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Kolumne: Das Altpapier am 14. Februar 2024Enter Sandmann

14. Februar 2024, 10:49 Uhr

"Message Transfer" und "Identity building": wie die AfD in den Social-Media arbeitet. Wie ein AfD-Politiker in den KiKa kam. Außerdem: Auf das "ÖRR Blog" passt nun ein Watchblog auf. Und: ein Altpapier-Extra über den "Fall Föderl-Schmid". Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Social-Media-Dominanz der AfD

Beginnen wir heute mit einer Meldung, wie sie seit Jahren immer wieder einmal ähnlich zu lesen ist: Die Mediennutzung ist hoch und wird – den Corona-Peak rausgerechnet – in der Tendenz höher. Mal gibt es dazu Daten des "Freizeitmonitors" der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen ("Internet baut Dominanz aus", "44 Prozent der Bundesbürger sind täglich in sozialen Medien unterwegs"). Mal erscheint die "Jugend-Digitalstudie" der Postbank ("Jugendliche verbringen 63,7 Stunden in der Woche im Internet"). Mal, wie am gestrigen Dienstag, werden die Ergebnisse der aktuellen Mediennutzungsanalyse des Verbands Privater Medien Vaunet kommuniziert.

Der "Evangelische Pressedienst" fasst sie unter anderem so zusammen: "Menschen ab 14 Jahren verbringen weiterhin viel Zeit mit Audio- und Videoinhalten. Im Schnitt kamen die Nutzer in dieser Gruppe 2023 täglich auf neun Stunden und 46 Minuten für Audio und Video". Und das sei fast eine Stunde mehr als vor der Corona-Pandemie.

Beinahe zehn Stunden Audio und Video am Tag: Zahlen wie diese sind, auch wenn sie im News-value-Sinn nicht überraschend sind, immer wieder interessant. Aber so richtig greifbar werden Mediennutzungsquantitäten, wenn man sieht, wie qualitativ damit hantiert wird. Auf zdf.de wird etwa aus einem Vortrag von Erik Ahrens zitiert, einem Aktivisten aus dem Umfeld der "Identitären Bewegung", der für einen AfD-Politiker gearbeitet habe oder arbeite. zdf.de schreibt:

"Mit Blick auf die durchschnittliche Nutzungsdauer von TikTok unter 14- bis 19-Jährigen in Deutschland sagte er: 'Man hat 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man reinsenden kann.'"

"Es gibt bei zdf.de auch Zahlen, die die bekannte, aber doch sehr große Dominanz der AfD im Parteienvergleich weiter verdeutlichen. Dazu erschien auch ein kürzlich hier schon einmal verlinkter Text des Politik- und Kommunikationsberaters Johannes Hillje, der vor zehn Jahren die Grünen im Wahlkampf beraten hat, frei lesbar bei blaetter.de, dem Onlineauftritt der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Kleiner Auszug: 

"Die AfD ist (…) der Reichweitenchampion unter den Parteien auf allen relevanten Social-Media-Plattformen. Mit einzelnen Beiträgen ist sie in der Lage, ein Millionenpublikum anzusprechen. Aus strategischer Sicht erscheint für die AfD insbesondere ihre Präsenz auf TikTok von großer Bedeutung. Bei der Bundestagswahl 2021 kam sie bei einem Gesamtergebnis von 10,3 Prozent unter Erstwählenden nur auf 6 Prozent. Seitdem wurden auf Bundes- und Landesebene die TikTok-Aktivitäten deutlich ausgebaut, was mutmaßlich zu den besseren Ergebnissen unter Jungwählenden bei den Landtagswahlen 2023 beigetragen hat."

Hilljes Zahlen dazu:

"Auf TikTok wurde jedes Video der AfD-Bundestagsfraktion in den Jahren 2022 und 2023 im Durchschnitt 435394 Mal aufgerufen. Zum Vergleich: Die CDU/CSU-Fraktion, die für diesen Zeitraum den zweitbesten Wert erzielt, kommt auf durchschnittlich 90583 Aufrufe pro Clip. Wohlgemerkt, es handelt sich um Durchschnittswerte."

