hat sich das hier im Altpapier auch schon mal gefragt, wenn auch erheblich weniger ausführlich.

+++ Ulrike Posche betrachtet bei stern.de Andrea Nahles Aufstieg zur designierten SPD-Vorsitzenden als "Triumph über den hauptstädtischen Männerjournalismus", als "Sieg über die Berliner Schlechtredner und Nichternstnehmer in den Redaktionen", die stets lieber Seehofer und Altmaier gedruckt hätten als Nahles, "die sie früher nicht auf großen Bildern sehen wollten, weil sie – pardon – 'scheiße' aussähe." Posches These: "Hätte es parallel zum Aufstieg der designierten Parteichefin mehr Frauen in der Politikberichterstattung und in den Talkshows gegeben, wäre sie heute möglicherweise schon Kanzlerin." Wobei sie das selbst eine "steile These" nennt (allerdings eine, die "stimmt").

+++ Überlegungen zur Schweizer "No Billag"-Initiative und vor allem zum Wert des Service Public: Bei DWDL und vor allem bei der Republik.

+++ Die FAZ bespricht die zweite Staffel der Arte-Serie "Occupied", die SZ eine Netflixdoku über Juventus Turin.

Über Ihre Meinung zum Altpapier freuen wir uns in den Kommentaren. Das nächste Altpapier gibt es am Montag. Schönes Wochenende!