Februar 1942Unternehmen Cerberus - Der Durchbruch deutscher Schlachtschiffe durch den Ärmelkanal
Im Februar 1942 brechen die deutschen Schlachtschiffe Scharnhorst und Gneisenau sowie der Schwere Kreuzer Prinz Eugen durch den Ärmelkanal. Mitten am Tag schippern sie durch die Straße von Dover. Und die Seemacht England schaut hilflos zu. Taktisch ist das Unternehmen "Cerberus" ein Erfolg. Doch strategisch besiegelt der Kanaldurchbruch das Ende des atlantischen Zufuhrkrieges der Kriegsmarine mit Großkampfschiffen. Die britische Luftüberlegenheit über den Atlantikhäfen ist der Grund dafür.
Wütendes Flak-Feuer schlägt den vier britischen Bristol Beaufort-Torpedobombern entgegen, die am Morgen des 6. April 1941 die Marinebasis Brest im deutschbesetzten Nordwesten Frankreichs angreifen. Drei der Flugzeuge erhalten Treffer und drehen ab. Nur eine Maschine kann ihren Torpedo auf eines der beiden deutschen Schlachtschiffe abfeuern, die hier auf Reede liegen. Die 728 Kilo schwere Unterwasserwaffe trifft die Gneisenau auf Höhe des achteren Drillingsturmes. Sie reißt die Außenhaut des Stahlgiganten auf. Das 32.000-Tonnen-Schiff muss ins Trockendock. Vier Tage später erhält es dort noch vier Bombentreffer. Bis Januar 1942 bleibt die Gneisenau in Reparatur.
Ständige Luftangriffe auf deutsche Schiffe
Es sollte nicht der letzte Luftangriff auf die seit Ende März 1941 in Brest liegenden deutschen Schlachtschiffe Gneisenau und Scharnhorst sein. Auch der Anfang Juni eingetroffene Schwere Kreuzer Prinz Eugen wird immer wieder attackiert. Am 2. Juli zerstört eine Bombe die vordere Artillerie-Rechenstelle des Kreuzers. Die Reparatur dauert bis Jahresende. Bis Ende 1941 werfen Flugzeuge der Royal Air Force bei Angriffen auf die deutschen Schiffe 12.000 Tonnen Bomben ab. Auch ein Ausweichen in südlichere Häfen bringt nichts. Am 24. Juli wird die Scharnhorst im Industriehafen La Pallice von La Rochelle durch Bombentreffer so schwer beschädigt, dass sie ebenfalls mehrere Monate ausfällt.
Bedrohung für britische Atlantikrouten
Die Briten wollen die drei deutschen Großkampfschiffe als Bedrohung ihrer Versorgungsrouten im Atlantik ausschalten. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, will die Schiffe als Option im atlantischen Zufuhrkrieg hingegen erhalten. Doch es gelingt den Deutschen nicht, die schweren Einheiten in den Atlantikhäfen effektiv zu schützen. Weil die Schiffe die Werften blockieren und die Einsatzfähigkeit der deutschen U-Boote gefährden, schlägt der Befehlshaber der Unterseeboote, Vizeadmiral Karl Dönitz, vor, die großen Kriegsschiffe nicht mehr für den Atlantikkrieg einzuplanen.
Raeder hält Kanaldurchbruch für unmöglich
Auch Adolf Hitler hat seit dem Untergang des Schlachtschiffs Bismarck im Mai 1941 kein Interesse mehr an einem Atlantikeinsatz der Großkampfschiffe. Er befürchtet zudem einen britischen Angriff auf Nordnorwegen, weswegen er alle Schlachtschiffe und Schweren Kreuzer dorthin verlegen will. An Raeder richtet er die Frage, ob man die "Brest-Gruppe" nicht durch den Ärmelkanal zurückführen könnte.
Doch der wiegelt ab: Ein Kanaldurchbruch sei wegen der Bedrohung durch feindliche "See- und Luftstreitkräfte, Minen und navigatorische Schwierigkeiten" unmöglich. Anfang Januar 1942 warnt Raeder nochmals, ein Marsch durch den Kanal werde "mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Totalverlusten oder zumindest schweren Beschädigungen führen".
Hitler will Rückführung der Großkampfschiffe
Doch Hitler bleibt stur. Bei einer Besprechung am 12. Januar 1942 im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" teilt er Raeder und den anderen Vertretern von Kriegsmarine und Luftwaffe mit, dass er die Rückführung von Scharnhorst, Gneisenau und Prinz Eugen "überraschend, schnell durch den Kanal" wünsche. Die Lage der "Brest-Gruppe" gleiche der eines Krebskranken, "welcher ohne Operation bestimmt kaputt geht, während eine Operation, die zwar eine Rosskur ist, gewisse Aussichten auf Rettung des Patienten hat." Daher müsse die "Operation des Kanalmarsches" durchgeführt werden.