Instruktiv ist vor allem Hilljes Analyse der Reichweitefaktoren von "Message Transfer" bis "identity building". Die AfD, schreibt er, wende "ein hohes Maß an Ressourcen" für ihre Digitalkommunikation auf und betrachte sie "nicht als funktionale Ergänzung (…), sondern als Ersatz für Journalismus". Ein anderer Faktor, so Hillje, ist die Unterstützung durch "andere", also etwa Influencer, "die eine große Reichweite in bestimmten Zielgruppen haben, für die sie als 'Trusted Messenger' gelten". Das hat die AfD nicht exklusiv, die Biden-Administration betrachte Influencer und "Content Creators" mittlerweile als "ähnlich relevant wie Pressevertreter", so Hillje. Aber die meisten von Deutschlands vor 2013 gegründeten Parteien sind da alles in allem wohl etwas unbedarfter.

Wobei es keine erstrebenswerte Entwicklung wäre, wenn die anderen Parteien die Kommunikationsmethoden der radikalen Rechten kopieren würden. Es reicht wirklich schon, dass sie mit Partei-"Newsrooms" und PR-Interviews herumexperimentieren (siehe etwa dieses Altpapier von 2019).

Ein Watchblog-Watchblog

Nur scheint gegen Social-Media-Kram ja offensichtlich am ehesten Social-Media-Kram zu helfen. Beispiel "ÖRR Blog" auf Twitter/X und Instagram. Es wird von einem CSU-Mitglied betrieben, das sich darauf spezialisiert hat, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kampagnenartig eine Grünen- und SPD-Nähe zu unterstellen und zu insinuieren, er habe eine entsprechende Agenda. Matthias Schwarzer schrieb bei rnd.de vor etwa einem Jahr darüber; René Martens ergänzte hier im Altpapier, die Beiträge seien eigentlich "oft einfach nur gaga". Etwa wenn das "ÖRR Blog" es erwähnenswert finde, "dass ein heutiger Klimaaktivist mal als Schauspieler in ZDF-Krimis zu sehen war".

Nun gibt es den Account "ÖRR-BlogWatch", der antritt, die Berichterstattung über angebliche Einseitigkeit zu widerlegen, und zwar als einseitig. Er tut das mit denselben Mitteln wie das "ÖRR Blog". Nur sind dort eben Mitglieder der CDU/CSU oder Freien Wähler aufgelistet, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Interviewpartner zu Wort kommen, ohne dass das Parteibuch erwähnt wird.

Man könnte darüber diskutieren, ob jeder Landwirt, jede Demonstrantin oder jeder Klimaaktivist, die oder der bei ARD und ZDF auftaucht, nach einer Parteimitgliedschaft gefragt werden sollte, die dann auch offengelegt wird. Aber die Diskussion taugt eher nicht zur Stimmungsmache, und falls sie trotzdem geführt würde, würde ich die Contra-Position vertreten. Politisch aktive und engagierte Menschen vertreten nicht unbedingt deshalb bestimmt Inhalte und Werte, weil es in ihrem Parteibuch steht. Sondern sie sind wohl eher deshalb Mitglied einer Partei, weil sie sich ohnehin für bestimmte Inhalte und Werte einsetzen.

Julius Betschka vom "Tagesspiegel" twitterte bei X, dieses "Gegenprojekt" zum "ÖRR-Blog" sei wichtig, "weil es zeigt, wie leicht man auf X Meinung macht". Stimmt. Das jedenfalls zeigt es.

Wenn man sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen will, ob die Öffentlich-Rechtlichen den unterstellten "Linksdrall" haben, wird man sich eher mit der hier schon erwähnten Studie von Marcus Maurer, Pablo Jost und anderen Kommunikationswissenschaftlern von der Uni Mainz beschäftigen müssen. Im "Übermedien"-Podcast hat Holger Klein mit Jost über die Studie und Reaktionen darauf gesprochen. Und die "Berliner Zeitung" schreibt aktuell auch noch darüber – und zwar sowohl kritisch gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, als auch mit der These, dass auch "der Kompass der Forschenden seinerseits eine gewisse 'Rechtsschiefe'" haben könnte. Tja nun. Es kann aber theoretisch auch sein, dass man auf so etwas nur kommen kann, wenn man selbst eine gewisse Linksschiefe hat.

Vom Umgang mit der AfD bei "Markus Lanz" und im "Sandmännchen"

Wie medial umgehen mit der AfD? Die Frage bleibt insgesamt in diesen Wochen virulent. Im "Medium Magazin" (newsroom.de) diskutiert Antonia Groß, wie Journalismus die "Herausforderung, die Balance zwischen Aufklärung und Verantwortung zu wahren", bewältigen kann. Markus Lanz hat’s kürzlich, als er AfD-Chef Tino Chrupalla eingeladen hatte, jedenfalls nicht geschafft, würde ich behaupten. Am Ende hatte sich Chrupalla dargestellt als Opfer unter anderem des ZDF, und es stand eine Batterie von Unüberprüfbarkeiten im Raum, auf die man tags darauf teilweise reagieren musste. "AfD-Chef Chrupalla behauptet, das ZDF hätte Videomaterial zu einem angeblichen Angriff auf ihn nicht vollständig an die Polizei weitergegeben", schrieb das ZDF: "Das ist falsch – eine Rekonstruktion." Man musste also hinterher einmal feucht den Boden der Tatsachen durchwischen, aber hinterher ist es oft zu spät, schon weil’s dann gerade die nicht mitkriegen, die Chrupalla-Videos direkt auf einschlägigen Kanälen sehen. Und in der Sendung selbst sagte Lanz, bevor er sich einfingerig am hinteren Haaransatz kratzte, tatsächlich einmal zu ihm: "Ich glaub’ Ihnen jedes Wort dieser Geschichte."

Ob man den Rechtsextremisten Martin Sellner zum Coverboy machen muss, wie es das österreichische Magazin "Profil" gerade tat, wäre auch so eine Frage, die hier anschlussfähig ist. "Wir liefern Information, die dazu beitragen kann, Entwicklungen abzuschätzen und zu bewerten – und die vielleicht später der beliebten Ausrede den Boden entzieht, man habe ja die Dinge nicht kommen sehen", erklärt "Profil" selbst die Entscheidung, über ihn groß zu berichten. Die Frage nach der Covergestaltung beantwortet das freilich nicht. Die "taz" kritisiert: "Für seine Anhänger zementiert das Sellners Kultstatus, für den Rest der Gesellschaft wird er größer gemacht, als er es ist."

Einen Artikel gibt es aber auch, nach dessen Lektüre sich alles etwas weniger diskussionswürdig darstellt, als es hätte sein können. "Wie kam AfD-Politiker Marc Jongen ins 'Sandmännchen’?", heißt der Text, und er handelt von einer Episode der Zeichentrickreihe "Kallis Gute-Nacht-Geschichten", die im Rahmen des "Sandmännchens" im KiKa lief. Darin liest jemand eine Zeitung, und darin, so ist zu erkennen, steht ein Artikel mit der Überschrift "Marc Jongen über die Technikvergessenheit zeitgenössischer Kunst". Boris Rosenkranz hat für "Übermedien" (Abo) zwar nicht abschließend herausgefunden, wie es dazu kam. Aber einiges klären konnte er schon. Zentral ist die Information, dass die vor Kurzem gelaufene Folge eine Wiederholung war und schon 2010 erstausgestrahlt wurde. Drei Jahre vor Gründung der AfD.

Falls sich je ein Watchblog gründen sollte, das nachweisen will, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk AfD-Politiker ins Bild setzt, ohne die Partei zu nennen: Dann wird er sich von solchen Details aber sicher nicht beirren lassen.