Ciliax hält Kanaldurchbruch für aussichtsreicher
Unterstützung erhält Hitler vom Befehlshaber der Schlachtschiffe, Vizeadmiral Otto Ciliax. Der Marineoffizier aus dem thüringischen Neudietendorf hält eine Rückführung der schweren Überwassereinheiten durch den Ärmelkanal für aussichtsreicher als einen Durchbruch durch die Färöer-Island-Passage oder die Dänemarkstraße zwischen Island und Grönland. Für den Fall eines Kanaldurchbruchs verlangt er ausreichend Jagdschutz. Die Luftwaffenführung sichert den Einsatz von 250 Jagdflugzeugen zu. Das reicht für einen überlappten Einsatz, bei dem jeweils 16 Maschinen für je 35 Minuten über dem Geschwader kreisen. Nur während der Ablösung sollen für jeweils zehn bis 20 Minuten 32 Jäger vor Ort sein.
Vier Wochen Vorbereitungszeit
Von Ciliax stammt auch der Vorschlag, die Kriegsschiffe nachts aus Brest auslaufen zu lassen. Das soll ihre Chancen erhöhen, nicht sofort entdeckt zu werden. Außerdem will der Vizeadmiral die mit 33 Kilometern engste Stelle des Kanals zwischen Dover und Calais aus navigatorischen Gründen bei Tage passieren. Als X-Zeit für den Beginn des Unternehmens "Cerberus" wird der Abend des 11. Februar 1942 festgelegt. Knapp vier Wochen haben die deutschen Minenräumflottillen Zeit, die geplante Fahrtroute zu räumen. Zeitgleich werden an der französischen Kanalküste sechs Zerstörer, 14 Torpedo-Boote und drei Schnellbootflottillen als Sicherungsfahrzeuge zusammengezogen.
Briten erwarten Kanaldurchbruch
Trotz aller Geheimhaltungs- und Täuschungsmanöver erfasst der britische Marinenachrichtendienst die deutschen Vorbereitungen sehr genau. Die Briten erwarten einen Marsch des deutschen Geschwaders durch den Kanal noch für Anfang 1942. Allerdings rechnen sie fest damit, dass die Deutschen die Meerenge Dover-Calais nachts und bei Neumond und nicht mitten am Tage passieren. Zur Überwachung des in Brest liegenden Kriegsmarine-Verbandes haben sie im Seegebiet vor der bretonischen Stadt ein U-Boot postiert. Zudem lassen sie das Seegebiet westlich und nördlich der Bretagne sowie den Kanalabschnitt zwischen dem Mündungsgebiet der Seine und der Straße von Dover durch drei separate Radarpatrouillen der Royal Air Force (RAF) überwachen.
Auslaufen aus Brest bleibt unentdeckt
Dennoch entgeht den britischen Sicherungskräften, dass die drei deutschen Großkampfschiffe begleitet von sechs Zerstörern am 11. Februar 1942 um 22:45 Uhr bei Fliegeralarm das eingenebelte Brest verlassen und Kurs Nordost durch den Kanal nehmen. Das britische U-Boot hat seine Beobachtungsposition zuvor verlassen. Es lädt auf See gerade die Batterien auf. Auch den drei RAF-Radarpatrouillen entgeht der Schiffsverband, dem sich zahlreiche Torpedo-, Minensuch- und Schnellboote anschließen. Bei den ersten beiden Radar-Flugzeugen sind technische Defekte der Grund. Die dritte, östlichste Radarstreife dreht wegen Nebels eine Stunde eher um. Es ist genau der Moment, in dem die deutschen Schiffe in ihren Abschnitt einfahren.
Störsender legen Küstenradar lahm
Doch auch das britische Küstenradar erfasst den mit 27 Knoten Marschfahrt laufenden Verband nicht. Deutsche Störsender an der französischen Kanalküste verhindern das. Die Briten machen zunächst ein Wetterphänomen für die kompakte atmosphärische Störung verantwortlich.
Erst als dem RAF-Jagdkommando in London-Stanmore die andauernde Radarstörung komisch vorkommt, startet eine Spitfire-Patrouille. Als einer der Piloten am 12. Februar um 11:09 Uhr den deutschen Schiffsverband sichtet, wagt er nicht, die Funkstille zu brechen. Erst nach seiner Landung erfahren die britischen Stäbe, dass wohl gerade zwei deutsche Schlachtschiffe, ein Schwerer Kreuzer und deren Begleitflottillen durch das englische "Home-Water" fahren. Nachdem ein zweiter Pilot die Sichtung bestätigt, wird Alarm ausgelöst. Da ist es 11:35 Uhr und der deutsche Verband steht kurz vor der Straße von Dover.
Küstenartillerie beginnt zu feuern
Doch noch immer bleibt eine Reaktion der Briten aus. Befehlschaos, Führungsversagen, Rivalitätsgezänk und Koordinierungsprobleme zwischen Royal Navy und Royal Air Force verhindern einen schnellen Einsatz von Marine- und Fliegerkräften. Um 12:18 Uhr passiert der deutsche Flottenverband mit 30 Knoten die Meerenge zwischen Dover und Calais.
Erst eine Minute später beginnt die britische Küstenartillerie bei Dover zu schießen. 33 Granaten klatschen backbords weitab der deutschen Schiffe ins Wasser. Die deutschen Küstenbatterien bei Calais schicken zur Antwort vier Salven über den Kanal, die ebenfalls ins Leere gehen. Mittlerweile haben Scharnhorst, Gneisenau und Prinz Eugen die Nordsee erreicht.
Kämpfe ziehen sich in die Nordsee
Fünf britische Schnellboote tauchen nun auf, die jedoch sofort abgedrängt werden. Dann greifen sechs Swordfish-Torpedoflugzeuge das Flaggschiff Scharnhorst an. Sie werden alle abgeschossen. Gegen 14:30 Uhr starten 700 Jäger und Bomber von Flugplätzen in England. Doch der Angriff verzettelt sich. Die deutschen Jagdflugzeuge schießen 17 Jäger, 15 Bomber und neun Torpedobomber der Briten ab. 40 Kilometer vor der niederländischen Küste greifen sechs britische Zerstörer die deutschen Schiffe an. Nach elf Minuten ist der ungleiche Kampf vorbei. Der Zerstörer Worcester brennt, die Hälfte seiner 130 Besatzungsmitglieder ist tot oder verwundet. Um 16:43 Uhr greifen die Briten ein letztes Mal an. Eine Staffel Bristol Beaufort Torpedobomber wirft ziellos Bomben ab. Dann verschwinden sie.
Schäden durch Grundminen
Die deutschen Großkampfschiffe haben es geschafft. Der erfolgreiche Kanaldurchbruch ist gelungen. Ohne Schäden geht das Unternehmen "Cerberus" aber nicht ab. Grund ist die erfolgreiche Luftverminung der erwarteten Fahrtroute durch die Briten. So läuft die Scharnhorst um 15:28 Uhr vor der Scheldemündung auf eine Grundmine. Um 19:55 Uhr passiert der Gneisenau das gleiche. Um 21:34 Uhr trifft es die Scharnhorst ein zweites Mal. Dennoch können alle Schiffe ihre Fahrt fortsetzen. Am 13. Februar 1942 erreichen sie die deutschen Häfen.
Riesenaufschrei in Großbritannien
In Großbritannien sorgt der erfolgreiche Kanaldurchbruch der deutschen Schlachtschiffe und des Schweren Kreuzers für einen Riesenaufschrei. Dass es den Deutschen gelungen ist, rund 300 Seemeilen unbehelligt durch den "Englischen Kanal" zu schippern, wird im britischen Unterhaus als "der größte Fehler in diesem Krieg" bezeichnet. Die "Times" titelt, seit dem 17. Jahrhundert habe die britische "Seeherrschaft in heimischen Gewässern keine größere Demütigung erfahren".
Es ist eine Schlappe für die Royal Navy und ein Erfolg für die Kriegsmarine. Großadmiral Raeder spricht von einem "taktischen Sieg, aber einer strategischen Niederlage". Er hätte die drei Großkampfschiffe lieber für mögliche Atlantikoperationen in Brest belassen. Letztlich hat sie die britische Luftüberlegenheit jedoch von dort vertrieben.
Das Ende der "Kanaldurchbrecher"
Doch auch in der Heimat sind die deutschen Großkampfschiffe nicht mehr "bombensicher". Ende Februar 1942 wird die Gneisenau, deren Minenschaden vom Kanaldurchbruch in Kiel repariert werden soll, bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. Anders als nach ihrer Torpedierung und Bombardierung im April 1941 in Brest, wird das Schiff jedoch nicht mehr repariert, sondern außer Dienst gestellt. Ihr Schwesterschiff, die Scharnhorst, wird nach Nordnorwegen verlegt, wo es Ende 1943 bei einem Gefecht in der Barentssee sinkt.
Einzig der dritte "Kanaldurchbrecher", der Schwere Kreuzer Prinz Eugen, der 1941 als Begleitschiff der Bismarck schon deren Untergang überlebt hat, bleibt bis Kriegsende 1945 im Einsatz. Das "glückhafte Schiff", wie es von Marineangehörigen genannt wird, hat jedoch im Frieden weniger Glück als im Krieg. Als Beute der USA wird der Kreuzer 1946 bei einem Atomwaffen-Versuch im pazifischen Bikini-Atoll zerstört.
Literaturhinweise
- Opitz, Karlludwig: Unternehmen Cerberus. In: Der Zweite Weltkrieg. Tief in Feindesland, Hamburg 1989, S. 482-485.
- Potter, John Dean: Durchbruch. Die Heimkehr der Schlachtschiffe Scharnhorst und Gneisenau, Wien und Hamburg 1970.
- Rahn, Werner: Der Seekrieg im Atlantik und im Nordmeer. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 6. Der Globale Krieg. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1990.