Altpapierkorb (Altpapier-Extra zum "Fall Föderl-Schmid", Nius.de, Studie zu Hass im Netz, Zeitungstrends, "The Continent"-Jubiläum, Jon Stewarts Comeback)

+++ "Wenn man auf Hate Speech eingeht, auf Texte oder Posts, die von Menschenvernichtungswillen getrieben sind, steht man immer vor einem Problem: Wie macht man deutlich, dass es diese Hetze gibt, ohne sie zu exponieren?": Manchmal gibt es aus dann gegebenen Anlässen eine monothematische Sonderausgabe des Altpapiers. René Martens hat eine solche Extra-Kolumne über den "Fall Föderl-Schmid" und das mediale Reiz-Reaktion-Überreaktion-Schema geschrieben. Sie finden die Kolumne hier, sie ist lesenswert.

+++ Gegen Nius.de, das milliardärsfinanzierte Agitationsportal, bei dem seit Neuestem Julian Reichelt als Verantwortlicher im Impressum stehe, wie Lars Wienand (t-online.de) bemerkt, gab es Beschwerden; nun prüft die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg, in welchem Umfang "Nius" gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoße. Wienand zitiert Politikwissenschaftler Markus Linden, Nius sei "Werteunion-TV", und erklärt das Prozedere der Prüfung: "Wenn in der Anhörung Kritik nicht entkräftet wird, geht es um mögliche Konsequenzen. Bei bundesweiten Angeboten trifft diese brisante Entscheidung nicht die jeweilige Landesmedienanstalt, sondern die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten. Als allerletztes – sehr unwahrscheinliches – Mittel kann ein Portal sogar gesperrt werden."

+++ Über eine neue Studie zu Hass im Netz berichtet unter anderem zeit.de. Sie stammt vom Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz, einem Zusammenschluss von Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid, jugendschutz.net, und Neue deutsche Medienmacher*innen: "Direkt von Hass im Netz Betroffene gaben besonders häufig an, sich im Internet seltener zur eigenen politischen Meinung zu bekennen und sich seltener an Diskussionen zu beteiligen. Auch die Meinungsvielfalt leide daher unter Hass im Netz, schreiben die Autoren: Denn im demokratischen Diskurs im Netz verstummten durch das Problem vor allem marginalisierte oder benachteiligte Gruppen."

+++ Neue "Trends der Zeitungsbranche 2024" gibt es auch, und zwar frisch vorgestellt vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und einer Unternehmensberatung. Der "Tagesspiegel" schreibt darüber: "Auf lange Sicht gehen die BDZV-Mitglieder von einem extrem veränderten Markt aus. Während heute noch 70 Prozent des Geschäfts mit gedruckten Zeitungen sowie 17 Prozent mit E-Papern und 13 Prozent mit Plus-Abos gemacht wird, wird für 2030 ein komplett anderes Bild erwartet." Weitere vermutete Trends: "Die klassischen Ressorts verlieren an Bedeutung, die Redaktionen werden sich stärker an Themen und Zielgruppen orientieren, heißt es in der Trendumfrage. Um die Leser- und Nutzerbindung zu stärken, arbeiten die Verlage und Publisher zudem an einer weiteren Qualitätssteigerung der journalistischen Inhalte. Weitere Stichworte sind personalisierte Inhalte und die hyperlokale Berichterstattung."

+++ Es gibt ein Jubiläum zu vermelden: Die 150. Ausgabe der südafrikanischen pdf-Wochenzeitung "The Continent" ist erschienen. Man bekommt dort einen zumindest kleinen Überblick über manches, was in Afrika – nicht nur in Südafrika – als relevant erachtet wird.

+++ Jon Stewart, "Amerikas führender Politsatiriker" (Nina Rehfeld in der "FAZ"), ist nach mehreren Jahren zurück, was auch einigen deutschsprachigen Rezensentinnen und Rezensenten Anlass zur Freude ist. Rehfeld schreibt ebenso darüber wie Daniel Gerhardt bei zeit.de.

Am Donnerstag schreibt das Altpapier Ralf Heimann.